Mit dem Klimawandel steigt die Gefahr eines Hochwassers. Forscher vermessen deshalb das Bett des Elbnebenarmes

Cranz/Buxtehude. Ein Fluss könnte eigentlich kaum friedlicher aussehen als die Este, wie sie an diesem Tag in der Sonne liegt. Das grünlich-braune Wasser des kleinen Elbnebenarmes ist absolut glatt, nur das Boot sorgt für kleine Wellen, die fast geräuschlos gegen das mit Schilf bewachsene Ufer schwappen. Weiter hinten liegen Apfelplantagen, am gegenüber liegenden Ufer stehen Häuser, deren Grundstücke bis hinunter zum Fluss reichen. Kleine Holzstege führen ins Wasser, und die einzige Gefahr, vor der hier ein Schild warnt, sind die Bienen eines Imkers.

Doch mit diesem Ferienidyll könnte es eines Tages schlagartig vorbei sein, wenn es zu einer Sturmflut kommt. Der kleine Fluss könnte dann über die Ufer treten und zu einer ernsthaften Bedrohung für die Anwohner werden. Das Risiko, dass es wirklich so kommt, steigt mit dem weltweiten Klimawandel. Deshalb sind die Wissenschaftler des Projekts "Klimzug Nord" mit ihrem Motorboot "Nekton" auf der Este unterwegs. Mit einem Echolot vermessen sie den Boden des Flusses zwischen Cranz und Buxtehude, um daraus Schlüsse auf die Wahrscheinlichkeit späterer Hochwasser zu ziehen.

Wissenschaftler tasten den Boden der Este mit einem Echolot ab

"Die Daten gehen in ein Modell ein, mit dem wir Szenarien für die nächsten 30 Jahre entwickeln können", sagt Erik Pasche, Leiter des Instituts für Wasserbau an der Technischen Universität Harburg. Pasche arbeitet an dem Projekt "Klimzug Nord" mit, das die Konsequenzen des Treibhauseffektes für die Region untersuchen soll. Ein Teil des Projekts ist die genaue Untersuchung des Bodens der Este. Denn die Wissenschaftler gehen davon aus, dass der globale Prozess auch den Charakter des kleinen Flusses ändern wird.

"Wir rechnen damit, dass die Durchschnittstemperatur global und hier in der Region ansteigen wird. Die Meeresspiegel werden deshalb höher und die hiesigen Winter werden wesentlich niederschlagsreicher", so Pasche. Für die Este habe das zunächst eine Konsequenz: "Wir sehen die Gefahr einer größeren Versandung." Weil es mehr regne, werde auch mehr Erde von den Äckern in den Fluss gespült. Auch der erwartete Anstieg des Wasserspiegels in der Elbe führe dazu, dass sich mehr Sand in der Este ablagert. Denn die Sperrwerke, die beide im Bereich des Ortes Cranz liegen, müssten dann häufiger geschlossen werden. Das Flussbett wird flacher und das verschärft Pasche zufolge die Gefahr eines Hochwassers.

Wie das Szenario einer Flut im Bereich des Alten Landes aussehen könnte, beschreibt Edgar Nehlsen, wissenschaftlicher Mitarbeiter in dem Projekt. "Wenn es eines Tages zu extremen Regenfällen kommt und gleichzeitig Flutwasser von der Elbe her in die Este drückt, würde die Este über die Ufer treten." Zwar gebe es das Risiko einer solchen Flut auch schon jetzt, aber mit dem Klimawandel würden die Elbe und ihre Nebenarme generell "weniger kalkulierbar".

Pasche und Nehlsen betonen, dass sie bisher nur über Modelle verfügen und nichts mit Sicherheit voraussagen können. Damit die Voraussagen verlässlicher werden, haben sie im vergangenen Frühjahr mit den Messungen im Unterlauf der Este begonnen. Diese sollen jetzt bis zum Jahr 2014 durchgeführt werden, wenn das Projekt "Klimzug Nord" endet.

Drei bis vier Stunden pro Tag sind die Wissenschaftler auf dem Boot, die komplette Untersuchung des etwa zwölf Kilometer langen Abschnitts nimmt drei Tage in Anspruch. Jens Winkelbauer, Ingenieur an der Universität Harburg, nimmt dabei die Rolle des Kapitäns ein und lenkt das kleine Boot langsam durch den Fluss, der an dieser Stelle etwa drei Meter tief ist. Ein kleiner Bildschirm hinter dem Steuerrad zeigt es an. Die genaueren Daten hat die Wasserbauingenieurin Monika Donner, die in der Kabine des Bootes konzentriert den Schirm eines Laptops überwacht. In grün, blau und rot ist der Boden der Este dargestellt.

Andere Ergebnisse gewinnt sie mit einfacheren Instrumenten. Dazu gehört eine Metallvorrichtung, die an Bord "Schnappi, das Krokodil" genannt wird. Mit dem Gerät werden Bodenproben entnommen. Ein anderes Gerät, eine metallene Röhre, die ins Wasser gelassen wird, fängt Schwebeteilchen auf. "Die Proben werden dann in Plastikbeutel abgefüllt und im Labor untersucht." Die Ergebnisse der Messungen wollen die Wissenschaftler von "Klimzug Nord" im Laufe der nächsten Jahre auf öffentlichen Veranstaltungen der Bevölkerung vorstellen.

Doch nicht nur die Probleme, auch die möglichen Lösungen sind Inhalt des Forschungsprojekts. So hat Erik Pasche zahlreiche Vorschläge, wie man zukünftigen Fluten begegnen kann. "Es gibt natürlich die Möglichkeit, die Este immer wieder auszubaggern. Doch das ist keine nachhaltige Lösung", so der Wissenschaftler. Besser sei es, die Versandung schon vorher zu vermindern - etwa, indem man die regionale Landwirtschaft umstelle. "Es gibt zum Beispiel die Möglichkeit, die Fruchtfolgen zu ändern. So kann man vermeiden, dass Sedimente ausgespült werden."

Eine neue Bewirtschaftung der Äcker könnte die Versandung bremsen

Andere Maßnahmen, die Pasche vorschlägt, klingen drastischer: "Man muss daran denken, Häuser flutschutzsicher zu machen, etwa indem man sie auf Wällen oder Stelzen baut." Pasche hält es für richtig, dass die Stadt Buxtehude schon jetzt Maßnahmen ergreift, um die Flutschutzwände zu verstärken. Doch dass sich in der Region noch mehr tun muss, daran lässt er keinen Zweifel. "Die Deiche müssen es in Zukunft aushalten können, wenn Flutwasser über sie hinweg geht. Unsere heutigen Deiche können das nicht." Mit der Umsetzung solcher Maßnahmen solle die Region keine Jahrzehnte mehr warten. Jetzt sei ein besserer Zeitpunkt, um damit anzufangen.