Interview mit Matthias Oellerich, Vertreter für Schwerbehinderte im E.on-Konzern

Fredenbeck. Noch immer tun sich einige Vorgesetzte schwer, behinderte Bewerber einzustellen. Sich für diese Menschen einzusetzen, gehört zum Beruf von Matthias Oellerich. Der Fredenbecker ist seit 2002 Vorsitzender der Konzernschwerbehindertenvertretung des weltweit agierenden Konzerns E.on. Im Abendblatt-Interview spricht der 52-Jährige über die Aufgaben einer Schwerbehindertenvertretung und gibt Tipps, wie auch mittelständische Unternehmen und kleine Betriebe etwas tun können.

Hamburger Abendblatt:

Herr Oellerich, was genau macht eigentlich eine Konzernschwerbehindertenvertretung?

Matthias Oellerich:

Sie hat zahlreiche Aufgaben. Zunächst möchte ich jedoch sagen, dass die Konzernschwerbehindertenvertretung ein eigenständiges Gremium ist, dessen Rechte und Pflichten zur Mitbestimmung im Schwerbehindertengesetz, SGB IX, verankert sind. Die Konzernschwerbehindertenvertretung eines Konzerns in der Größe von E.on kümmert sich natürlich nicht nur um schwerbehinderte und diesen gleichgestellte Mitarbeiter. Sie kümmert sich auch um Mitarbeiter, die von Behinderung bedroht sind, sowie um die Ausbildung von Jugendlichen mit einem Handicap. Sie berät Mitarbeiter in Präventionsfragen, achtet darauf, dass die Integrationsvereinbarung auf Konzernebene eingehalten wird und dass die gesetzlichen Forderungen damit einhergehen. Die Konzernschwerbehindertenvertretung sorgt beispielsweise auch dafür, dass ein betriebliches Eingliederungsmanagement, BEM, im Unternehmen durchgeführt wird. So können langzeiterkrankte Mitarbeiter ihrem Handicap gerecht wieder an ihren Arbeitsplatz gebracht werden.

Sitzen denn auch Mitglieder der Schwerbehindertenvertretung mit in Vorstellungsgesprächen?

Ja, wenn es sich bei Vorstellungsgesprächen um Bewerber handelt, die sich von vornherein zu ihrer Schwerbehinderung bekannt haben. Dann ist üblicherweise ein Schwerbehindertenmitarbeiter beziehungsweise eine Vertrauensperson dabei. Dabei wird, wie in allen anderen Bewerbungsgesprächen, auch geprüft, ob ein Bewerber überhaupt geeignet ist. Um das wirklich beurteilen zu können, sind wir dann natürlich in einem solchen Fall auch bei jenen Bewerbungsgesprächen dabei, bei denen es nicht um schwerbehinderte Mitarbeiter geht. Nur so kann abgeschätzt werden, inwieweit Vor- oder Nachteile ausschlaggebend sind.

Inwieweit werden Schwerbehinderte direkt im Auswahlverfahren berücksichtigt?

Soweit der Bewerber sich in seiner Bewerbung als Schwerbehinderter zu erkennen gibt, wird die Bewerbung bei uns im Konzern immer automatisch an die Schwerbehindertenvertretung geleitet. Das heißt, wir bekommen über einen Bewerberpool direkt mitgeteilt, dass sich hier jemand beworben hat. So können wir dafür sorgen, dass die Bewerbung an die richtige Stelle zu den Töchterunternehmen im Konzern weitergeleitet wird und nicht irgendwo hängt bleibt.

Kommen die Interessen von Schwerbehinderten generell ihrer Meinung nach trotzdem noch zu kurz?

Ich denke, dass es generell noch immer einige Vorbehalte und Barrieren in den Köpfen derjenigen gibt, die darüber entscheiden, ob jemand als Bewerber mit einem Handicap in ein Unternehmen eintreten soll. Selbstverständlich wird über das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz auch festgelegt, dass ein Unternehmen an Auswahlverfahren jeden berücksichtigen muss. Somit kann erst einmal keine Bewerbung unter den Tisch fallen. Aber ich glaube, dass es für einige immer noch schwierig ist, sich bei gleicher Eignung für einen Schwerbehinderten zu entscheiden. Vielleicht entsteht immer noch irgendwo im Hinterkopf die Frage, ob dieser Mitarbeiter nicht vielleicht aufgrund höherer Ausfallzeiten weniger zur Verfügung stehen könnte. Dabei ist es statistisch erwiesen, dass es keine signifikant höheren Ausfallzeiten bei schwerbehinderten Mitarbeitern gibt. Aber auch der Zusatzurlaub und der erweiterte Kündigungsschutz spielen hierbei eine Rolle. Mehrkosten oder die größere Hürde bei einer Trennung sind Gedankenspiele, die immer mitschwingen.

Ist diesbezüglich überhaupt eine Besserung in Sicht?

Gott sei Dank hat sich da schon einiges gewandelt. Es gibt genügend große Unternehmen, die sich darüber klar sind, dass sie sich gerade auch vor dem Hintergrund der künftigen geburtenschwachen Jahrgänge schwerbehinderten Mitarbeitern nicht verschließen können. Wer schwerbehinderte Mitarbeiter im Unternehmen hat, weiß auch, dass sie genauso leistungsfähig sind wie andere Mitarbeiter.

Was können kleine und mittelständische Unternehmen im Landkreis Stade für Schwerbehinderte tun?

Sie sollten sich vielleicht erst einmal mit der Thematik auseinandersetzen. Man kann sich sehr gut über die Integrationsämter, aber auch über andere Institutionen wie den Agenturen für Arbeit, informieren. Ich glaube, wenn man sich dort mal umhört oder auch mal in Unternehmen geht, die ihre Pflichtquote erfüllen, also fünf Prozent ihrer Mitarbeiter schwerbehindert sind, könnte man dort sehr viele positive Impulse bekommen und eventuelle Barrieren abbauen.

Kann man sich bei den Integrationsämtern und den Arbeitsagenturen nur informieren?

Nein, bei den genannten Institutionen kann man auch konkrete Hilfen bekommen, sogar bis hin zur finanziellen Unterstützung aus den Ausgleichsabgaben der Unternehmen, die keine fünf Prozent Beschäftigung nachweisen können und diese jährlich an die Integrationsämter entsenden müssen. Oder aus dem Ausgleichsfonds des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Wenn es speziell wird und man gewisse Arbeitsplätze umbauen muss, wird man ebenfalls beraten und kann finanzielle Hilfen beantragen. Ich glaube, wenn man sich darüber klar wird, dass man nicht allein ist, dann sieht es vielleicht in vielen Fällen schon anders aus. Dann erkennt vielleicht auch der Chef eines mittelständischen Betriebes oder ein kleinen Handwerksbetriebes, dass das Risiko relativ gering ist.