Beim Kettensägenkursus der Volkshochschule Lüneburg treffen Familienväter auf echte Kerle - und auf echte Gefahren.

Lüneburg. Henning springt einen Schritt zurück. Die Buche macht etwas anderes, als er erwartet hat. Der tonnenschwere Baum kippt. Zu früh. "Weg, weg, weg, weg, weg!", brüllt irgendjemand von hinten. Laut knackend spaltet sich das massive Holz. Über der Sägekerbe reißt der Baum auf, mehr als einen Meter hoch. Splitter schleudern aus der Spalte. Als der 20 Meter lange Stamm dumpf aufschlägt, zittert der Waldboden. Die Kettensäge in Hennings Händen knattert im Leerlauf vor sich hin.

+++ Immer mehr Menschen wollen Holz im Wald selbst sägen +++

Wenige Stunden zuvor hatte Henning seinen ersten Baum gefällt. "Das macht voll Spaß hier!", hatte er da noch gesagt. Mit sich und seinem Werk zufrieden, stand er im Wald und lächelte. Dann aber wuchs sein Respekt vor der Kettensäge und vor den Bäumen. Zuerst, als seine Säge beim Anlassen plötzlich durchgestartet war: Er hatte nicht bemerkt, dass die Kettenbremse gelöst und der Gashebel verklemmt war. Und schließlich, als eben jene Buche unkontrolliert fiel und aufbrach. Henning hatte den Fällschnitt zu schräg angesetzt.

Henning ist 37 Jahre alt, lebt südlich von Lüneburg, entwickelt in Hamburg Spiele für Internetbrowser und hat vor kurzem einen Wald geerbt. "Na ja, eher ein Wäldchen", sagt er, "1200 Quadratmeter." 150 Bäume stehen dort - schätzt er. Einige davon würde Henning gern fällen, doch bisher wusste er nicht wirklich, wie. Deshalb wollen er und 17 weitere Männer an diesem Tag in einem Waldstück bei Drögennindorf ihren "Motorsägenschein" erwerben. Ein Lastwagenfahrer, ein Jugendarbeiter, ein Polizist, ein Arzt, ein Finanzbeamter - hier im Wald sind sie alle per Du. Aus allen Richtungen röhrt und knattert es, hinter den Bäumen huschen orangefarbene Helme und Warnwesten hin und her. Der Geruch von Zweitaktbenzin weht durch die Luft.

Beim Volkshochschulkursus "Umgang mit der Motorsäge & Co." machen Männer ihre Bäume in Dreierteams nieder. Jeder soll so viel wie möglich selbst üben, doch sechs Augen sehen mehr als zwei. Manchmal nimmt auch eine Frau teil. Heute nicht. Die meisten belegen den Lehrgang, weil sie zu Hause Kinder, Frau und Ofen haben - oder weil sie einen Gutschein für den Kursus geschenkt bekommen haben. Bald will auch Henning für sich und seine Familie einen Kamin kaufen und das Holz dafür selbst schlagen - oder zumindest selbst klein sägen. Ein anderer Kursteilnehmer formuliert es so: "Früher bist du mit deinem 3er BMW mit offenen Fenstern im dritten Gang durch den Elbtunnel geröhrt, heute fährst du einen Diesel, Touran mit Kindersitzen - einen Pampers-Bomber." Er zuckt mit den Schultern.

+++ Ausrüstung kostet mindestens 700 Euro +++

"Du stehst vor dem Baum und sprichst ihn erst mal an", erklärt Ausbilder Peter Galetzka den Kursusteilnehmern. Er redet laut, mit tiefer Stimme. Leise kann er nicht. Sein Atem riecht nach Pfeifentabak, Vanillearoma. Tiefe Schnitte zeichnen seine Hände. Zwischendurch isst er Waffeln aus dem Supermarkt - die Plastikverpackungen öffnet er mit der Klinge seiner Spaltaxt. Peter ist 64 Jahre alt und hat eine Statur, die beim Gedanken an einen Holzfäller wohl kaum jemand vor Augen hätte. Was ihm an Körpergröße fehlt, macht er jedoch durch Drahtigkeit und Erfahrung dreimal wett. Seinen ersten Baum legte er um, als er 17 war.

Ohne um die Gefahr zu wissen, fällte er einmal Bäume in einem Gebiet, das die Engländer im Zweiten Weltkrieg beschossen hatten. In einem alten Stamm steckte noch Flak-Munition. Beim Hineinsägen flogen Peter Metallsplitter um die Ohren, einer von ihnen riss ihm ein Loch in die Stirn, knapp über dem Auge. "Du blutest", hatte ihm einer gesagt. "Dann hol mir mal 'nen Spiegel und 'ne Pinzette", habe er geantwortet, erinnert sich Peter.

Peter erzählt seinen Schülern viel über die Tücken des Sägens: "Da wird das Arschloch schon warm, wenn da auf einmal Hornissen rauskommen, weil der Baum bewohnt ist." Nicht alle seine Geschichten haben ein gutes Ende: "Dann ist ein Stamm abgeplatzt, hochgeknallt und hat dem Kerl die Brust aufgerissen und den Kopf ab. Den haben wir erst drei Tage später gefunden, weil der Kerl schwarz gesägt hat."

"Der ist nicht ganz dicht!", flüstert ein Teilnehmer einem anderen zu. "Noch mehr Horrorgeschichten, und ich hab keinen Bock mehr", antwortet der. Es klingt, als meine er es nur halb im Scherz. Peters Geschichten lassen den Respekt vor dem Hobby Sägen wachsen.

Kettensägen sind Peter Galetzkas Ein und Alles: Zwölf Modelle besitzt er, das größte mit anderthalb Meter langem Schwert - drei Meter Kette. Er verdient sich etwas Geld dazu, indem er den Kursusteilnehmern zeigt, wie sie ihre Ketten mit der Feile schärfen. Oder wie sie mit Ast und Augenmaß exakt bestimmen, wie lang der Baum hinfallen wird. Doch zuerst bringt er allen die "Baumansprache" bei - jenen Schritt, den jeder Holzfäller beherrschen muss, bevor er die Säge anwirft: Ist der Baum gerade oder schief, gesund oder faul, in welche Richtung drückt das Gewicht seiner Krone? "Dann steh' ich erst mal da, seh' ihn an und sage: Du kannst Geschichte erzählen, Kumpel." Peter lebt mit dem Wald. Das merkt jeder, der ihm einen Tag lang zusieht.

"Was er macht, ist pädagogisch manchmal ein bisschen grenzwertig", sagt Heinrich Matzke, der Kursusleiter, schmunzelnd über seinen Hilfslehrer. Aber manchmal bleibe eine markige Ansage eben besser hängen. Eine wie: "Ich hab' keine Lust, dass hier einer die Säge im Arm oder im Bein oder im Sack oder sonst wo hat!" Oder: "Das sind keine Zentner, die da runterkommen, das sind Tonnen! Wenn der Baum dir die Rippen platt drückt, dann hilft da gar nichts mehr."

Peters Pädagogik wirkt. Unglücke, wie er selbst sie in Erinnerung hat, sollen sich möglichst nicht wieder ereignen. Darum bietet Heinrich Matzke in Zusammenarbeit mit der Lüneburger Volkshochschule die Kettensägenkurse an. Vor zehn Jahren rief Matzke, hauptberuflich Forstwirt und Umwelttechniker beim Kreis Lüneburg, den Kursus ins Leben - weil ihn beschäftigte, wie sorglos damals viele Menschen auf eigene Faust im Wald fällten. Zunächst waren es nur wenige Lehrgänge pro Saison, je nach Bedarf. Der aber wurde insbesondere in den vergangenen drei Jahren immer größer. "Im vergangenen Jahr hatten wir den Zenit", schätzt Matzke: 13 Kurse von Oktober bis Februar - in dieser Saison waren es nur zehn. "Ich hätte im Leben nicht gedacht, dass das so ein Dauerboom wird", sagt der 54-Jährige. Bereits jetzt gibt es Interessenten für die Plätze ab Oktober 2012.

Als die Dämmerung einsetzt und Heinrich Matzke die "Motorsägenscheine für stehendes Holz" verteilt, sehen die Gesichter müde aus, die Haare unter den Helmen sind nass geschwitzt. Matzke mahnt, bei einigen habe ihm etwas mehr Respekt vor dem fallenden Baum gefehlt. Trotzdem ist er zufrieden: "Ein Hauptziel für heute ist erreicht: Ihr seid alle wieder im Ganzen zurückgekommen. Das ist ja auch nicht selbstverständlich."

Er selbst hat nur einen ernsthaften Unfall in zehn Jahren Kettensägenkursus-Geschichte miterleben müssen: Eine Spaltaxt landete im großen Zeh einer jungen Teilnehmerin. Sie hatte statt der dringend empfohlenen Schnittschutzschuhe Gummistiefel angezogen.