Immer häufiger wird die Behörde alarmiert, weil ein Verdacht auf Kindesmisshandlung vorliegt. Aber in dem Amt wurde Personal eingespart

Stade. Weniger Beratung bei gleichzeitig steigender Belastung im Jugendamt - das, so Stades Erster Stadtrat Dirk Kraska, seien die erwarteten und teils schon eingetretenen Auswirkungen der Personaleinsparungen beim Stader Jugendamt.

Im Jahr 2009 entschied die Stadt Stade im Rahmen der Haushaltskonsolidierung, eine halbe Stelle im Jugendamt zu streichen. Im Haushaltsplan 2010 wurde diese Entscheidung festgesetzt, mit der Maßgabe, bis Mitte 2010 den Ausschuss für Kinder, Jugendhilfe und Soziales über die Folgen dieser Stellenkürzung zu informieren. Das Ergebnis, das Kraska den Ausschussmitgliedern nun präsentierte, war ernüchternd.

Kraska bestätigte, das das Jugendamt bereits vor der Stellenkürzung wegen gemeldeter möglicher Kindesmisshandlungen personell stark gefordert gewesen sei. "Die Aufgaben und Problemfelder haben sich in den letzten 15 Jahren stark verändert", sagte Kraska. Dass die Behörde mehr Arbeit zu verrichten habe, sei unter anderem der Veränderung der Sozialstruktur geschuldet. Noch nie habe es derart viele Alleinversorger in Stade gegeben. Die Zahl derer, die alleine ein Kind groß ziehen, steige weiter an.

"Besorgnis erregend ist für uns vor allem das Erziehungsverhalten vieler junger Eltern", so Kraska. Etliche seien hilflos und mit der Erziehung der Kinder vollkommen überfordert. Ihnen würde Zielvorgaben und eine Orientierung fehlen. "Unser Problem ist in der Tat, dass immer mehr Hilfe nötig ist, aber die Zahl der Mitarbeiter in der Stadt relativ konstant bleibt", sagte Kraska.

Nach der neuen gesetzlichen Regelung, die 2009 im Familienverfahrensgesetz verabschiedet wurde, müssen die Sozialarbeiter bei einer gerichtlichen Anhörung innerhalb von vier Wochen zur Verfügung stehen. "Das ist nicht leicht zu schaffen, es gibt oft sehr kurzfristige Terminankündigungen. Die Mitarbeiter müssen sich schon sehr strecken, um das noch zu schaffen", so der Erste Stadtrat. Zu den gerichtlichen Anhörungen kämen noch die Untersuchungstermine, die wahrgenommen werden müssen, um dem Verdacht einer Kindeswohlsgefährdung nachgehen zu können. "Die Zahl der Meldungen hat zugenommen, insbesondere die Zahl der anonymen Hinweise auf eine Gefährdung des Kindeswohls", so Kraska. 2007 waren es noch 44 Fälle, die registriert wurden, 2009 bereits 81. Für das laufende Jahr liegen dem Jugendamt bisher 46 Meldungen vor.

Trotz der Einsparungen im Bereich des Jugendamtes dürfe, so Kraska, kein Zweifel daran aufkommen, dass sie Sicherheit der Kinder allerhöchste Priorität für die Stadt habe. "Wenn ein Fall bekannt wird, werden wir sofort aktiv", so Kraska. Alle Kinder einer Familie würden dann überprüft, Schulen und Kindertagesstätten zum körperlichen und psychischen Zustand der Kinder befragt. "Wir können aber nur soweit einschreiten, wie es uns rechtlich erlaubt ist", so der Erste Stadtrat. Bei maximal 25 Prozent, so Kraska, läge die Quote, in der einer Meldung über eine Kindeswohlgefährdung auch tatsächlich eine Gefahr zugrunde liege. "Die große Mehrzahl der Vorwürfe waren zum Glück haltlos", sagte Kraska.

Die Prüfung einer Gefährdungsmeldung beanspruche etwa sieben Stunden, etwa 900 Stunden würden pro Jahr von den Mitarbeitern für die Überprüfungen insgesamt investiert. Das sei keine geringe Zahl, denn neben dieser Aufgabe müsse das Jugendamt auch noch andere Aufgaben wahrnehmen. "Selbst wenn wir jetzt das Personal verdoppeln würden, müssen wir auch ehrlich sagen, dass es keine 100-prozentige Sicherheit gibt", so Kraska.

Die einzigen Möglichkeiten, trotz knapper Finanzmittel die Arbeit in diesem Bereich zu erhalten oder auszubauen, sieht Kraska in einer Umschichtung der Aufgaben des Jugendamtes. "Es würde auf Kosten bisheriger freiwilliger Leistungen gehen, die wir entsprechend ihres Umfanges reduzieren müssten", so der Erste Stadtrat. So könnten die Beratungen für eine Familienförderung, die Partnerschaftsberatung und Hilfe in Scheidungsfällen künftig zurückgeschraubt werden. Kraska "Wir müssen uns für die Zukunft ehrlich fragen, was uns wichtig ist zu haben und was für uns doch eher ein zusätzlicher Luxus ist." Die präventiven Maßnahmen seien zweifellos wichtig, doch der Schutz der Kinder habe im Fall der Fälle Vorrang.

Ratsherr Kai Holm (SPD) warnte im Ausschuss davor, die Beratungsangebote unstrukturiert zurückzufahren. "Wenn wir unsere Angebote für die Präventivarbeit umgestalten wollen, so müssen wir uns politisch im Rat dazu Gedanken machen", so Holm. Es müsse ein vernünftiger Mittelweg gefunden werden, um nicht von einem Problem in das nächste hinein zu rutschen.