Er war knorrig, autoritär - und er war beliebt. Jetzt verlässt Gerhard Gerken, langjähriger Bargstedter Bürgermeister, die Kommunalpolitik.

Bargstedt. Es ist ein echter Typ, der da abtritt. Sehr speziell und eigen, gleichzeitig eben typisch - für eine Ära, eine Region und eine bestimmte Art, Bürgermeister zu sein. Menschen wie er werden nach der Kommunalwahl erneut rarer in der Politik, vielleicht werden sie uns schon bald so kurios vorkommen wie die Männer mit den Hüten und den Zwirbelbärten, die uns von Schwarz-Weiß-Fotos in Fotoalben und Geschichtsbüchern entgegenblicken.

Deshalb ist es allerhöchste Zeit, den Blick auf ihn zu richten: Gerhard Gerken, seines Zeichens Bürgermeister der kleinen Gemeinde Bargstedt. Seit 20 Jahren übt er das Amt aus, doch eigentlich hat er fast die ganze Nachkriegszeit über die Geschicke des ländlichen Ortes geprägt. Er verfolgte seine Ziele, autoritär und manchmal stur - und schaffte es dennoch, dass der Gemeinderat diese Entscheidungen mittrug. Er konnte mit wenigen Worten eine Sitzung leiten - und auch mal einen frechen Spruch auf Kosten eines Ratsmitglieds vom Stapel lassen. Nebenbei war und ist Gerken so etwas wie das lebendige Gedächtnis seines Ortes - nicht zuletzt, weil er als Bürgermeister selbstverständlich Goldene Hochzeiten und Geburtstage besuchte.

Vorbei: Morgen wird Gerhard Gerken zum letzten Mal eine Ratssitzung leiten, danach verabschiedet er sich in den Ruhestand.

"Hier wurden 20 Jahre lang Entscheidungen getroffen", sagt der kleine, weißhaarige Mann und klopft grinsend auf einen schweren Holztisch, der unter einer mit Stoff bespannten, altmodischen Lampe steht. Der schwere Holztisch steht in Gerhard Gerkens Bürgermeister-Büro - und das befindet sich in seinem Privathaus in Bargstedt. "Mein Nachfolger bekommt ein Büro in der Gemeindeverwaltung. Aber ich hatte so was nie", sagt der 73-Jährige.

Hatte er nicht, brauchte er auch nicht: An dem Holztisch versammelte Gerhard Gerken jahrzehntelang die Fraktionsvorsitzenden. Das Resultat dieser Gespräche waren häufig einstimmige Beschlüsse im Rat. "Gerhard Gerken hat im Vorwege immer schon viele Dinge gelöst", sagt dazu Bernd Meinke, der als Vertreter der Verwaltung lange Zeit mit Gerken zusammengearbeitet hat. "Nicht lange schnacken, sondern hemdsärmelig die Dinge lösen" sei sein Motto gewesen. Gerhard Gerken sagt selbst über seinen Führungsstil: "Demokratie geht nicht über alles. Wenn man von einer Sache überzeugt ist, dann muss man sie auch tun."

Wer Gerhard Gerken verstehen will, muss zurückreisen - in das Jahr 1953, als alles beginnt. Als 15-Jähriger zieht Gerken aus seinem Heimatort Farven in das acht Kilometer entfernte Bargstedt, um dort eine Lehre als Verwaltungsangestellter zu beginnen. Sein "Lehrherr", wie er sagt, ist kein Geringerer als der damalige Bürgermeister Willi Heinz. Der Mann der Deutschen Partei (DP) führt in dem Ort ein strenges Regiment - und das lässt er auch seinem Lehrling angedeihen, der bei ihm mit im Haus wohnt, das gleichzeitig der Verwaltungssitz ist.

"Es war so was von brutal. Ich musste Kohlen schleppen und Beeren pflücken, aber auch darauf achten, dass Bauern die Straßen richtig erneuerten", sagt Gerken über seine damaligen Aufgaben. Immerhin: Das Organisieren lernte er. Und: "Ich habe von Willi Heinz das zielorientierte Arbeiten übernommen."

1968 ist es so weit, dass Gerken - nach einem Intermezzo als Buchhalter in Buxtehude - selbst in die Bargstedter Politik eintritt. Als Parteiloser wird er Stellvertreter des Bürgermeisters, drei Jahre später tritt er in die CDU ein. "Das war der einzige Weg, Dinge mitentscheiden zu können", sagt er lapidar. Und entscheiden, das tut er: als Stellvertreter des Bürgermeisters, dann als Fraktionsvorsitzender, seit 1991 als Bürgermeister. Später gehört er auch dem Harsefelder Samtgemeinderat an, sitzt im einflussreichen Verwaltungs- und im Finanzausschuss. Außerdem ist da ja noch sein Beruf als Landverpächter - und natürlich die Arbeit als Vorsitzender des Kreissportbundes. Ein weiteres Amt, das er jetzt niederlegt.

"Zusammengerechnet komme ich auf 250 Jahre Ehrenamt. Aber ich hatte nie ein Privatleben", sagt Gerken, der nach dem Tod seiner Frau mit einer neuen Lebenspartnerin zusammenlebt.

Und hat er sich denn gelohnt, der Verzicht, das Aufgehen in Ämtern und Funktionen, das Gerken heute so anachronistisch wirken lässt? "Ich kann Bargstedt vorzeigen", sagt er. Als Beispiele für wichtige Entscheidungen nennt er die beiden großen Baugebiete sowie den Bau des Kindergartens, der vor vier Jahren erweitert wurde. Beispiele dafür, dass es mal nicht so lief, gibt es auch: Zum Beispiel, als Gerken sämtliche Hunde in der Gemeinde zählen lassen wollte, um die Zahlungsmoral bei der Hundesteuer zu verbessern. Doch dieses Vorhaben wurde von höherer Stelle verboten.

Wo die Aufgaben für die Zukunft liegen, weiß er auch - aber er möchte seinem Nachfolger nicht hereinreden. Nur eine Sache, die weiß er noch überhaupt nicht: Nämlich, was er jetzt mit seiner Freizeit anfangen soll. "Ehrlich gesagt, ich habe keine Ahnung", sagt er auf die Frage.