Anke Bellmann zeigt Interessierten im Buxtehuder Stadtpark, wie einfache Übungen die Energie im Körper zum Fließen bringen.

Buxtehude. Um 17 Uhr sind die Zeichen auf Entspannung gestellt. "Luft holen, Arme lockern und den linken Fuß kreisen lassen", sagt Anke Bellmann und macht vor, wie's geht. Fast 40 Frauen und eine Handvoll Männer sind an diesem sonnigen Spätnachmittag in den Buxtehuder Stadtpark gekommen, um sich in die Kunst des Qigong einweisen zu lassen. Für viele der Passanten ein Anblick, der durchaus Fragen aufwirft - verbindet man solche Szenen doch eher mit asiatischen Ländern, in denen früh morgens im Park ganze Heerscharen zusammenkommen, um ihre Kräfte für den stressigen Alltag zu mobilisieren.

Eine halbe Stunde lang weist die Trainerin kostenlos in Qigong ein

Doch jetzt erobert Qigong auch die öffentlichen Plätze der Estestadt. Das Qi, was sich in etwa mit Lebensenergie, Vitalität, Lebendigkeit übersetzen lässt, fließt durch die Stadt und schlängelt sich in alle Bereiche des Alltags. Qi, was? Wer sich diese Frage stellt, ist bei einer der kostenlosen Stadtpark-Einheiten von Anke Bellmann genau richtig. Eine halbe Stunde lang zeigt sie dort noch bis Ende der niedersächsischen Sommerferien jeden Mittwoch Übungen, die jeder nachmachen kann.

"Und jetzt greifen sie sich frische Energie aus der Luft und schieben den ganzen Ballast nach vorne weg", sagt die Trainerin. Die Teilnehmer folgen ihren Anweisungen ganz genau und lassen sich selbst von zwei Jugendlichen nicht irritieren, die mit einem Bier in der Hand angelaufen kommen und sich zu der Gruppe stellen. "Ey Alter, das sind ja Verrenkungen", sagt einer von ihnen. Nö, da machen sie lieber doch nicht mit und ziehen von dannen.

Selbst Schuld, denn obwohl manche der Übungen etwas komplizierter sind, nehmen es Anke Bellmann und die Teilnehmer mit Humor. "Jemand verheddert?", fragt sie. Doch es besteht kein Grund zur Sorge, alle Arme und Beine sind knotenfrei geblieben. Und weiter geht's. Arme langsam hoch, halten und wieder runter. Dann Füße auseinander, Oberkörper nach rechts und die Arme seitlich hoch. Die Übungen laufen wie am Schnürchen - obwohl das eigentlich der falsche Ausdruck ist, denn Qigong soll eher den Alltag entschleunigen und die Teilnehmer feinfühliger für ihren Körper und ihre Bedürfnisse machen.

"Man geht aufrechter durch die Welt und sieht die Dinge viel positiver", beschreibt Anke Bellmann die Auswirkungen von Qigong. Für die Konzentration, die Psyche und die allgemeine Gesundheit sei diese Art von "Meditation in Bewegungen" ideal. "Manche Leute erzählen mir, dass sie sich komplett verwandelt haben." Das Interessante dabei: Zunächst ist einem das selbst gar nicht bewusst, erst nach und nach wird es spürbar.

Das gilt auch für Natalie Kohler, 20, und Melanie Jurgeleit, 21. Die zwei Freundinnen sind heute zum ersten Mal dabei und überlegen noch, ob Qigong wirklich etwas für sie ist. "Ich dachte, es wäre etwas anstrengender", sagt Natalie Kohler, als die halbe Stunde vorbei ist. Gefallen habe es ihnen aber auf jeden Fall, sind sich die Buxtehuderinnen einig. Und zumindest haben sie sich so intensiv auf die Übungen eingelassen, dass sie den Lärm der über ihre Köpfe hinweg surrenden Flugzeuge gar nicht mitbekommen haben.

"Wenn ich Stress habe, hilft es mir", sagt Irene Bruns aus Buxtehude, die bereits zum zweiten Mal in den Stadtpark gekommen ist. Die 58-Jährige hat vor einiger Zeit schon einmal Qigong-Kurse besucht und freut sich jetzt, ihre Kenntnisse wieder aufzufrischen. "Zu Hause ist es doch ein bisschen schwer, die Übungen richtig hinzukriegen." Auch Herbert Sumfleth aus Wisch ist begeistert von den positiven Auswirkungen. Für den 70-Jährigen, der früher auf dem familiären Obstbaubetrieb gearbeitet hat und durch die Verwendung heutzutage längst verbotener Behandlungsmittel krank geworden ist, sind die Übungen die reinste Wohltat. "Danach fühle ich mich wieder etwas normaler."

Mitarbeiter der Stadtverwaltung gehen entspannt zu wichtigen Terminen

Selbst die Buxtehuder Stadtverwaltung hat vor Kurzem die Vorteile von Qigong für sich entdeckt. Einmal pro Woche kommt Anke Bellmann zur Mittagspause ins Stadthaus und bringt den Mitarbeitern die Übungen nahe. Viele hätten bereits gesagt, dass sie wichtige Termine nur noch auf den Nachmittag legen, erzählt die Trainerin. "Weil sie dann so unglaublich entspannt sind."

Qigong drückt auf die Stopptaste. "Wir wissen doch häufig gar nicht mehr, was wir tun", sagt Anke Bellmann. Das Leben saust in rasender Geschwindigkeit vorbei, ohne dass man sich seiner selbst bewusst ist, sich spürt. Qigong, da ist sie sich sicher, weise einen Ausweg daraus auf. Es zeigt das richtige Atmen, löst Blockaden im Energiefluss des Körpers und zaubert ein Lächeln ins Gesicht. "Wenn man dieses Lächeln mitnimmt und an jeder roten Ampel daran denkt, ist das schon der erste Schritt."