So wurde das einst beliebte Altländer Viertel zu Stades schlimmstem Quartier. Jetzt steuert die Stadt gegen

Stade. Es war das Stader Vorzeigebauprojekt Ende der 60er-Jahre. Südlich der Altländer Straße entstand der modernste Stadtteil der Hansestadt. Damit, dass das Altländer Viertel später zum sozialen Brennpunkt werden sollte, rechnete damals noch niemand. Doch der Stadtteil ist Stades "Problemkind", und das schon seit vielen Jahren. Im Gespräch mit dem Abendblatt berichtet Stadtbaurat Kersten Schröder-Doms jetzt in aller Offenheit darüber, welche Fehler bei der Planung des Stadtteils gemacht wurden, was zum stetigen Niedergang des Viertels führte und wie die Stadt Stade das Image des Altländer Viertel wieder aufpolieren will.

Zunächst jedoch ein kurzer Blick in die Geschichte: Das Konzept großflächiger Demonstrativbauten auf den städtischen Wiesen vor dem Salztor entstand in Stade schon kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges. Anfang der 60er-Jahre konnte die Stadt das Gewerkschaftsunternehmen "Neue Heimat" überzeugen, auf der rund 80 Hektar großen Fläche südlich der Altländer Straße einen neuen Stadtteil ganz in der Nähe der historischen Altstadt zu errichten. Dort sollten moderne und gleichzeitig erschwingliche Wohnungen entstehen.

1968 rissen sich die Stader darum, im Altländer Viertel zu wohnen

Stade erlebte zur damaligen Zeit einen enormen Entwicklungsschub. Als im Jahr 1968 die ersten Wohnungen im Altländer Viertel bezogen werden konnten, rissen sich die Stader geradezu um die Wohnungen in den damals modernen Neubauten. Der Plan der "Neuen Heimat" und der Stadt Stade ging zunächst auf. Bis zu 2000 Wohnungen sollten nach dem ersten Gesamtplan im Altländer Viertel entstehen. Tatsächlich existieren dort heute lediglich 600 Wohneinheiten.

Die Planer rechneten damit, dass Stade rund 90 000 Einwohner haben wird

Im Jahr 1990 lebten im Stadtteil südlich der Altländer Straße etwa 2500 Menschen, heute sind es rund 1600. Ursprünglich war geplant, dass im Altländer Viertel bis zu 8000 Menschen wohnen können. Genau in dieser Planung lag ein großer Fehler, sagt Stadtbaurat Schröder-Doms: "Das Quartier passt in seiner Gestaltung und Größe einfach nicht zu Stade." Der Baustil und die Architektur aus der damaligen Zeit würden heute in Stade als Fremdkörper angesehen.

Ein ähnlich konzipierter Stadtteil würde in großen Städten wie Hamburg oder Bremen nicht weiter auffallen, behauptet Schröder-Doms. Doch als das Altländer Viertel konzipiert wurde, gingen die Planer davon aus, dass die Stadt Stade auf bis zu 90 000 Einwohner anwachse. Heute wohnen in der Hansestadt 46 831 Menschen. Dass sich Stade nicht wie erwartet entwickelt habe, liege nach Angaben des Stadtbaurats daran, dass Stade jahrzehntelang über keine angemessene Verkehrsanbindung nach Hamburg verfügte.

Zwar findet Schröder-Doms aus objektiver Sicht auch positive städtebauliche Aspekte bei der Planung des Altländer Viertels. Allerdings sei die Ballung von Mietwohnungen nie förderlich. Deshalb lege der Stadtbaurat bei seinen Planungen stets Wert auf eine gesunde Mischung aus Mietwohnungen und selbst genutzten Eigentumswohnungen und -häusern. Mit Eigentum werde das Quartier stabilisiert. "Eigentümer haben einen anderen Blick auf das Wohnumfeld", sagt Schröder-Doms.

Doch das weitaus größere Problem entstand im Altländer Viertel, als die "Neue Heimat" zwischen 1984 und 1986 zerschlagen wurde. Zwei Berliner Immobiliengesellschaften nutzten den Konkurs und kauften die Immobilien billig auf, sanierten die Wohnungen und verkauften sie einzeln in ganz Deutschland. "So kam es zum Beispiel dazu, dass eine Molkerei aus dem Allgäu fünf Wohnungen als reine Anlageobjekte kaufte", sagt Schröder-Doms. "Eine gesteuerte Belegung war von diesem Zeitpunkt an nicht mehr möglich."

Stades Stadtbaurat spricht heute von einer "Spirale nach unten". Ende der 80er-Jahre hätte die Stadt Stade nur eine einzige Chance gehabt, den Abschwung aufzuhalten. Sie oder eine städtische Gesellschaft hätte die Immobilien erwerben müssen, beides ist nicht geschehen.

Im Laufe der Jahre verließen immer mehr Mieter das Viertel, die Wohnungen standen leer. Die Eigentümer erzielten nicht die Mieteinnahmen, die sie sich erhofft hatten. "Deshalb haben sie später an jeden vermietet, der eine Wohnung gesucht hat", sagt Schröder-Doms. Hinzu kam, dass vor allem das siebengeschossige Laubenganghaus zu einer "ungünstigen Sozialstruktur" geführt habe. Dort gab es größtenteils Ein- oder Eineinhalb-Zimmer-Wohnungen. Dort konnten nur Alleinstehende einziehen. "Häufig waren es Alkoholiker oder Haftentlassene", sagt Schröder-Doms.

Die Stadt Stade reagierte, indem sie dort eine Schule bauen ließ. 1988 wurden im Altländer Viertel die ersten Kinder unterrichtet, zunächst noch als Außenstelle der Grundschule am Burggraben. Seit 1995 gibt es dort eine eigenständige Montessori-Grundschule.

Im Jahr 1999 wurde das Altländer Viertel als einer der ersten Stadtteile landesweit in das Sanierungsprogramm "Die soziale Stadt" aufgenommen. Seitdem ist dort einiges passiert. Das siebengeschossige Laubenganghaus mit seinen 144 maroden Kleinwohnungen wurde abgerissen. Weitere 24 Wohnungen wurden zum Stadtteilhaus, das 2007 eingeweiht wurde, oder werden zu Seniorenwohnungen. Zudem wurden auf dem neuen Einfamilienhausgebiet "Am Stockelfeld" 30 Baugrundstücke ausgewiesen. Zurzeit wird ein Kreisverkehr am Eingang des Altländer Viertels gebaut. Im nächsten Jahr soll, so Schröder-Doms, das Viertel mit dem Bahnhof verbunden werde: "Dadurch wird der Inselcharakter aufgehoben."