Interview mit Elbe-Kliniken-Chef Siegfried Ristau und Betriebsratschef Kai Holm über die Folgen des umstrittenen Kostendämpfungsgesetzes

Stade. Die Änderungen bei der gesetzlichen Krankenversicherung sorgen bei Medizinern und Kliniken für Kopfzerbrechen. Die Krankenhäuser sollen nach der Vorgabe des Bundesgesundheitsministeriums den Rotstift ansetzen, um den Anstieg der Kosten im Gesundheitssystem zu stoppen. Über das Gesetz und die Folgen für Kliniken und Patienten sprach das Abendblatt mit dem Geschäftsführer der Elbe-Kliniken Siegfried Ristau und dem Betriebsratsvorsitzenden Kai Holm.

Hamburger Abendblatt:

Herr Ristau, die Kosten im Gesundheitswesen steigen seit Jahren, die Politik will bei den Krankenkassen einen langfristigen Sparkurs fahren. Wie wird sich das auf die Krankenhäuser auswirken?

Siegfried Ristau:

Es wird zu Rationierungen bei den medizinischen Leistungen führen. Einfach deshalb, weil mit den Kosten auch die Nachfrage gestiegen ist. Die medizinischen Leistungen haben sich rasant verändert und die Menschen werden immer Älter. Diese brauchen primär Gesundheitsleistungen. Die meisten Kosten fallen in den letzten Jahren und Monaten im Leben eines Menschen an. Somit steigen mit zunehmendem Alter die Kosten. Man kann sicher über Einsparungen und Optimierungen reden, aber wenn ich diesen Trend aufheben will, führt das zu Rationierungen und Wartelisten, wie sie teilweise in anderen Ländern schon da sind.

Herr Holm, Sie kritisieren als Betriebsratsvorsitzender die Einsparungen bei den gesetzlichen Krankenkassen. Was sind die größten Probleme aus Sicht des Krankenhauspersonals?

Kai Holm:

In Kliniken entfallen etwa zwei Drittel der Gesamtkosten auf das Personal. Wenn eine Finanzmittelknappheit kommt, hat das automatisch Auswirkungen auf das Personal. Die Gesundheitsgesetzgebung ignoriert seit zehn Jahren die Preis- und Tarifentwicklung. Es werden künstliche Sperren eingebaut, so dass die Kliniken nicht in der Lage sind, ganz normale Gehaltserhöhungen an die Angestellten weiterzugeben. Die Kliniken kommen nicht mehr zurecht, weil die Schere zwischen der realen tariflichen Lohnentwicklung und dem, was tatsächlich gezahlt wird, immer weiter auseinander geht. Die Angestellten bekommen 1,2 Prozent mehr Geld im Jahr. Das entspricht nicht einmal dem Inflationsausgleich. Trotzdem sagt der Gesetzgeber in seinem neuesten Entwurf, ihr bekommt nur eine Budgetsteigerung von maximal 0,25 Prozent, dabei liegen alleine die niedrigen Tarifkosten schon deutlich über diesem Wert. Das macht unser Gesamtproblem aus.

Ristau:

Die Mitarbeiter bekommen natürlich eine marktübliche Vergütung, aber wir als Unternehmen können uns seit 1992, dem Jahr des Seehofer-Gesetzes, nicht über die Preise refinanzieren. So müssen immer weniger immer mehr leisten. Die Arbeitsbelastung des Einzelnen steigt, irgendwann ist es den Menschen nicht mehr zuzumuten.

Wie sieht es auf der Seite der Patienten aus, was müssen die erwarten?

Ristau:

Bei der Betreuung würden sie sich vielleicht mehr Personal wünschen. In der medizinischen Betreuung wirkt es sich noch nicht aus, aber bei der menschlichen, persönlichen Betreuung ist es schon spürbar. Perspektivisch werden sich Patienten auf immer längere Wartezeiten einstellen müssen, wie es im ambulanten Bereich zum Teil schon der Fall ist.

Holm:

Die Patienten und auch die Besucher merken, dass die Betreuung nicht mehr dem entspricht, was einmal Standard war. Weniger Mitarbeiter müssen immer mehr Menschen betreuen. Das führt automatisch zu Wartezeiten, was uns gerade in der Pflege nachdenklich macht. Die Pflichtaufgaben werden erfüllt, aber alles, was darum herum ist, wird hektischer und ungemütlicher.

Das klingt deprimierend. Gibt es vielleicht auch positive Aspekte, die mit den Änderungen einhergehen?

Ristau:

Nein. Es gab in den letzten 20, 30 Jahren immer wieder Veränderungen, entweder Gesundheitsreformen oder Kostendämpfungsgesetzen. Zurzeit haben wir ausschließlich ein Kostendämpfungsgesetz. Das kann gar keine positiven Auswirkungen haben.

Holm:

Bei dieser Rasenmähermethode, die bisher angewandt wurde, ein klares Nein.

In einer Umfrage haben 64 Prozent der Ärzte in Niedersachsen geäußert, dass sie ihren Patienten nicht mehr die beste medizinische Leistung bieten können. Ist das die Spitze eines Eisbergs?

Holm:

Ich glaube, dass es noch schlimmer kommen wird. Die derzeitigen Probleme der niedergelassenen Ärzte und die zu langen Wege für Notärzte sind ein Vorgeschmack auf das, was uns erwartet. Irgendwann wird man die nötigen Leistungen ohne eine Kurskorrektur nicht mehr erbringen können.

Ist denn eine politische Kehrtwende zu erwarten?

Ristau:

Ich würde da keine Prognose wagen wollen. Aber der Druck wird sicher wachsen, sodass statt über Kostendämpfung über wahre Gesundheitsreformen nachgedacht werden muss, die eine wirtschaftliche Optimierung ermöglichen.

Holm:

Mein Vorwurf ist, dass die Diskussion in der Bundespolitik nicht ehrlich geführt wird. Die Kostenexplosion ist ein Märchen, wenn man das Bruttosozialprodukt betrachtet, denn die Kosten im Gesundheitswesen sind parallel dazu gestiegen. Die Politik traut sich nicht, über Reformen zu sprechen, sondern gibt den Schwarzen Peter an Ärzte und Kliniken weiter und deckelt die Kosten. Auf Bundesebene muss ehrlich diskutiert werden, was wir uns leisten können und wollen und wie wir das bezahlen.

Ist die Diskussion dann nur ein Vorwand dafür, im Bundeshaushalt Geld frei zu schaufeln?

Holm:

Das ist schwer zu sagen. Worauf wir hier schauen müssen ist, wie wir die Kosten herein bekommen. Mein Ansatz ist, dass alle Einkommensempfänger, also auch Beamte und Selbstständige, einzuzahlen haben. Zudem muss der Pseudo-Wettbewerb der Kassen beendet werden. Denn bei 97 Prozent vorgeschriebenen Leistungen gibt es keinen echten Wettbewerb. Und wir müssen uns fragen, ob wir 300 Krankenkassen brauchen. Ohne Änderungen wird das System kollabieren.

Ristau:

Ein weiteres Problem ist, das die Zahl der Einzahler ja immer geringer wird und die Zahl derer, die Leistungen in Anspruch nehmen, steigt. Zugleich wird versucht, die Beitragssätze niedrig zu halten, um Unternehmen nach Deutschland zu locken. Wir haben also derzeit ein falsches System. Es müssen mehr Menschen an der Finanzierung beteiligt werden, etwa über das Steuersystem.

Jetzt hat der SPD-Politiker Karl Lauterbach vorgeschlagen, dass Kassen Dinge wie Herzkatheter kaufen und an die Ärzte weitergeben könnten. Wäre das ein Beitrag zur Kostenreduktion?

Ristau:

Grundsätzlich hätte ich nichts gegen zentrales Einkaufen, denn die Kosten für Medizinprodukte sind beim Einkauf auch im europäischen Vergleich sehr hoch. Gleichzeitig muss die Qualität stimmen. Wenn die aber gewährleistet werden kann, könnte ich mit so etwas leben. Die hohe Qualität in so einem Szenario zu gewährleisten, schätze ich aber als schwierig ein.

Holm:

Bei hoch spezialisierten Produkten wie Herzkathetern bringt jeder Mediziner seine speziellen Erfahrungen und angelernten Eigenarten ein, um optimal arbeiten zu können. Da kann nicht einfach zentral allen Medizinern vorgeschrieben werden, wie die ab sofort mit einem Einheitsprodukt arbeiten müssen. Das geht nicht.

Wie sieht es bei den Medikamenten aus? Sind Generika, also wirkstoffgleiche Kopien von Marken-Medikamenten, eine Option zur Kostendämpfung?

Ristau:

Da gibt es ein Sonderproblem, denn die Generika sind im Krankenhausbereich nicht günstiger als die anderen Präparate. Die Pharmaindustrie gewährt uns gezielt günstige Preise, in der Hoffnung, dass ihre Produkte später im ambulanten Bereich weiter verordnet werden. Dort sind sie dann allerdings wieder deutlich teurer als die Generika.

Wenn schon nicht bei Medizin und Personal gespart werden kann, wo können noch Kosten reduziert werden?

Ristau:

Bei fast 70 Prozent Personalkosten kommt man hier um Einsparungen leider nicht herum. Wir haben unsere Tarifbindung aufgegeben, um mehr Mitarbeiter zu beschäftigen und so die Arbeitsbelastung im erträglichen Bereich zu halten. Dafür beteiligen wir im Gegenzug die Mitarbeiter am Erfolg unseres Unternehmens.

Aber wenn der Gesetzgeber trotz brummender Konjunktur anteilig immer weniger Geld zur Verfügung stellt, gibt es doch eine Grenze der Leidensfähigkeit beim Personal. Wie viel ist der Arbeitnehmer noch bereit hinzunehmen, wie sieht die Zukunft aus?

Holm:

In vielen Teams ist die Anspannung hoch. Die Personaldecke ist nicht üppig, aber ausreichend. Viele arbeiten sehr intensiv, dennoch haben sie am Ende des Tages das Gefühl, nicht den eigenen Ansprüchen gerecht zu werden. Das führt zu Unzufriedenheit und Motivationsproblemen. Wenn dazu um uns herum Kliniken noch tariflich bezahlen, bekommen wir zudem ein Wettbewerbsproblem. Bei den Medizinern gibt es dieses Problem bereits. Bei der stationären Pflege könnte es eintreten. Wir sind all die Jahre recht gut klar gekommen, aber irgendwo ist das Ende der Fahnenstange erreicht. Und das Land muss endlich seinen gesetzlichen Verpflichtungen zu Beteiligungen bei den Investitionen nachkommen.

Ristau:

Wir sind für die kommenden Jahre, denke ich, recht gut aufgestellt. Wenn es bei uns einmal zu ernsten Problemen kommen sollte, ist bei anderen Kliniken das Licht wohl schon längst aus. Aber das ist nur ein schwacher Trost.