Bei einem Interview mit dem Energie-Experten Wilhelm von Elling geht es um den Nutzen von Kohlekraftwerken und die Zukunft der Flüsse.

Stade/Buxtehude. Der Vorgang trägt Züge einer Revolution: Während noch vor wenigen Monaten die Laufzeiten der deutschen Atomkraftwerke verlängert wurden, wird jetzt in allen politischen Lagern über den schnellstmöglichen Ausstieg debattiert. Gleichzeitig aber macht es der Klimaschutz unmöglich, langfristig auf Kohle und Öl zu setzen. Alles spricht also für einen schnellen Umstieg auf Wind- und Solarenergie sowie auf Biogas. In unserer vierteiligen Serie haben wir vorgestellt, über welche erneuerbaren Energiequellen der Landkreis Stade bereits verfügt und wo es noch Probleme gibt. Im heutigen, letzten Teil bewertet Wilhelm von Elling, der Energieexperte der Verbraucherzentralen Stade, Buxtehude und Cuxhaven, den Stand und die Perspektiven.

Hamburger Abendblatt:

Herr von Elling, wie weit ist der Landkreis Stade mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien?

Wilhelm von Elling:

Nicht besonders weit. Im Vergleich mit anderen Kommunen in Deutschland liegt der Kreis etwa im unteren Drittel. Auch in Niedersachsen sind andere Kommunen weitaus innovativer, zum Beispiel Osnabrück im Bereich des Solarstroms.

Wo hapert es denn im Landkreis Stade?

Von Elling:

Besonders im Bereich der Photovoltaik. Ich denke, da ist unser Potenzial höchstens zu zehn Prozent ausgenutzt. Es müsste viel mehr Solardächer geben, auf privaten und öffentlichen Gebäuden. Um das zu fördern, könnte man beispielsweise ein Modell, wie es jüngst auch in Osnabrück umgesetzt wurde, übernehmen. Da gibt es ein öffentlich zugängliches Solarkataster, das auch im Internet einsehbar ist. Dächer, die für Solaranlagen geeignet sind, sind dort verzeichnet - man kann also auch das eigene Hausdach auf der Liste finden. Auch wer sich an einer Bürgersolaranlage beteiligen will, findet Informationen.

Wie steht es denn mit der Windkraft? Da hat sich im Landkreis doch schon einiges getan.

Von Elling:

Wenn man nur die Windparks betrachtet, ist das richtig. Das Flächenpotenzial ist so gut wie ausgenutzt. Aber bei Kleinst-Windkraftanlagen, die in Gärten von Privathäusern stehen, kann sich noch viel mehr tun. Diese Anlagen sind nur zehn bist zwölf Meter hoch, die Rotoren zwischen eineinhalb und drei Metern groß. Trotzdem ist das Genehmigungsverfahren fast so aufwendig wie für eine hundert Meter hohe Anlage. Diese Verfahren müssten stark vereinfacht werden, denn die Bürokratie schreckt viele Menschen ab.

Und wie sieht es im Bereich der Biogas-Anlagen aus?

Von Elling:

Die Anlagen boomen in der Region gerade unheimlich. Gleichzeitig wird vieles kontrovers diskutiert, was auch richtig ist. Denn häufig wird zu sehr auf Mais als Rohstoff gesetzt, mit der Gefahr, dass Monokulturen entstehen und die Böden ausgelaugt werden. Ein aktuelles, positives Beispiel gibt es in der Samtgemeinde Apensen. Dort planen mehrere Landwirte eine gemeinsame Biogasanlage mit Gasproduktion, wie es sie beispielsweise auch bei Hannover gibt. Die Betreiber setzen dabei aber auch auf andere Energiepflanzen und wollen so eine Fruchtfolge auf den Feldern erhalten.

Dennoch gibt es Landwirte, die über steigende Pachtpreise für Ackerland klagen, als Folge des Biogas-Booms. Auch bei der Windkraft gibt es Anwohner, die sich gegen neue Parks wehren. Sind das nicht Grenzen, die dem weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien entgegen stehen?

Von Elling:

Es ist natürlich wichtig, dass die Eingriffe in die Natur möglichst gering bleiben. Ich bin zum Beispiel der Meinung, dass im Landkreis Stade keine neuen Windfelder mehr ausgewiesen werden sollten. Stattdessen sollte der Kreis auf Repowering, also die Modernisierung der vorhandenen Parks, setzen. Und auf Kleinst-Windräder, die stören kaum einen Menschen. Generell gilt: Eine gute Mischung der Erneuerbaren sorgt für Akzeptanz bei der Bevölkerung und langfristige Versorgungssicherheit. Die betroffenen Menschen vor Ort müssen von vorneherein bei der Planung ihrer Energieversorgung eingebunden werden und auch kleine Potenziale berücksichtigt werden.

Gibt es Dinge im Bereich der Öko-Energie, die hier noch gar nicht ausprobiert werden?

Von Elling:

Ja. Wasserkraft zum Beispiel, die wird hier noch nicht genutzt. Auf der Elbe geht das ja auch nicht wegen des Schiffsverkehrs. Aber auf den Nebenflüssen wie Lühe, Schwinge und Este wäre es sehr wohl denkbar, das zwar geringe, aber vorhandene Potenzial kleiner Wasserkraftanlagen zu nutzen. Auch geothermische Anlagen, wie etwa in Hamburg-Allermöhe, existieren hier noch nicht. In solchen Anlagen wird Wasser in große Tiefen gepumpt, das dann die dortige Hitze des Erdkerns aufnimmt und als Dampf Turbinen antreibt. Ob sich diese Nutzungsform der Erdwärme im Landreis Stade lohnt, entzieht sich meiner Kenntnis. Wir sollten aber eher regional denken und nicht in Kreisgrenzen.

Es gibt hier allerdings Pläne, auf eine ganz klassische Energiequelle zu setzen, Kohlekraft nämlich. In Stade-Bützfleth sollen gleich mehrere Anlagen gebaut werden, unter anderem, um die dortige Industrie zu versorgen. Glauben Sie, dass man auf den Bau verzichten kann?

Von Elling:

Auf jeden Fall. Der Bau der Anlagen in Bützfleth ist überhaupt nicht notwendig. Da wird immens viel Kapital für Jahrzehnte gebunden, das dann wieder bei den erneuerbaren Energien fehlt. Es ist fatal, solche Dinosauriertechnik zu bauen.

Wie soll denn etwa ein Chemie-Unternehmen wie die Stader Dow sonst an die Energiemengen kommen, die dort für Prozesse wie die Elektrolyse benötigt werden?

Von Elling:

Ein Gas-Dampfturbinen-Kraftwerk wäre zum Beispiel eine bessere Übergangslösung. Die Klimabilanz ist besser als bei einem Kohlekraftwerk. Außerdem sollte die Industrie ihre großen Potenziale stärker nutzen, Energie einzusparen. Das ist noch lange nicht ausgeschöpft. Generell muss die Energieeffizienz viel stärker in den Vordergrund rücken. Ein Atomkraftwerk hat zum Beispiel einen Wirkungsgrad von etwa 35 Prozent. Das heißt, der größte Teil der Energie wird nicht genutzt. Die Abwärme heizt die Elbe und nicht Häuser. Wenn die Industrie noch stärker auf Kraft-Wärme-Kopplung setzen würde, könnte sie die Energie viel intelligenter nutzen.

Das gilt sicherlich nicht nur für die Industrie...

Von Elling:

Nein. Es müsste generell darum gehen, auch Abwärme mehr zu nutzen. Außerdem muss Energie dezentral, also vor Ort, erzeugt werden. So lassen sich Verluste beim Transport vermeiden. Ein gutes Beispiel für dezentrale Energiegewinnung ist, wenn Biogasanlagen in einer Gemeinde gleich die örtlichen Gebäude mit heizen, etwa Wohngebiete und öffentliche Einrichtungen. So etwas ist mithilfe von Blockheizkraftwerken möglich.

Wäre es möglich, den Landkreis komplett mit regenerativen Energien zu versorgen?

Von Elling:

Ja. Wenn alle am Markt Beteiligten, also Energieversorger, Verbraucher und natürlich auch Politik und Verwaltung, es wollen.

Kann denn der Landkreis, beziehungsweise können die hiesigen Gemeinden, so etwas überhaupt entscheiden? Werden diese Dinge nicht eher in Berlin und Hannover geregelt?

Von Elling:

Nein. Die Kommunen können unheimlich viel selbst regeln. Zum Beispiel über die Satzungen. Man kann etwa mit einer intelligenten Bauleitplanung für Neubaugebiete die Solarenergienutzung unterstützen. Außerdem können Gemeinden zusätzlich zum Bund über die Kreditanstalt für Wiederaufbau den nachträglichen Wärmeschutz bestehender Hauser fördern. Nicht zuletzt gibt es die Möglichkeit, dass die Kommunen ihre Verträge mit den Netzbetreibern kündigen, beziehungsweise, nicht verlängern und eine eigene Strom- und Wärmeversorgung aufbauen. Dafür gibt es viele Beispiele wie etwa das Dorf Schönau im Schwarzwald oder das niedersächsische Bioenergiedorf Jühnde.

Wie lange würde es denn dauern, bis Stade zum grünen Landkreis wird?

Von Elling:

Wenn alle mitmachen, ist es in 15 Jahren erledigt.