Wenn es nach der Stader SPD geht, tritt Bürgermeisterin Silvia Nieber die Nachfolge von Andreas Rieckhof an. Grund genug für einen Ortstermin

Bad Münder. Die Sonne scheint auf das kleine Städtchen, dass zwischen den barocken Herrenhäuser Gärten und der Rattenfängerstadt Hameln liegt. Hier, am Rande des Weserberglandes, versteckt hinter Hügeln und grünen Wiesen, liegt Bad Münder. Die Stadt, in der die SPD-Politikerin Sylvia Nieber Bürgermeisterin ist, es aber schon bald nicht mehr sein könnte. Die Frau aus Bad Münder bewirbt sich in Stade um das Bürgermeisteramt, um die Nachfolge von Andreas Rieckhof, der nach der Hamburger Bürgerschaftswahl dem Lockruf seines Studien- und Parteikollegen Olaf Scholz gefolgt ist und den Posten eines Hamburger Staatsrates übernommen hat.

Silvia Nieber ist von den Stader Genossen auserkoren worden, die Lück re im Stader Rathaus zu füllen. Einstimmig bei zwei Enthaltungen wurde sie von der Stader SPD-Basis zur Kandidatin gekürt. Seit 2000 ist Nieber Bürgermeisterin in Bad Münder. Gegen ihren lokalen CDU-Konkurrenten gewann sie mit einer klaren Mehrheit von 62 Prozent, 2006 wurde sie wiedergewählt. Doch sollte sie von den Stader Bürgern bei der Kommunalwahl zur neuen Bürgermeisterin der Hansestadt gewählt werden, müsste sie ihren Posten in Bad Münder abgeben.

Ortstermin in Bad Münder. Die Stadt hat es schwer, sagen viele Bürger. Die Stadtkasse ist leer, 35 Millionen Euro Schulden hat die Stadt, politische und städtebauliche Gestaltungsmöglichkeiten sind rar. Dass die Bürgermeisterin die Chance, nach Stade zu gehen, wahrnehmen will - viele haben Verständnis dafür, denn in Bad Münder sei kein Staat zu machen. Ein Blick in die Altstadt verdeutlicht dies schnell.

Der Ort steht still, Geschäfte öffnen und schließen bald darauf wieder

Viele Fachwerkhäuser zieren das Zentrum der 18 000 Einwohner zählenden Stadt. Pittoresk ist der Ort, der viel auf seinen Schützenverein gibt. Ein grüner Kurpark mit Sole-Anlagen liegt am Rande der Altstadt, Cafés säumen die Fußgängerzone, einige Bürger essen im Sonnenschein ein Eis. Aus einem Restaurant klingt Musik. Die dort abgespielte "Gipsy-Kings"-CD ist ins Stocken geraten, kommt nicht weiter vorwärts - so wie der Ort.

Im Jahrestakt werden Geschäfte eröffnet, ein Jahr später sind viele wieder von der Bildfläche verschwunden. Es gebe zu viel Leerstand, erzählt eine Verkäuferin, die vor einigen Jahren aus Hameln hinzugezogen ist. Und Bad Münder vergreise. "Dafür kann die Bürgermeisterin aber nichts. Das ist ein generelles Strukturproblem in dieser Region", sagt die 48-jährige Fachverkäuferin. Dass der Ort stillstehe, das zeige auch das Geschäftsverständnis der Menschen. In Bad Münder werden Mittags die Geschäfte geschlossen - zur Mittagspause. "Das kann sich kein Einzelhändler in einer anderen Stadt heutzutage erlauben. Die Uhren sind hier stehen geblieben", sagt die Frau. Dass Nieber sich für eine größere Stadt als Bad Münder als Bürgermeisterin bewerbe, sei da nachvollziehbar.

Das findet auch Beatrice Nehmann, FDP-Fraktionschefin im Stadtrat. "Es ist für uns in Ordnung, dass sie sich woanders umschaut, sie ist jetzt 50. Der Zeitpunkt ist verständlich", sagt Nehmann. Zudem sei mit den Altschulden, die die Stadt drücken, wenig Gestaltungsraum vorhanden. "Trotz der Schulden, Frau Nieber ist kompetent. Und sie ist freundlich, umgänglich und sympathisch", sagt Nehmann, Auch Dieter Hainer, der für die Tafel in Bad Münder arbeitet, wäre Nieber nicht böse, sollte sie weggehen. "Es ist natürlich schade, dass sie gehen will, aber bei der finanziellen Lage der Stadt bleibt ihr hier kein Gestaltungsspielraum. Was soll sie hier noch machen, wenn sie nicht einmal vernünftig im Rat unterstützt wird?", sagt der 68-Jährige.

Mangelnde Rückendeckung für die Bürgermeisterin in der eigenen Partei?

Auch der CDU-Fraktionschef Harald Einecke sieht das so. "Die SPD hat einiges kaputt geredet, was Frau Nieber auf den Weg bringen wollte", sagt er. Die CDU habe, anders als die Genossen, mit der Bürgermeisterin kein Problem, eher das Gegenteil sei der Fall. "Sie versucht, alle Parteien einzubinden, das ist sinnvoll. Aber ihre Parteifreunde konnte sie leider nicht immer überzeugen, vor allem, wenn es um einen harten Sparkurs ging." Doch es gibt auch Kritik an der Bürgermeisterin. "Sie hat sich vielleicht um zu viel Bürgernähe bemüht. Dabei ist die Verwaltungsarbeit eventuell etwas zu kurz gekommen", so Einecke. Und sie habe es versäumt, ausreichend Kontakte zu höheren Ebenen zu knüpfen. "Das wäre für Förderprojekte wichtig gewesen", so der CDU-Politiker. Und als sie Bürgermeisterin geworden ist, hätte sie früher finanziell auf die Bremse treten müssen. "Ihr fehlte vorher die kommunalpolitische Erfahrung, sie ist vielleicht etwas zu naiv an das Amt herangegangen", sagt Einecke.

Die Finanznot der Stadt habe die Politikerin ausgebremst

Rolf Wittich, SPD-Fraktionschef, würde Nieber vermissen, sollte sie nach Stade gehen. "Sie ist pflichtbewusst und weiß, was sie will. Sie hat ihre Ideen, wie etwa ein zentrumsnahen Markt, gut umgesetzt. Aber die Schuldenlage der Stadt hat auch manche Idee, wie den Bau eines Freizeitparks, an dem die Stadt schon seit Jahrzehnten plant, vorläufig gestoppt", sagt Wittich. Zu den Querelen im Rat sagt er: "Wir haben uns jetzt endlich aneinander gewöhnt." Für die Stadt und vor allem für die SPD sei es deshalb ein Verlust, wenn sie nach Stade gehen sollte. Wenigstens Niebers Zukunftskonzept für die Stadt, so hofft er, werde man noch gemeinsam verabschieden können.

Auch Gabriele Grothjahn würde einen Abgang der Bürgermeisterin bedauern. Die 47-Jährige hat ein Blumengeschäft im Stadtzentrum. Die Bürgermeisterin hat oft bei ihr gekauft. "Die Nieber ist jung geblieben", sagt Grothjahn. Frisch und fröhlich sei sie. "Und wenn sie der Rat nicht blockieren würde, dann könnte die hier auch etwas bewegen", sagt die Floristin.

Ohne Rückendeckung im Rat ginge halt nichts. Dass Nieber die Konsequenzen ziehe und sich woanders umsehe, sei nachvollziehbar. Und wenn es in Stade nicht klappen sollte, dann solle sie in Bad Münder weitermachen. Damit hätten übrigens auch die SPD und die FDP kein Problem. "Wir würden sie wieder im Rat begrüßen, sollte sie doch nicht in Stade Bürgermeisterin werden", sagt die FDP-Vorsitzende. Die SPD wolle Nieber ohnehin am liebsten behalten.

Auch Timo Holstein würde der Bürgermeisterin ein wenig nachtrauern. "Sie ist nett, eine gute Frau.", sagt der 38-jährige Fleischer. Bürgernah sei sie, umgänglich und gar nicht abgehoben. Und die Chance, in Stade den Posten zu bekommen, solle sie nutzen. Böse wäre ihr niemand in der Stadt, wenn sie weg ginge, glaubt Holstein.

Nicht ganz: Eine Rentnerin sagt offen, dass sie sehr glücklich wäre, wenn Nieber fortgehen würde. "Die Frau hat hier gar nichts zustande gebracht", sagt die 77-Jährige. "Die Stader werden sich noch wundern über diese Frau. Sie mag keine Hunde. Und dann hat sie hier lauter Märkte angesiedelt, die wir nicht brauchen.", sagt sie. Eitel sei Nieber, würde gerne im Mittelpunkt stehen. Andere Bürger kritisieren, dass Nieber die Stadt nur als Karriere-Sprungbrett nutze. Sie verlasse die Stadt "wie die Ratten das sinkende Schiff". Über soviel Missgunst kann Hannelore Saul vom Antik-Café nur den Kopf schütteln. "Ich weiß nicht, was manche hier haben. Sie ist ein positiver, engagierter Mensch. "Wenn die Stader sie zur Bürgermeisterin wählen, dann ist das für Stade und Frau Nieber sicher gut", sagt Saul.