Der Nachwuchs rennt den Fußballabteilungen der Hamburger Sportvereine die Bude ein. Grund dafür soll die Europameisterschaft sein.

Stade. Von der Sommerferienpause ist in der Geschäftsstelle des Harburger Turnerbundes von 1865 am Vahrenwinkelweg 28 herzlich wenig zu spüren. Das Fax rattert, die Telefone stehen nur selten still. Und auf dem Schreibtisch von Geschäftsführer Torsten Schlage türmen sich Akten, Briefe und andere Dokumente wie eh und je. "Ja", bestätigt der 51-Jährige, "die Fußball-Europameisterschaft macht sich schon bemerkbar. 20 bis 30 neue Mitgliedsanträge waren es bestimmt."

Wenn Deutschlands Elitekicker bei bedeutenden Turnieren groß aufspielen, findet das fast immer sein Echo auch in den Clubs und Vereinen daheim. Das Fernsehen trägt die Feststimmung in den Stadien bis in die letzte gute Stube. Wo dann manch Filius von einer Karriere auf der grünen Kickerbühne träumt. Zuweilen sind es freilich auch nur die Väter - stellvertretend für die Herren Söhne. Doch das ist eine andere Geschichte.

Die beiden Kunstrasenplätze auf der Jahnhöhe sind bestens ausgebucht

Vereine wie der HTB registrieren jedenfalls auch diesmal erheblichen Zulauf für ihre Fußballabteilungen. Wobei die beiden Kunstrasenplätze auf der Heimfelder Jahnhöhe schon jetzt bestens ausgebucht sind. "Wir haben etwa 550 Mitglieder, die sich auf insgesamt 28 Teams verteilen. Ich bin jetzt seit 20 Jahren beim HTB, mehr Fußballer gab es bei uns meines Wissens nie", sagt Spartenleiter Heinz Schwede.

Was logistisch nicht immer leicht zu händeln ist. Schließlich müssen sich die Fußballer die beiden Plätze mit den American Footballern des Vereins, den Hamburg Ravens, teilen. Zwar gibt es in nächster Nachbarschaft, gleich jenseits des Vahrenwinkelwegs einen der besten Rasenplätze Harburgs überhaupt. Doch der gehört der Turnerschaft Harburg. Und darf von den HTB-Mannschaften nicht genutzt werden.

"Das ist für mich eine verschenkte Fläche", sagt Schwede und bedauert außerordentlich, "dass sich der TSH-Vorstand bislang zu keiner Kooperation mit unserer Fußballabteilung durchringen konnte". So müssen die HTB-Teams im Sommer auf einen Platz am Ehestorfer Weg ausweichen, im Winter werden auch sechs verschiedene Schulsporthallen genutzt.

Ein Problem ist auch die Betreuung der vielen Teams im Jugendbereich. Wenn wie beim Jahrgang 2006 im Frühjahr bis zu 20 Jungen die Jahnhöhe stürmen, gerät ein einzelner junger Trainer schnell mal an seine Grenzen. Und würden sich dann nicht immer wieder einzelne Väter finden, die ihn bei bestimmten Übungen tatkräftig unterstützen, wäre ein geordneter Trainingsbetrieb kaum umsetzbar.

"Wir achten beim HTB schon darauf, dass alle unsere Trainer und Übungsleiter über entsprechende Qualifikationen verfügen", sagt Fußballobmann Heinz Schwede. Alle Helfer sollten deshalb nach Möglichkeit im Besitz von Lizenzen des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) sein. Er freue sich aber auch darüber, dass der DFB-Stützpunkttrainer Nail Toumi des Öfteren auf der Jahnhöhe weile, um den HTB-Coaches mit Rat und Tat zur Seite zu stehen.

Für die Trainer vom FC Süderelbe interessiert sich auch der HSV

Ausreichend ehrenamtliche Trainer und Betreuer zu finden sieht auch Matthias Nehls, Fußball-Obmann und zweiter Vorsitzende des FC Süderelbe als größtes Problem. Denn auch der FCS verzeichnet nach großen internationalen Turnieren immer wieder viel Zulauf. "Einen besonders großen Schub gab es nach der WM 2006, als wir sogar unsere Mädchensparte wieder beleben konnten", sagt Nehls. Dass der Klub vom Kiesbarg, wo es seit dem Vorjahr auch einen neuen Kunstrasenplatz gibt, inzwischen zwei gute Trainer an die großen Hamburger Klubs FC St. Pauli und den HSV abgeben musste, wirkt da natürlich kontraproduktiv. Nehls: "Klar, fehlen sie uns. Dass sich erste Fußball-Adressen für unsere Coaches interessieren, beweist andererseits aber auch, dass beim FC Süderelbe erstklassige Arbeit geleistet wird. Und das ist schon ein Grund, stolz zu sein."

Klaus Klock ist Manager vom FC Türkiye Wilhelmsburg. Und macht einen engagierten Job. Auf seine Jungs, die zu Punktspielen in rot-weißen Trikots auf den Platz auflaufen, lässt er nichts kommen und scheut sich deshalb nicht, auch mal ruppig zu werden. "Ruf erst wieder an, wenn du unseren Vereinsnamen richtig aussprechen kannst", sagt er und knallt den Telefonhörer auf die Gabel. Toleranz und Respekt sind keine Worthülsen für ihn.

Fußball steht hoch im Kurs bei jungen Wilhelmsburgern mit Migrationshintergrund. Auf fast jedem Bolzplatz, jeder Wiese, auf der man ein Tor stellen kann, wird gebolzt. Bereits vor Beginn der Europameisterschaft meldeten sich 30 Neuzugänge beim FC an. Deshalb hat der Verein seine Jugendabteilung erweitert. Die Mitgliederzahlen sprechen für sich: 420 Sportbegeisterte, davon 300 Kinder und Jugendliche, sind dort registriert. Manager Klock wertet dies als Erfolg. "Das ist unser Anliegen, die Jugend für Sport zu gewinnen. 19 Jugendmannschaften werden deshalb bald an den Start gehen", sagt er.

Vor der Euro meldeten sich 30 Neuzugänge bei Türkiye Wilhelmsburg an

Das Clubheim, die Gaststätte "Anpfiff" an der Georg-Wilhelm-Straße, ist immer gut besucht, nicht nur zu den EM-Spielen. "Klar werden die Spiele der Europameisterschaft bei uns diskutiert", sagt Klock. Besonders ein Spieler der deutschen Nationalmannschaft ist Gesprächsthema bei Vereinsmitgliedern mit türkischen Wurzeln. "Mit ihm können sich viele Jungs identifizieren", sagt der Manager. Und träumen vielleicht von einer ähnlichen Karriere. Auch für den Gelsenkirchener Özil, so sagte er in einem Medieninterview, sei es einst ein Kindheitstraum gewesen, bei einem großen internationalen Turnier dabei zu sehen. Nicht nur auf der Tribüne, sondern als derjenige, der entscheidende Tore erzielt. Das ist vielen Jungfußballern vom FC Türkiye nicht fremd, auch, dass die Eltern und Großeltern einst aus der Türkei kamen, um hier eine neue Heimat zu finden. Zweisprachigkeit, zu hause türkisch, in der Schule deutsch - ebenfalls Alltag für viele Vereinsmitglieder. Dann das große Geld, die Millionen, die Özil als Spieler von Real Madrid nach hause bringt... "Viele von uns sind stolz darauf, dass Mesud Özil für Deutschland spielt - wenn auch einige nichts dagegen hätte, wenn Özil in der türkischen Nationalmannschaft spielen würde", sagt der Manager.

Den großen EM-Reklameeffekt für seine Mannschaften sieht Klock jedoch nicht. "Das kann ich mir nicht vorstellen. Die wollen halt einfach nur Fußball spielen."

Die Kinder- und Jugendkicker sind auch bei Grün-Weiß eine große Gruppe

"König Fußball" spielt auch beim Verein Grün-Weiss Harburg eine große Rolle. Auch hier bilden die Kicker aus den Kinder- und Jugendmannschaften den Hauptanteil in der Fußballsparte. "330 Fußballer haben wir. 280 Kinder und Jugendliche aller Altersklassen sind dabei", sagt Tobis Nawo, bei Grün-Weiss angestellt. Die Harburger hoffen, dass sich im Schatten der EM einige Kinder- und Jugendliche für eine Mitgliedschaft entscheiden. Und dabeibleiben. "Die Älteren, so ab Jahrgang 1998, springen ab", sagt Nawo. Gründe dafür seien zum einen der Ganztagsunterricht an den Schulen, der den Sprösslingen wenig Zeit für Freizeitaktivitäten ließe, zum anderen allerdings auch die Konkurrenz zu anderen Vereinen. Wie berichtet, tauchte Jugendtrainer Vesko Makocevic im Frühjahr während einer Bezirksversammlung im Rathaus mit seiner Mannschaft auf. Die Sportler protestierten, dass das Bezirksamt ihnen nur einen geringen Anteil an Trainingszeiten auf einem Rasenplatz zubillige. "Da wanderten einige Kinder zu benachbarten Vereinen ab, weil unter anderem Eltern nicht wollten, dass sich ihre Sprösslinge auf unserem Grandplatz verletzen könnten. Außerdem ist Fußball auf dem Rasen für den Nachwuchs einfach attraktiver", so der Trainer. Das Bezirksamt gab nach - und jetzt soll es bergauf gehen mit den Mitgliederzahlen.

"Ich bin mir sicher, dass sich nach den Ferien Kinder bis zu einem Alter von zehn Jahren bei uns anmelden werden", sagt Makocevic. Die würden sich in der Schule über Fußball und die EM unterhalten, Pannini-Bildchen sammeln - und ihren Idolen nacheifern wollen. Auf dem Rasenplatz. Versteht sich.