Einwohner von Campe fordern ein neues Gleis für Industriegüter. Sie wollen verhindern, dass Waggons mit gefährlicher Ladung explodieren

Stade. Die Furcht der Stader Bürger im Stadtteil Campe vor einem Zugunglück ist ungebrochen. Die Erinnerung an das verheerende Zugunglück von Viareggio schwebt in den Hinterköpfen der Bürgerinitiative "Pro Industriegleis Stade". Mehrere mit Flüssiggas gefüllte Tankwaggons sind damals explodiert. Die Katastrophe hat in der norditalienischen Küstenstadt im Jahr 2009 mehr als 18 Menschen das Leben gekostet. Die Stadt stand in Flammen, Der Bürgermeister von Viareggio sprach von "apokalyptischen Szenen" in den Straßen.

Das soll sich in Stade nicht wiederholen. Deshalb macht sich die etwa 30-köpfige Bürgerinitiative für eine Verlagerung des Güterverkehrs, der derzeit durch Stade-Campe führt, stark. Die Bürgerinitiative um Henning Hoins will erreichen, dass das auch von der Stadt Stade gewünschte Industriegleis entlang der geplanten A-26-Trasse nach Drochtersen realisiert wird.

Doch es ist ein weiter Weg dahin, denn die Kosten für das Projekt werden von der Stadt auf mehr als 8 Millionen Euro taxiert, sollte es eingleisig realisiert werden. Zweigleisig würde es deutlich teurer werden. Das Geld hierfür hat zurzeit angeblich niemand, dabei gäbe es gute Gründe, das Projekt so schnell wie möglich voranzutreiben.

"Für die gesamte Region haben wir hier eine einmalige Entwicklungschance, die wir nicht ungenutzt lassen sollten. Alleine schon wegen der vom Bund und vom Land gewünschten Hafeninterlandanbindung ist der Bau des Industriegleises nach Bützfleth sinnvoll", sagt Hoins.

Zudem begrüßen auch Unternehmen wie die Dow, immerhin größter Kunde für Kesselwaggons bei der DB-Tochter Schenker, eine Verlegung des Industriegleises aus der Innenstadt heraus. "Wir begrüßen die Planung der Schienenführung entlang der A 26, um die optimale Anbindung an das Industriegebiet bei Bützfleth dauerhaft zu sichern", sagt Joachim Sellner, Sprecher des Stader Dow-Werks.

Da die Güterströme in den Kreis Stade und nach Cuxhaven weiter anwachsen würden, steige zwangsläufig die drohende Gefahr einer Zugkollision, sagt Hoins. Bisher werden die Güterwaggons, die aus dem Bützflether Industriegebiet kommen, über das alte und nach Ansicht der Bürgerinitiative sanierungsbedürftige Gleis, das quer durch Innenstädtisches Wohn und Gewerbegebiet und in unmittelbarer Nähe des Jugendhauses am Vorwerk und nahe dem Seniorenheim der Jung-Stiftung verläuft, zum Bahnhof transportiert. Dort werden dann bis zu 35 Kesselwaggons direkt hinter der Kurve geparkt um zusammengekoppelt und dann in Richtung Hamburg gezogen zu werden.

Der Vorgang dauere, so Anja Nazzari von der Stader Bürgerinitiative, teilweise bis zu zwei Stunden, die Fahrten mit den Kesselwaggons von Bützfleth zum Bahnhof würden fast rund um die Uhr gehen, von 3.30 Uhr bis teilweise 22.30 Uhr.

"Das birgt ein großes Risiko", sagt Nazzari. "Stellen Sie sich einmal vor, was passiert, wenn hier ein durchfahrender Zug entgleist." Die Katastrophe wäre da, eine Kollision unausweichlich. "Wir reden hier leider von einer reellen Gefahr für die ganze Stadt, immerhin ist der Metronom bei Stade schon einmal aus den Schienen gesprungen", sagt Hoins. Und da auf der Strecke keine Geschwindigkeitsbeschränkung für passierende Züge bestehe, und die in den Kesselwaggons befindlichen Güter zu einem erheblichen Teil sehr leicht entzündbar sind, sei das Risiko für die Anwohner einfach zu hoch.

Nach Berechnungen von Hoins läge das Kollisionsrisiko aufgrund der langen Verweildauer der Kesselwaggons am Stader Bahnhof derzeit etwa 40- bzw. 80-mal höher, als wenn ein Güterzug fertig zusammengekoppelt in den Bahnhof hinein und sofort wieder heraus fahren würde. "Trotz der Gefahr sind wir immerhin einen Schritt weiter", sagt Hoins.

Die Dow habe bereits von sich aus reagiert und angekündigt, im Bützflether Industriegebiet nahe dem AOS-Gelände sogenannte Aufstellgleise einzurichten zu wollen, damit die Koppelarbeiten am Bahnhof minimiert werden oder gar ganz wegfallen können. Die Züge würden dann fertig zusammengestellt direkt nach Maschen gefahren werden. Die Lärmbelästigung für die Anwohner und auch die Kollisionsgefahr werde damit verhindert - doch die infrastrukturelle Anbindung des Hafens werde damit noch nicht besser.

"Wenn es dem Land mit der Hafenhinterlandanbindung ernst ist, müssen wir ein Industriegleis bauen, das in der Lage ist, die erwarteten Zuwächse auf der Schiene zu bewältigen", sagt Hoins. Seit 2005 ist alleine das Verkehrsaufkommen auf der Schiene für Containertransporte in Richtung Cuxhaven um mehr als 600 Prozent gestiegen. Die Bürgerinitiative steht mit ihrer Meinung nicht alleine da. Die Stadtverwaltung sieht die Lage ähnlich. Bürgermeister Andreas Rieckhof fordert seit Jahren plant den Bau der Umgehungstrasse. Mit verhaltenem Erfolg. Zwar habe die Deutsche Bahn erklärt, dass sie den Bau der Trasse nicht ablehne, doch an den für das Projekt anfallenden Kosten wolle sie sich nicht beteiligen.

Die Camper Bürger hoffen nun, dass die Dow ihren Einfluss bei der Bahn geltend und dass die niedersächsische Landespolitik ebenfalls Druck macht. Daher hat die Gruppe auch zu einer Podiumsdiskussion für die Bürger in Campe eingeladen.

Am Donnerstag, 24. Februar werden Stades Bürgermeister Andreas Rieckhof, Martin Bockler, Geschäftsführer bei der IHK Stade, Henning Hoins von der BI und Carla Eickmann vom Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr in der Aula der Realschule Campe (Timm-Kröger-Straße) von 19.30 Uhr an über den Sachstand und die Probleme informieren. Die Landtagsabgeordneten Petra Tiemann (SPD), Helmut Dammann-Tamke, Kai Seefried (beide CDU) sowie Elke Twesten (Grüne) werden ebenfalls vor Ort sein.