Eine Siedlung aus der Bronzezeit bei Agathenburg beherbergt womöglich eine wissenschaftliche Sensation

Agathenburg. Die Sonne brennt gnadenlos vom Himmel herab, bei 35 Grad ist es für viele Menschen kein Vergnügen, draußen zu sein und zu arbeiten. Doch für Andrea Finck und ihr Team ist das anders. Auf einem Feld nahe dem Flugplatz Stade-Agathenburg harrt die Archäologin mit ihren fünf Mitarbeitern der Dinge aus. Ein Sonnenschirm spendet minimalen Schatten für das sechsköpfige Grabungsteam das hier, wo später eine Straße gebaut werden soll, im Sand nach Spuren zur Stader Geschichte sucht.

Praktisch jeder Archäologe träumt davon, einmal in seinem Leben einen sensationellen Fund zu machen. Hier, in den unspektakulären Äckern einer Region, die so gut wie nie im Fokus der Weltgeschichte stand, fernab von legendären "Archäologenparadiesen" wie Ägypten, Babylon, Petra, Cuzco und Yucatán, ist vielleicht eine solche Sensation vergraben. Keine große, aber doch eine kleine. Das hoffen zumindest die Archäologen.

Die Arbeit in der Erde geht nur Zentimeter für Zentimeter voran

"Wir graben hier gerade eine Siedlung aus der Bronzezeit aus", sagt Fincke und zeigt auf kleinere Erdlöcher, die den Boden zieren und die von den Archäologen in tagelanger Arbeit Zentimeter für Zentimeter freigelegt wurden. Das ist alles noch nicht ungewöhnlich, sagt Fincke, denn vor etwa 2500 Jahren gab es mehrere Siedlungen im Stader Raum. Das ist anhand von Grabungen inzwischen belegt. "Die Region rund um die Schwingewiesen und bei der Heidbek bei Agathenburg muss ein sehr fruchtbares Areal gewesen sein", sagt der Stader Archäologe Andreas Schäfer und zeigt auf die Landschaft. Eine derartige Anhäufung bronzezeitlicher Dörfer sei sonst nicht zu erklären. "Etwa 30 Siedlungen aus der Zeit um 750 bis 500 vor Christus lassen sich hier bereits jetzt nachweisen," sagt Schäfer. Die ersten Ausgrabungen datieren zurück in die 1930er-Jahre.

"Eine typische Siedlung der Bronzezeit bestand aus etwa vier Feuerstellen und beherbergte ungefähr 100 Menschen", sagt Schäfer. Von den alten Siedlungen sind nur noch wenige Spuren zu erahnen. Dunkle Flecken, die in regelmäßigen Abständen in der Erde zu sehen sind, deuten für Schäfer und Fincke darauf hin, dass dort Pfähle für Häuser oder Vorratskammern eingelassen waren. Andere Verfärbungen lassen auf Feuerstellen und unterirdische Kammern schließen.

Gerd Lübcke sitzt in 1,4 Meter Tiefe in einem Loch in der Erde. Um ihn herum ist ein Wall von Erde und nicht weiter definierbaren Bruchstücken aufgetürmt. Lübcke schwitzt, der Schweiß tropft ihm die Stirn hinunter, seine Kleidung ist vom Staub vollkommen verdreckt, unter den Fingernägeln seiner kräftigen Hände sitzt jahrtausendealte Erde. Lübcke kratzt mit einer kleinen Kelle den Sand weg, bürstet vorsichtig mit einem kleinen Besen ein weiteres Bruchstück frei, dass er wie einen kleinen Schatz ins Tageslicht hebt und liebevoll anschaut. Eine Scherbe. 2500 Jahre alt. Die geschätzt 500. Tonscherbe, die er geborgen hat. "Da ist noch jede Menge davon in dem Loch", sagt Lübcke. 2500 Tonscherben, so schätzt er, wird er mindestens aus dem Loch bergen. Es ist eine dreckige Arbeit, aber sie macht dem 49-Jährigen, der bereits zum siebten Mal an einer Grabung teilnimmt Spaß, trotz der brütenden Hitze.

Andrea Fincke ist mit dem bisherigen Ergebnis der Grabungen zufrieden. "Wir hatten zuerst gedacht, dass dieses Loch eine weitere Feuerstelle sei, doch dann hat sich herausgestellt, dass es sich hier um eine Kammer, wahrscheinlich für Lebensmittel handelt", sagt Fincke. Die Tonscherben gehörten wahrscheinlich zu Tongefäßen, in denen Speisen aufbewahrt wurden. Damit diese vielen Teile aber ihre vollständige Geschichte erzählen können, müssen sie gesäubert, katalogisiert, archiviert und mühsam wieder zugeordnet werden - es ist fast wie ein 1000-Teile-Puzzle, das die Archäologen mühsam zusammensetzen müssen.

"Auch wenn wir noch nicht alles zusammengesetzt haben, können wir dennoch relativ schnell und zuverlässig sagen, aus welcher Zeit die Fundstücke sind", sagt Schäfer. Der Trick dabei: Schon in der Bronzezeit gab es Moden - bei Kleidung und auch in der Verzierung der Töpferwaren. "Die Verzierungen, die wir an Töpferwaren finden, sind nicht nur hier zu finden, sondern auch in anderen Regionen", sagt Schäfer. Die Welt von damals, sie war nicht so klein, isoliert und kommunikationsarm, wie manch einer glaubt. "Der Informationsaustausch ging damals nicht ganz so schnell wie heute, aber er war erstaunlich gut organisiert und zuverlässig", sagt Schäfer. Dank des Handels und der Wegenetze verbreiteten sich Modetrends innerhalb kurzer Zeitspannen innerhalb Norddeutschlands.

Für Schäfer und Fincke ist die Grabung aber nicht nur wegen dieser reichen Funde, die sie an den Tag fördern, eine wahre Goldgrube. Der größte Schatz ist eine Fläche, bei der sich die Forscher noch uneins sind, wie sie sie einschätzen sollen. Bisher gingen die beiden Forscher davon aus, dass es sich bei der schlüssellochförmigen Verfärbung möglicherweise um ein sogenanntes Schlüssellochgrab handelt, also eine bestimmte Grabstättenart, die so in der Region noch nicht nachgewiesen wurde. "Sollte sich diese Vermutung wirklich bewahrheiten, wäre das schon eine kleine Sensation", sagt Schäfer vorsichtig. Finck ist aber noch skeptisch, denn der für diese Gräberart typische Erdgraben rund um die Fläche fehlt - warum auch immer. Schäfer und Finck sind sich einig: Eine Antwort gibt es nur, wenn noch tiefer gegraben wird.

Gesagt, getan - doch, worauf sie dann stoßen, sorgt für vollständige Verwirrung bei den beiden Forschern. Ein riesiger Felsblock lauert unter den oberen Deckschichten des vermutlichen Schlüssellochgrabes.

Die Archäologen vermuten einen Hinkelstein unter der Grabkammer

Je tiefer sie graben, desto größer wird der Steinblock. Schäfer schätzt dessen Länge auf mindestens drei Meter. Ein Kran soll nun den Brocken bergen. Schäfer vermutet, dass es sich bei dem Steinklotz um einen Hinkelstein handeln könnte - und das wäre eine echte Sensation.

"Es wäre das erste Mal in Norddeutschland, dass ein solcher Stein ans Tageslicht gefördert würde", sagt der Archäologe, seine Stimme, die sonst sehr nüchtern und analytisch ist, klingt zum ersten Mal etwas aufgeregt. Wie, wann und warum ein Hinkelstein nach Stade gekommen ist, das wäre ein weiteres, kompliziertes Rätsel, das Schäfer und Finck noch lösen müssten - zusätzlich zu der Frage, was das vermutliche Schlüssellochgrab denn nun sei. "Wir sind auf jeden Fall gespannt, was uns diese Grabungsfläche noch an Überraschungen bieten wird", sagt Schäfer sichtlich zufrieden.