Vorzeitiger Ruhestand

Wenn die Kraft nicht bis zur Rente reicht

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Christine Weiser

Die Zahl derer, die mit Attest aus dem Berufsleben ausscheiden, steigt. Auf der anderen Seite bauen Firmen auf die Erfahrung älterer Mitarbeiter.

Viele tun es, genau genommen fast jeder Zweite. Knapp die Hälfte der Arbeitnehmer in Deutschland geht vorzeitig in den Ruhestand. Ab diesem Jahr greift die neue Regelung, die bis zum Jahr 2029 eine schrittweise Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre vorsieht. Wer sich früher ins Privatleben verabschiedet, muss mit finanziellen Einbußen rechnen.

Die Zahl derjenigen, die - derzeit noch mit vergleichsweise geringen Abzügen - vorzeitig aus dem Berufsleben ausscheiden, hat in den vergangenen Jahren zugenommen. Einer von ihnen ist Wolfgang Peter Paul. Ein Jahr eher ist der ehemalige Niederlassungsleiter einer Reinigungsfirma in Rente gegangen. "Wir haben uns zusammengesetzt, und das hat dann einfach gepasst", sagt der ehrenamtliche Seniorenbeauftragte der Stadt Lüneburg. Mit den Abschlägen könne er leben, sie seien sehr moderat. Viele der 18.000 Rentner, die in Lüneburg leben, haben Fragen zum Thema Rente. "Die meisten interessiert, wie es finanziell aussieht", sagt Wolfgang Peter Paul.

Aber nicht alle wollen einfach ein bisschen früher ihrer Familie, ihren Freunden und ihren Hobbys mehr Zeit widmen. Wolfgang Peter Paul zählt Beispiele auf, in denen der Arbeitgeber älteren Beschäftigten nahelegt, doch vorzeitig in Pension zu gehen. "Da gibt es Modelle, dass Mitarbeiter über 60 ihre Stelle abgeben und dann dieselbe Arbeit als Minijob weitermachen", sagt Wolfgang Peter Paul. Und ältere Arbeitslose mit wenig Aussicht auf Vermittlung würden gezielt von den Arbeitsagenturen angesprochen, ob sie nicht vor Vollendung des 65. Lebensjahres aus dem Berufsleben ausscheiden wollten.

Viele sind auch den Anforderungen, die ihr Job an sie stellt, mit Mitte 60 nicht mehr gewachsen. Auch in Lüneburg erklären Ärzte immer mehr ältere Menschen für arbeitsunfähig. Im Jahr 2009 wurde 260 Männern und Frauen Rente wegen vollständiger Erwerbsminderung bewilligt. Im vergangenen Jahr erhielten 315 Menschen in Lüneburg einen solchen Rentenbescheid. Immer häufiger sind psychische Belastungen am Arbeitsplatz der Grund für das Ausscheiden aus dem Berufsleben vor Erreichen des Rentenalters.

"Bei denen, die aus psychischen Gründen ausscheiden, handelt es sich in der Regel nicht um Manager mit Burn-out. Es sind eher kleine Angestellte, die enorm unter Druck stehen. Viele Arbeitgeber erwarten Überstunden und Flexibilität der Arbeitnehmer, und wer keinen Ausgleich hat, kann leicht krank werden", sagt Wolf-Dieter Burde, Sprecher der Deutschen Rentenversicherung Braunschweig-Hannover, die auch für den Raum Lüneburg zuständig ist. Seit einigen Jahren trifft Burde auf immer mehr Menschen mit Brüchen in den Erwerbsbiografien. In den kommenden Jahren werde die Altersarmut zunehmen, ist Burde überzeugt. Vor allem Menschen, die über viele Jahre hinweg nur wenig verdient und damit in die Rentenkasse eingezahlt hätten, drohten niedrige Renten im Alter. "Bei Aufstockern, Zeitarbeitern und Menschen, die immer mal wieder Phasen der Arbeitslosigkeit erlebt haben, reißt ein vorzeitiger Eintritt in den Ruhestand gigantische Löcher in die Bezüge."

Auf der anderen Seite beobachtet Wolf-Dieter Burde eine andere Tendenz: Inzwischen suchen Arbeitnehmer und Arbeitgeber häufiger gemeinsam nach Wegen, das Arbeitsverhältnis über das Renteneintrittsalter hinaus fortzusetzen. Diese Entwicklung führt der Sprecher der Rentenversicherung auf den demografischen Wandel zurück, inzwischen sei die Zahl der Fachkräfte am Markt gesunken. Auch die Wirtschaft signalisiert Bereitschaft sich intensiver mit dem Thema auseinanderzusetzen.

"Die Generation '60 plus' ist heute viel aktiver als noch vor einigen Jahrzehnten", sagt Heiko Westermann, Präsident des Arbeitgeberverbandes Nordostniedersachsen. Zu arbeiten sei für viele mehr als bloßer Broterwerb. "Der Arbeitsplatz bedeutet für viele auch soziale Integration, Bestätigung und das gute Gefühl, noch gebraucht zu werden."

Er gebe in seinen Sprechstunden Arbeitgebern den Tipp, sich an die Krankenkassen zu wenden. Die böten spezielle Gesundheitspräventionskurse an, die auch älteren Arbeitnehmern dabei helfen können, möglichst lange fit zu bleiben, sagt Wolfgang Peter Paul. Er sieht aber noch Verbesserungsbedarf auf Arbeitgeberseite. "Die Unternehmen erkennen erst langsam, wie wichtig in Zukunft auch ältere Arbeitnehmer sein werden. Daher gilt es, Arbeit und die Arbeitplätze so umzuorganisieren, dass es allen zugute kommt", sagt Paul.

Mit der Anhebung des Rentenalters werden langfristig auch in Deutschland mehr Ältere arbeiten. Momentan liegt die Beschäftigungsquote in der Altersgruppe der Älteren (55 bis 64 Jahre) bei 39 Prozent. In Schweden sind es dagegen 69 Prozent, teilt der Sozialverband Deutschland mit.

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