Interview mit Rainer-Maria Weiss, Direktor des Helms Museums, über Funde der Zukunft

Harburg. Harburg in 1000 Jahren: Nach einer dramatischen Klimakatastrophe ist die Stadt verschüttet, zu großen Teilen im Erdreich versunken. Archäologen stoßen auf die Spuren der Harburger von heute. Wie werden sie die Funde deuten? Was halten Archäologen im Jahr 3000 für "typisch harburgisch"? Ein Gedankenspiel mit Dr. Rainer-Maria Weiss, Direktor des Archäologischen Museums Hamburg.

Harburger Rundschau:

Archäologen stoßen im Jahr 3000 auf das verschüttete Harburg von heute. Was werden sie finden?

Rainer-Maria Weiss:

Ihre Frage setzt voraus, dass es - etwa durch eine Katastrophe - zum Abriss jeder Überlieferung gekommen ist. Denn heute wird ja absolut alles dokumentiert, wichtiges und noch mehr unwichtiges; nahezu alles findet sich ja im Internet wieder. Nun mal angenommen, dass in 1000 Jahren das Internet nicht mehr existiert und Archäologen die heutigen, dann maßlos veralteten Speichermedien nicht mehr lesen können, werden sie ihr Wissen wie Archäologen allein aus den dinglichen Hinterlassenschaften ziehen können. Die Forscher werden zum Beispiel ein paar Kirchen ausgraben, das sind oft die massivsten Bauwerke. Sie werden die älteste Kirche Hamburgs, die Sinstorfer Kirche, finden. Vermutlich werden sie deshalb Sinstorf für das Zentrum Harburgs oder sogar Hamburgs halten, vielleicht sogar für die Hammaburg halten.

Wie werden ihre Kollegen im Jahr 3000 diese Funde deuten?

Weiss:

Ihnen werden zahlreiche Kreuzigungsdarstellungen und Altäre auffallen. Stoßen sie auf die Falckenberg-Sammlung, entdecken sie dort einen gekreuzigten Frosch. Die Forscher stellen vielleicht die Theorie auf, die Menschen damals hätten grausamen Kulten gehuldigt. Die Statue des bronzenen Soldaten könnten sie als Anführer des Opferkultes interpretieren. Warum sonst hat er so eine herausragende Stellung im Stadtbild, dessen Schuttkegel er als einziges Relikt unbeschadet überragt?

Was werden die Wissenschaftler denken, wenn sie einen Dönerspieß entdecken?

Weiss:

Sicher werden sie sich fragen: Warum so viele davon in Harburg? Sie werden wohl von Folter- oder Opferstätten ausgehen - getreu der Regel: Was man nicht erklären kann, sieht man gern als kultisch an.

Harburg im Jahr 3000 - wo würden Sie graben?

Weiss:

Nach klassischer archäologischer Methodik wird immer oben angefangen. Ich würde also am Schwarzenberg beginnen. Forscher würden den Siedlungskern wohl in den Harburger Bergen vermuten. Denn wer siedelt schon in der nassen Elbmarsch?

Dann würden die Archäologen das Helms-Museum als Gedächtnis der Stadt gar nicht entdecken?

Weiss:

Vermutlich nicht. Sie würden sich dann höchstens wundern, dass man an diesem Platz offenbar noch steinzeitliche Geräte verwendet hat.