Der Chef der Ermittlungsgruppe gegen Gewalt von links und rechts beurteilt die Szene als zurzeit ruhig

Tostedt. Vom Heiligen Geist sind diese schwarz gekleideten, vermummten Gestalten nicht beseelt. Es ist Pfingsten im Mai 2010. Etwa 70 sogenannte Autonome machen sich aus Hamburg, Lüneburg und Winsen nach Tostedt auf, um sich mit der schlagenden Truppe der örtlichen Rechtsextremen zu prügeln. Die jungen Leute, 16 bis 24 Jahre alt, haben sich mit Schlagringen, Reizgas bewaffnet, einer trägt einen Schreckschussrevolver bei sich. Die Polizei ist vorbereitet und kann die Massenkeilerei unterbinden. Die Ordnungshüter hatten einen Tipp aus der rechten Szene bekommen. Offenbar war jemanden mulmig geworden.

Nicht zum ersten Mal ist Tostedt Schauplatz von Ausschreitungen zwischen Links- und Rechtsextremen. Reizpunkt ist das Bekleidungsgeschäft "Streetwear Tostedt", nach eigenen Angaben "Norddeutschlands größter Szeneladen". Der Laden gilt als geistiges Zentrum der Neonazis. Nach dem Massentreffen von rechten und linken Schlägern zu Pfingsten reagiert die Polizeiinspektion im Landkreis Harburg und ruft eine Ermittlungsgruppe ins Leben, behördenintern nüchtern "16/10" bezeichnet. Ihre Arbeit ist mittlerweile beendet. Das Abendblatt sprach mit dem Leiter der Ermittlungsgruppe, Wilfried Haensch, 50, über die Erkenntnisse der Polizei und den Zustand der rechten Szene in Tostedt.

Vier Polizeibeamte bildeten die Ermittlungsgruppe. Sie wurden vorübergehend von ihren eigentlichen Aufgaben befreit. Ansonsten beschäftigen sie sich mit Körperverletzungsdelikten oder sind beim Staatsschutz tätig, die Abteilung der Polizei für politisch motivierte Straftaten.

Der Auftrag der Ermittlungsgruppe lautet, die Straftaten Linker und Rechter vom Pfingstwochenende zu verfolgen. Die Beamten versuchen, dem Mob von Vermummten Verstöße gegen das Waffengesetz, gegen das Versammlungsgesetz sowie schweren Landfriedensbruch nachzuweisen. Für einige hat der Gewalttourismus vom Pfingstwochenende Folgen: 1800 Euro muss einer zahlen, weil er mit einem Messer bewaffnet war. Verfahren vor Gericht, die auf die Ermittler zurückgehen, laufen noch. Eine Verhandlung war gestern (siehe unten stehenden Bericht). "Von wegen es passiert nichts", sagt Wilfried Haensch, "das hat man in der Szene bemerkt."

Den Erfolg der Ermittlungsgruppe misst ihr Chef noch in etwas anderem: "Uns ist es in relativ kurzer Zeit gelungen, einen Überblick über die rechte Szene in Tostedt zu bekommen", sagt Wilfried Haensch. Detailkenntnisse habe die Polizei bekommen. Zur Strategie zählte, die durchweg jungen Burschen zu Hause aufzusuchen und mit den Vätern und Müttern zu sprechen. "Wir hatten auch Eltern", sagt Haensch, "die der Polizei ablehnend gegenüberstanden."

Mit der Ermittlungsgruppe einher ging eine verstärkte Präsenz der Polizei in Tostedt. Beamte wechseln dazu ihren Lebensrhythmus, arbeiten hauptsächlich nachts. Die verstärkte Präsenz hält bis heute an. Die "szenekundigen Beamten" in Tostedt, so heißen normalerweise die Polizeiinsider in den Fußball-Fanclubs, kennen mittlerweile jeden Rechten mit Namen. "Die Kollegen erkennen sie sogar am Gang oder an der Stimme, auch wenn sie eine Maske tragen", versichert Haensch.

Die Rechtsextremen in Tostedt rekrutieren sich laut Haensch aus 30 bis 35 Anhängern, davon seien 20 wirklich aktiv. "Die rechte Szene ist zurzeit ruhig", sagt er. Ein aus der Untersuchungshaft entlassener Rechtsradikaler habe mittlerweile berichten können, was für Angst in der Szene gesorgt habe. Längst nicht alle hätten ideologische Motive. "Die Rechten saufen auch mit Ausländern zusammen", weiß Haensch. Das Zugehörigkeitsgefühl und die Gruppendynamik seien das, was manchen an den Neonazis fasziniere. Die Rechten kämen beileibe nicht alle aus einem schlechten Elternhaus.

Nach Erkenntnis der Polizei ist die in Tostedt ansässige Gruppe "Gladiator Germania" nicht mehr aktiv. Ein rechter Haufen, der Jugendliche mit Geburtstagsfeiern und gemeinsamen Unternehmungen an sich gebunden hatte. Die Ideologen der Gruppe hätten sich zurückgezogen. Nur die T-Shirts mit dem Namenszug würden einige noch tragen. So wollen sie provozieren.

Die Ermittlungsgruppe ging auch einem Überfall auf ein Wohnhaus in Wistedt am 23. Mai nach. Zunächst schien es so, als hätte ein rechtes Rollkommando einen Jugendlichen, der in dem Haus wohnt und sich gegen Neonazis engagiert, "aufmischen" wollen. Nach Erkenntnis der Polizei sei die Auseinandersetzung aber kein Überfall, sondern Zufall gewesen. Eine Klopperei bei einer Party habe sich in den Hausflur verlagert. Zur Anklage kam es nicht: "Eine Aussagebereitschaft der Opfer lag grundsätzlich nicht vor", sagt Wilfried Haensch. Nicht selten hätten Auseinandersetzungen zwischen Rechten und Linken in Tostedt private Gründe, etwa ein Streit um ein Mädchen.