Die historisch wertvollen Musikinstrumente im Elbe-Weser-Dreieck sollen künftig gezielt touristisch vermarktet werden

Stade. Was für die Franzosen die Schlösser von Versailles, Chambord und Fontainebleau waren, das waren für viele norddeutsche Städte die Kirchenorgeln: prunkvolle und sündhaft teure Vorzeigeobjekte, die den Ruhm der Städte und Gemeinden mehren sollten. Die Organisten, die im Zeitalter des Barock die teuren Instrumente zum Erklingen brachten, wurden fürstlich bezahlt und galten als eine Art "Pop-Stars". Das alles ist inzwischen lange her. Der Zustand vieler norddeutscher Orgeln entspricht nicht dem, wie er sein soll, selbiges gilt für die Bezahlung der Organisten.

Das neue Orgeltourismus-Projekt kostet etwa 300 000 Euro

Erst allmählich erkennen die Gemeinden wieder, welche Schätze sie in ihren Kirchen seit Jahrhunderten beherbergen. Schätze, die sich auch exzellent vermarkten lassen. Doch an einer Vermarktungsstrategie hat es zuletzt gemangelt. Nun will die Orgelakademie Stade mit Unterstützung des Landkreises eine gezielte Vermarktung der Instrumente betreiben und einen regional übergreifenden Orgeltourismus etablieren, der langfristig die Tourismuswirtschaft spürbar ankurbeln soll.

Insgesamt 25 historische Kirchenorgeln von so bekannten Orgelbauern wie Arp Schnitger oder Philipp Furtwängler gibt es im Kreis Stade. Sie sind Bestandteil der reichsten Orgellandschaft der Welt. Im nordniedersächsischen Raum, zwischen Ostfriesland und Lüneburg gibt es mehr als 150 kulturhistorisch bedeutende Orgeln, davon 83 allein im Elbe-Weser-Dreieck.

Der Landkreis Stade nimmt in diesem norddeutschen Orgelnetzwerk eine besondere Stellung ein, denn nirgends sonst sind derart verdichtet so viele wertvolle Orgeln angesiedelt. Viele von ihnen zählen bei Kennern des Fachs zur Weltspitze. Auch nach Ansicht von Unesco-Vertretern gehört das Werk Arp Schnitgers im Kreis Stade eigentlich zum Weltkulturerbe.

Der Bewahrung dieses Kulturerbes nimmt sich unter anderem die Orgelakademie in Stade an. Sie hat bereits ihre Fühler zu anderen Institutionen wie dem Verein Nomine (Norddeutsche Orgelmusikkultur in Niedersachsen und Europa) ausgestreckt, um das Kulturerbe besser zu erschließen und überregional zu vermarkten. Damit dies aber funktioniert, bedarf es eines gemeinsamen Engagements von einzelnen Kirchengemeinden, der Akademie und dem Landkreis, aber auch einer solider finanzieller Basis, um die für einen Orgeltourismus benötigten Strukturen zu schaffen.

Die benötigten Geldmittel sollen, so Kreisverwaltungsdirektor Helmut Hölscher, zu einem Großteil über eine EU-Strukturfondsförderung erschlossen werden. Aus dem sogenannten regionalisierten Teilbudget dieses Förderfonds stehen dem Kreis etwa fünf Millionen Euro für "regional bedeutsame Projekte" zur Verfügung, davon sollen 300 000 für das neue Orgelprojekt genutzt werden.

"Ein Viertel des Geldes muss von der Kommune kofinanziert werden", sagt Hölscher. Das Problem ist hier aber, das dies nur für jene Kommunen gilt, die dem ehemaligen Regierungsbezirk Lüneburg angehören. Alle anderen Landkreise im Elbe-Weser-Dreieck müssen die Hälfte des Geldes beisteuern. Diese ungleiche Finanzierung macht es derzeit schwer, das regional übergreifende Vorhaben schnell umzusetzen.

Auch eine finanzielle Beteiligung von zehn Kirchengemeinden ist angedacht. "Der Kreis kann nicht alles selbst tragen, aber wir wissen auch, dass es von den Kirchengemeinden keine großen Beiträge geben wird", so Stades Erster Kreisrat Eckhard Lantz. Daher sei ein vorsichtiges Abwägen nötig. Dass das für das Projekt prognostizierte Budget gut angelegt sei, davon sind Akademie und Kreisverwaltung überzeugt. "Es geht für uns um einen sinnvollen Tourismus und natürlich um wirtschaftlichen Nutzen", so Hölscher.

Im Einzelnen planen die Akademie und der Kreis, in den kommenden drei Jahren die Orgeln mit gezielten Aktionen und einer gemeinsamen Marketingstrategie überregional touristisch bekannter und vor Ort besser begreifbar zu machen. Bei Reiseveranstaltern sollen demnach komplette Orgelreisepakete angeboten werden, die Orgelführungen, Exkursionen und Konzerte mit anderen touristischen Angeboten und Übernachtungsoptionen in der Region verbinden. Für Radfahrer, Wanderer, Schiffsrouten, Autofahrer und Nutzern des Fahrradbusses sollen zudem Routen erstellt werden, die besondere Orgeln miteinander kombinieren.

Eine Internetseite und eine 36 Seiten starke Broschüre sowie eine Jahresübersicht für alle Orgeln sollen für etwa 31 000 Euro erstellt werden. Für weitere 20 000 Euro sollen die Gästeführungen verfeinert werden. Angedacht ist hierbei auch der Aufbau eines festen Stabes an geschulten Orgelführern für die Region.

Modelle sollen zeigen, wie Orgeln funktionieren

Zudem, so die Idee der Orgelakademie, sollen vier Modelle erstellt werden, die die Mechanik, die Wind- und die Klangerzeugung der Instrumente verdeutlichen und somit die barocke Orgelbaukunst für die Besucher begreifbar machen. Kostenpunkt: etwa 37 000 Euro. 15 000 Euro würde die multimediale Darstellung einer Kirchenorgel kosten, bei der auch virtuell auf der Orgel gespielt werden kann. Hinweistafeln und Exponate sollen für etwa 10 000 Euro beschafft, Musik-CDs als Image-Produkt verkauft werden und ein Audioguide für 34 000 Euro pro Kirche angeschafft werden.

Einen Audioguide der klassischen Art präsentieren der Kulturverein in Steinkirchen und die Kirchengemeinde Lühekirchen mit Unterstützung der Orgelakademie bereits am Freitag, 4. Juni. Dann referiert der Freiburger Musikprofessor und Orgelkenner Konrad Küster von 19 Uhr an zum Thema "Musik am Deich: 500 Jahre Orgelkunst in den Marschen" in der St.-Martini-et-Nicolai-Kirche zu Steinkirchen. Martin Böcker von der Akademie musiziert dazu an der Orgel. Der Eintritt ist frei.