Das Land Niedersachsen muss in den kommenden Jahren eine halbe Milliarde Euro in Deiche investieren

Stade/Buxtehude. Ein Ausflug im Sommer an den Deich, die frische Seeluft genießen, das ist für viele Bürger eines der größten Freizeitvergnügen überhaupt. Doch der Freizeitspaß hat auch eine ganz ernste Seite. Jedes Mal, wenn ein kräftiger Sturm aufbraust, werden die Deiche zu Lebensrettern für jene, die hinter den Deichen wohnen. Und das sind allein in Niedersachsen und Bremen mehr als 1,7 Millionen Menschen.

Etwa 1143 Kilometer Deiche gibt es an Niedersachsens Küsten sowie an den von der Tide beeinflussten Flussmündungen wie Elbe und Weser und auf den Inseln in der Nordsee. Dabei ist kein Deich wie der andere - auch wenn sie alle so ziemlich gleich aussehen. Um den Küstenschutz an Niedersachsens Flüssen und an der Nordsee zu garantieren, werden von Experten seit Jahrzehnten maßgeschneiderte Deiche erstellt. "Das ist ein kompliziertes mathematisches Verfahren", sagt Klaus Wenn, Deichexperte der Betriebsstelle Aurich des Niedersächsischen Landesbetriebs für Wasserwirtschaft-, Küsten- und Naturschutz (NLWKN).

Fluss- und Seedeiche haben unterschiedliche Anforderungen

Nachdem die Deichverbände eine Ausbesserung oder Erweiterung der Deiche für nötig befunden haben, wird von der Forschungsstelle Küste im Landesbetrieb eine sogenannte Bemessung vorgenommen. Sie regelt, wie hoch der jeweilige Deichabschnitt sein muss, um einer Sturmflut standzuhalten. "Dabei müssen wir von Beginn an zwischen Fluss- und Seedeichen unterscheiden", sagt Wenn. "Bei Flussdeichen, wie an der Elbe, kann das Hochwasser sehr viel länger als an der Nordsee andauern. Somit müssen die Elbdeiche in besonderem Maße gegen das Durchsickern von Wasser geschützt werden." Bei Seedeichen sei es wichtig, den Wellen der Sturmfluten möglichst wenig Angriffsfläche am Deich zu bieten. "Daher werden diese auf der dem Wasser zugewandten Außenseite deutlich flacher als die Elbdeiche geplant", sagt Wenn. Diese unterschiedliche Wasserkraftwirkung muss bei jeder Berechnung der Dicke, der Neigung und der Zusammensetzung eines Deiches berücksichtigt werden. "Als zentrales Element haben wir immer einen Sandkern in den Deichen, aber die sogenannte Kleiauflage, die den Sandkern umhüllt und auf der später Gras wächst, ist je nach den regionalen Anforderung an den Deich unterschiedlich dick", sagt Wenn.

In den kommenden 25 Jahren, so die Prognose des Landesbetriebs, würden mehr als 14 Millionen Kubikmeter Klei für den Ausbau der bis zu zehn Meter hohen Deiche gebraucht. Bis zu 200 000 Tonnen Klei werden für einen Kilometer Deich benötigt. Diese Summe sorgt für Kopfzerbrechen beim Landesbetrieb, denn der wichtige Baustoff steht nicht unbegrenzt zur Verfügung. Theoretisch stehen etwa fünf Millionen Kubikmeter Klei zur Verfügung, aber nur ein geringer Anteil hiervon kann in der Nähe der Deichbaustellen abgebaut werden. Ein zusätzliches Problem ist, dass die Flächen irgendwann aufgebraucht sind, und ein wiederholter Abbau des Deichbaustoffs nicht möglich ist. Daher ist eine der Daueraufgaben, die der Landesbetrieb lösen muss, immer neue Quellen für qualitativ hochwertigen Klei zu erschließen.

Wie lange ein Deich bei einer Sturmflut den Wassermassen standhalten kann, ist außer von der Neigung und dem Klei auch vom dem Druck, den das Wasser langfristig ausübt, abhängig. "Die Deiche sind, um ein Durchweichen zu verhindern, mit einer Deichfußentwässerung versehen", sagt Wenn. Diese leite das Wasser in Gräben ab und bewahre die Standfestigkeit des Deiches.

In den Küstenschutz wurden seit 1955 mehr als zwei Milliarden Euro investiert

Der Küstenschutz ist für das Land Niedersachsen nicht billig. Zwischen vier und fünf Millionen Euro kostet ein Kilometer eines etwa acht Meter hohen Deiches, 73 Millionen wurden im Jahr 2009 investiert. Seit 1955 hat das Land etwa zwei Milliarden Euro in den Küstenschutz investiert. Etwa 125 Kilometer Deiche an der niedersächsischen Küste müssen, so das NLWKN in den nächsten Jahren erhöht und verstärkt werden. Mehr als 500 Millionen Euro, so die Prognose, wird das Land Niedersachsen für den Deichbau und für flankierende Maßnahmen wie den Bau von Teekabfuhrwegen und Deichverteidigungswegen ausgeben müssen.

Die Deiche werden flächendeckend auf bis zu zehn Meter aufgestockt

Dass das Geld nicht unnötig ausgegeben wird, verdeutlicht auch eine Studie des UN-Klimarates. Darin wird von einem Anstieg der Nordsee um etwa 19 bis 58 Zentimetern in 100 Jahren ausgegangen. Zum Vergleich: In den vergangenen 100 Jahren ist das mittlere Tidehochwasser an der niedersächsischen Küste um 25 Zentimeter angestiegen. Daher werden die Deiche derzeit um etwa 25 Zentimeter nach oben aufgestockt. Schon jetzt erreichen zahlreiche Deichkronen eine Höhe von neun oder zehn Metern.

Im Hochwasserschutz gibt es keine absolute Sicherheit. Das wissen auch Experten wie Klaus Wenn. Eine ständige Überprüfung der wissenschaftlichen Annahmen der Klima- und Meeresspiegelentwicklung ist für sie daher unabdingbar. Und obgleich die Deiche immer höher und leistungsfähiger werden: Den Gewalten der Natur können sie vergleichsweise wenig entgegensetzen. "Es kann schon passieren, dass ein Deich bei Sturm einfach mal weggedrückt wird", sagt Wenn. Zuletzt sei dass am Jadebusen geschehen, wo der komplette Deich nach einer heftigen Sturmflut vom Wasserdruck um einige Zentimeter ins Landesinnere gedrückt wurde. Wenn: "Aber das sind zum Glück dann doch eher die Ausnahmen".