In der Buxtehuder Gemeinde St. Petri gibt es Konflikte um die Zukunft der Tafel. Superintendent Helmut Blanke nimmt im Interview Stellung.

Buxtehude. In der Buxtehuder Kirchengemeinde St. Petri herrscht derzeit Streit. Der Kirchenvorstand will die Trägerschaft der Tafel, die Bedürftige mit Lebensmitteln versorgt, an den Diakonieverband des evangelisch-lutherischen Kirchenkreises Buxtehude und Stade abgeben. Die Ehrenamtlichen sind dagegen und wollen aus Protest Ende Dezember ihre Arbeit niederlegen. Für heute ist ein Gespräch zwischen der Kirche und den Tafelmitarbeitern angesetzt, um die verfahrene Situation zu klären. Das Abendblatt sprach im Vorfeld mit Buxtehudes Superintendent Helmut Blanke.

Hamburger Abendblatt: Herr Blanke, muss man sich um die St-Petri-Kirchengemeinde Sorgen machen? Immerhin gibt es derzeit zwei offen ausgetragene Konflikte. Den um die Tafelabgabe und den um den geplanten Einbau eines neuen Raumes, einer sogenannten Winterkirche, ins Innere von St. Petri.

Helmut Blanke: Ich mache mir keine Zukunftssorgen um die Gemeinde. Es deutet eher auf eine Zukunftsfähigkeit der Gemeinde hin, wenn es unterschiedliche, profilierte Standpunkte gibt und diese zur Sprache kommen. Ich mache mir aber Sorgen darüber, wie diese Standpunkte diskutiert werden, weil ich immer stärker sehe, dass nicht die Sachfragen und die Menschen, vor allem die Kunden der Tafel, im Vordergrund stehen, sondern dass diese Auseinandersetzung in unguter Weise personalisiert wird. Es wird diffamiert und beleidigt. Das ist ein Umgang, der in der Kirche keinen Raum haben sollte. Aber unterschiedliche Standpunkte und kräftiger Streit sind nicht das Problem.

Als Demokrat sollte man dies also aushalten können?

Blanke: Ganz genau.

Bei der Winterkirchendebatte gab es Informationsveranstaltungen für die Gemeinde. Dennoch wurde der Vorwurf laut, der Kirchenvorstand ignoriere die Wünsche der Basis, verhalte sich also undemokratisch. Nun wird dieselbe Kritik im Zusammenhang mit der Tafel erhoben, wo es ja auch im Vorfeld Gespräche gab. Hat die Buxtehuder Kirche ein Kommunikationsproblem?

Blanke: Die Frage ist nicht ganz einfach und ich habe viel darüber nachgedacht. Ich meine inzwischen, dass es eher eine Frage unterschiedlicher Standpunkte ist. Der Kirchenvorstand ist ein repräsentatives, demokratisch gewähltes Gremium. Wir haben keine Basisdemokratie in der Kirche. Das ist in unserem Staat nicht anders und, so finde ich, auch vernünftig. Der Kirchenvorstand muss sehr genau hinhören, was die Basis sagt, doch er muss dann seine Entscheidung treffen und verantworten. Da kann es nicht sein, dass die Leute, die am lautesten schreien, der Maßstab sind. Es geht um die verantwortbaren Argumente. Wenn ein neuer Vorstand gewählt wird, können die Gemeindemitglieder mit ihrem Votum später entscheiden, wie zufrieden sie mit der Arbeit des Vorstandes sind.

Ein neuer Vorstand könnte eine Tafelabgabe rückgängig machen?

Blanke: Rein theoretisch gibt es Wege, aber ich halte sie für unwahrscheinlich.

Wieso sträuben sich die Gemeinde und die Mitarbeiter der Tafel grundsätzlich gegen eine Abgabe der Tafel an eine übergeordnete Instanz? In Stade funktioniert das relativ problemlos.

Blanke: Ich habe auch Schwierigkeiten, das nachzuvollziehen. Auch, weil es sehr gute Erfahrungen mit der Arbeit der Diakonie gibt und weil bekannt ist, dass der Verband über viel Erfahrung und Know-how verfügt. Für die Diakonie ist es selbstverständlich, ihre eigene Arbeit immer wieder kritisch zu hinterfragen. Ich kann mir vorstellen, dass es bei einigen Ängste auslöst.

In welcher Form?

Blanke: Ehrenamtliche investieren viel Zeit in die Tafel. Kritische Fragen können dahingehend missverstanden werden, dass ihre Arbeit, die in der Freizeit geschieht, nicht richtig gewürdigt wird. Ich bin aber sicher, dass sich diese Ängste schnell auflösen werden. Das zeigt auch ein Blick auf die anderen Tafeln im Diakonieverband.

Es muss doch derzeit gewisse Probleme bei der Tafel geben, ansonsten würde eine Umstrukturierung ja keinen Sinn ergeben. Was sind die Probleme?

Blanke: Der Träger einer Tafel ist immer mit grundsätzlichen Fragen konfrontiert, wie etwa jener, ob eine Tafelarbeit nicht die soziale Spaltung der Gesellschaft kaschiert. Eine andere Frage ist, ob die Arbeit der Tafel, wie wir sie hier betreiben, nicht unter Umständen Armutsverhältnisse stabilisiert. Und verleiht die Tafelarbeit den Menschen ein gutes Gewissen, die Lebensmittel entsorgen müssen? Der Träger muss diese Fragen bei jeder Entscheidung berücksichtigen. Unbestreitbar ist, dass Nothilfe geleistet werden muss. Gesellschaftliche Verantwortung und die Tatsache, Nothilfe leisten zu müssen, stellt einen überwiegend ehrenamtlichen Kirchenvorstand vor große Herausforderungen. Dass Kirchenvorsteher an Grenzen kommen und sagen, dass die Aufgabe ihnen zu groß wird und dass ihnen das Know-how fehlt, um die Trägerschaft verantwortungsvoll weiterzuführen, kann ich nachvollziehen. Ich unterstütze diese Entscheidung.

Welche Vorteile böte denn Ihrer Ansicht nach eine Abgabe der Trägerschaft für die Mitarbeiter der Tafel?

Blanke: Die Arbeit kann intensiver und professioneller vom Träger begleitet werden.

Was bedeutet das konkret?

Blanke: Die Gefahr wird vermindert, dass Tafel-Mitarbeitende etwas gut meinen, der Effekt aber gegenteilig ist. Die Einrichtung eines Lieferservices könnte ein Beispiel dafür sein. Es gibt einen Bedarf und die Idee ist gut gemeint. Wird aber vielleicht die Isolation von Menschen mit einem solchen Service gefördert? Solche Fragen zu klären, braucht Zeit und Fachkompetenz.

Würde sich für die Kunden der Tafel etwas grundlegend ändern?

Blanke: Zunächst ist wichtig, was gleich bleibt: Das Angebot der Tafel. Menschen, die in Not sind, werden weiterhin Hilfe finden. Das bleibt oberstes Ziel. Sicher wird es auch Änderungen geben. Die Diakonie hat Standards die ihr wichtig sind. Etwa, dass es nicht darum geht, Almosen zu verteilen. Hilfe zur Selbsthilfe ist ein Grundsatz. Dazu gehört auch, die Selbstbestimmtheit der Menschen zu erhalten. Diese Standards fließen in die Arbeit ein. Bei dem Streit um Tüten- oder Ladensystem geht es genau um diese Grundfragen. Und da wird sich etwas ändern.

Warum werden diese Ansichten von den Betroffenen offenbar nicht geteilt?

Blanke: Ich kann da im Moment nur die Aussage machen, dass diese Menschen vielleicht noch nicht die Erfahrung mit dem neuen System gemacht haben.

Die Idee, einen externen Schlichter zu benennen, steht im Raum. Nun schlägt auch Landessuperintendent Hans Christian Brandy einen Schlichter vor...

Blanke: Wenn es um ein wichtiges Ziel geht und es bei Gesprächen Probleme gibt, gehört es zur Professionalität, einen Moderator hinzuzuholen. Das halte ich für sinnvoll und ich gehe davon aus, dass beim anstehenden Gespräch ein Moderatordabei sein wird. Denn unser Ziel ist ja, das Angebot der Tafel zu erhalten. Ein Moderator darf aber nicht involviert oder parteiisch sein. Er darf auch nicht aus Buxtehude kommen. Es ist aber gut, wenn ein Moderator Sachkenntnis von Kirchenstrukturen und der Arbeit der Diakonie hat.

Ärgert es sie nicht, dass die Petri-Kirchengemeinde abermals kurz vor Weihnachten einem Zwist ausgesetzt ist? Es schadet der Reputation der Institution Kirche doch ungemein, wenn solche Konflikte gerade zur Weihnachtszeit aufkommen.

Blanke: Streit und Auseinandersetzungen schaden der Kirche nicht. Wenn man meint, dies dürfe es in der Kirche nicht geben, hat man eine falsche Vorstellung. Aber es kommt darauf an, wie gestritten wird. Der Umgang mit Menschen wie zurzeit in Buxtehude schadet der Kirche. Die Weihnachtsgeschichte ist übrigens auch recht konfliktbeladen. Der Himmel musste eingreifen. Ich begreife die Weihnachtszeit als Chance: Vielleicht gibt es auch ein Eingreifen des Himmels, so dass der Streit in Buxtehude ein gutes Ende nimmt.