Der Kindergarten am Waldrand südlich von Buchholz: Ein Betreuungskonzept setzt sich durch. Ortstermin am Höllenschluchtweg.

Buchholz. Wald am Höllenschluchtweg - das ist nicht gerade eine vertrauenerweckende Adresse für einen Kindergarten. Dabei könnte das Domizil der Igelgruppe des evangelischen Spielkreises Sprötze mitten im Landesforst Rosengarten südlich von Buchholz kaum idyllischer liegen. Da, wo sich der dichte Nadelwald plötzlich lichtet, steht an einem schmalen Forstweg ein Bauwagen, vor dem zwölf quicklebendige Zwerge herumtollen.

Jayil, 5, und Otto, 6, geben heute die Bauarbeiter. Bis zum Hals stehen sie in einer großen Sandgrube und schaufeln mit strahlenden Gesichtern im Akkord. Nebenan hockt der kleine Finn, 3, und befüllt einen riesigen Plastikkipper mit Sand. Auf der anderen Seite kommt gerade der große Finn, 5, einen handlichen Ast in Meterlänge auf der Schulter. Genau die richtige Länge für jene kleine Holzhütte, die Georg Schmidt, 17, auf der anderen Seite der "Baugrube" gerade zimmert.

Georg fehlt keineswegs noch immer die Schulreife. Ganz im Gegenteil. Der junge Mann ist längst Abiturient. In seinen Ferien hat er sich als Praktikant verdingt und unterstützt nun für einige Wochen Sabine Reese und Jenny Jackstell, die beiden Erzieherinnen der "Waldkinder" von Sprötze.

"Es war eine ganz bewusste Entscheidung", sagt Jenny Jackstell. Für die gebürtige Eilbekerin ist der Bauwagen fast so etwas wie ein zweites Zuhause geworden. Als der Waldkindergarten der Kreuzkirchengemeinde Sprötze-Trelde-Kakenstorf vor zehn Jahren auf Empfehlung der Allgemeinmedizinerin Annegret Schuur gegründet wurde, war sie sofort dabei: "Den ganzen Tag an der frischen Luft - was kann es Schöneres geben."

Doch viel wichtiger als das persönliche Wohlbefinden ist der 40-Jährigen das Wohl der "Waldkinder". Weshalb das mobile Telefon für Notfälle ständig griffbereit liegt. Zudem gibt es einige eherne Regeln, an die sich alle halten müssen. Dazu zählt zum Beispiel das permanente Tragen einer Kopfbedeckung. Nicht nur, um sich vor der Sonne zu schützen. Auch vor Zecken. Jenny Jackstell: "Natürlich werden grundsätzlich keine ungewaschenen und ungekochten Beeren und Pilze gegessen - auch wenn es noch so verlockend ist." Und keines der Kinder entfernt sich auch nur einen Moment aus dem Blickfeld der Betreuerinnen.

"Das mag rigide klingen, ist aber unbedingt notwendig, damit alle gesund und munter bleiben", sagt Sabine Reese, 47, die zweite Erzieherin. Gerade hat sie der kleinen Rieke, 3, im gemütlichen, holzgetäfelten Bauwagen die Windel gewechselt. Und mahnt nun an, sich mit dem Betreten des Domizils im eigenen Interesse noch einen Moment zu gedulden. Dabei verfügt der Waldkindergarten sogar über eine Dixi-Box in sattem Waldgrün. Doch um dort das große Geschäft zu erledigen, sind einige der Zwerge halt noch zu klein.

"Normalerweise sollten unsere Schützlinge schon trocken sein, wenn sie zu uns kommen", sagt Sabine Reese, die seit sechs Jahren zur Waldcrew gehört. Doch einen Kitaplatz zu bekommen sei in der Region längst nicht selbstverständlich: "Deshalb drücken wir hier und da schon mal ein Auge zu und nehmen auch Windelkinder auf."

Wer sich einmal entschlossen hat, sein Kind einem Waldkindergarten anzuvertrauen, wird es in der Regel immer wieder tun. Das bestätigt Alexandra de Jong, die Mama von Arlette, 5. Schon deren ältere Schwester Jeanne, 7, gehörte zur Igelgruppe. Anfangs aber eher notgedrungen. Weil es durch den Umzug der Familie von Bayern nach Niedersachsen seinerzeit keine Alternative gab, wie Alexandra de Jong zugibt. Doch die Skepsis habe sich rasch gelegt, sagt die junge Mutter.

"In engen Räumen hat sich Jeanne oft aggressiv verhalten, ist sogar handgreiflich geworden. Als sie in den Waldkindergarten ging, wurde sie viel ausgeglichener, war weniger überdreht." Da es in der kleinen Gruppe weniger Stress und deutlich mehr Rückzugsmöglichkeiten gebe. Vor allem aber, weil dem natürlichen Bewegungsdrang der Kinder stärker Rechnung getragen werde. Und weil fantasievoller gespielt werde.

"Dass wir hier auch eine große Kiste mit buntem Plastikspielzeug haben, ist sicher nicht ganz astrein" räumt Jenny Jackstell ein. Es sei aber der Tatsache geschuldet, dass zur Gruppe eben auch Dreijährige gehören. Ansonsten werde dem selbstbestimmten, kreativen Spiel mit all dem, was der natürliche Lebensraum Wald biete, aber buchstäblich viel Raum gelassen. So wird ein knorriger Ast unversehens zum Bohrer, zur Säge, zum Hammer, zum Mikrofon, zur Käferbrücke, zum Zauberstab.

Im Wald verschwimmen auch die vermeintlich geschlechtstypischen Spielmuster. Daniel und Nick, beide 4, backen durchaus gern mal einen Sandkuchen. Während Arlette konzentriert an einem Stück Holz schnitzt. "Bei allem, was die Kinder im Wald tun, lernen sie spielerisch unglaublich viel, ohne dass es ihnen bewusst wird", sagt Jenny Jackstell. Die Sinne würden in einer Weise geschärft, wie es bei der Beschäftigung in geschlossenen Räumen so nie möglich wäre: "Es ist das klassische learning by doing in seiner ursprünglichsten Form."

Nicht minder wertvoll sind die intensiven Erfahrungen in und mit der Natur. Das Beobachten von Tieren. Das bewusste Erleben von Tag und Nacht, des Wechsels der Jahreszeiten, des Zusammenspiels der Elemente. Dass dabei zumeist Matschhose und Regenjacke getragen werden müssen, findet Arlette de Jong, die doch so gern Kleider trägt, doof. Dass sie, anders als viele Nachbarkinder, aber allein auf fast jeden Baum (und auch wieder herunter) kommt, macht sie stolz. Vieles von dem, was sie im Waldkindergarten am Höllenschluchtweg gelernt hat, wird sie bald auch an Tristan weitergeben. Ihren drei Jahre alten Bruder, der ab Herbst ebenfalls zur Igelgruppe gehören wird.

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