Im Landkreis Stade werden immer mehr Fälle von Körperverletzung gemeldet. Die Nachfrage nach Selbstverteidigungskursen steigt.

Stade/Buxtehude. Sind Menschen heute eher zur Gewalt bereit als früher? Die Zahl der gemeldeten Fälle von schwerer, leichter und gefährlicher Körperverletzung im Landkreis Stade lässt dies vermuten. Sie ist in den vergangenen zehn Jahren deutlich gestiegen. Wurden im Landkreis Stade im Jahr 2001 nur 623 Fällen registriert, waren es 2011 bereits 1050 Fälle.

"Ein Grund für diesen deutlichen Anstieg ist aber, dass die Dunkelziffer in den vergangenen Jahren gesunken ist", sagt Jens Eggersglüß, Leiter der Polizeiinspektion Stade. "Heutzutage lässt man sich nicht mehr einfach anfassen, sondern meldet solche Vorfälle der Polizei."

Einen körperlichen Angriff auf die eigene Person nimmt kaum jemand einfach so hin. Das spüren auch die Veranstalter von Selbstverteidigungskursen im Landkreis und reagieren auf die steigende Nachfrage: Im Landkreis gibt es Selbstverteidigungskurse speziell für Kinder, Frauen, Männer und auch für Senioren.

"Die Zahl der Anmeldungen zu Selbstverteidigungskursen ist in den vergangenen Jahren gestiegen", sagt Timo Gelhard. Der Stader betreibt seit 22 Jahren Kampfsport und bietet seit acht Jahren Selbstverteidigungskurse in seiner Sportschule in Stade-Ottenbeck an. Generell gehe es, so sagt der Trainer, bei der Selbstverteidigung um das, was auch der Name beinhalte: Sich verteidigen zu können, falls man in eine Situation kommt, in der man angegriffen wird. "So etwas wie ein Mittel gegen alles ist der Unterleibsschlag. Wird der gezielt ausgeführt, lockert der Angreifer erst mal seinen Griff," sagt der 37 Jahre alte Profi.

Wie genau eine weitere Verteidigung aussieht, komme jedoch auf den Angreifer und auch auf den Angegriffenen an. Dabei müssten Körpergröße, Gelenkigkeit und körperliche sowie psychische Kraft berücksichtig werden. Deswegen gibt es Selbstverteidigungskurse, die auf Frauen abgestimmt sind, welche, die für Kinder geeignet sind, und Kurse speziell für Senioren.

Diese Unterscheidung sei aber nicht in jedem Fall von Vorteil, sagt Gelhard. "Entgegen dem verbreiteten Gedanken, dass eher Frauen Selbstverteidigung lernen wollen, melden sich bei uns deutlich mehr Männer an." Frauen, die sich dennoch für Selbstverteidigung entscheiden, nehmen meist lieber an Wochenendenseminaren teil, die ausschließlich für Frauen ausgelegt sind. "Das ist für den Anfang gut, aber nicht völlig ausreichend", sagt Gelhard, "die Frauen, die wöchentlich kommen, trainieren unter realen Bedingungen, nämlich gegen kräftige Männer."

Diesen Vorteil sieht auch Teilnehmerin Enrike Sklomeit, 31, aus Buxtehude: "Ich bin regelmäßig hier, weil ich mich sicherer fühlen möchte. Und ich weiß, wenn mich jemand überfällt, dann wird das wahrscheinlich keine Frau sein, die 50 Kilo wiegt." Deswegen findet sie es gut, mit Männern zu trainieren und den Trainingspartner regelmäßig zu wechseln.

Bei Kindern hingegen gibt es diese Unterscheidung noch nicht. Norman Goly von der Karateschule Agathenburg, 40, hat die Schule vor zehn Jahren gegründet und einen Schwerpunkt auf die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen gesetzt. Oft kommen Jugendliche zu ihm, die bereits schlechte Erfahrungen in der Schule oder auf der Straße gemacht haben und sich gezielt für die Selbstverteidigung interessieren.

"Die Kinder sollten aber mindestens neun oder zehn Jahre alt sein, wenn sie hier anfangen", sagt Goly, "schließlich müssen sie eigenständig sein und gegebenenfalls auch mit Konsequenzen leben." Auch wenn sich jemand nur wehre, könne der Angreifer schwer verletzt werden, sagt Goly. Deswegen vermittelt er den Kindern und Jugendlichen auch, welche strafrechtlichen Konsequenzen dies haben kann.

In der Arbeit mit Kindern geht es nach Golys Auffassung vor allem um Gewaltprävention. "Die Kinder und Jugendlichen sollen auch lernen, sich deeskalierend zu verhalten. Ich verbinde deswegen das geistige Training mit dem technischen. So können sie sich optimal zur Wehr setzen."

Diese Verbindung von Geist und Körper steht auch für Selbstverteidigungstrainer Carsten Mewes, 51, aus Harsefeld in seinen Senioren-Selbstverteidigungskursen im Vordergrund. Zum einen sei es wichtig, dass die Teilnehmer ihren Geist aktiv hielten und lernten, Gefahrensituationen frühzeitig zu erkennen. Zum anderen ist es für Mewes wichtig, die körperlichen Möglichkeiten der einzelnen Teilnehmer zu beachten und diese zu nutzen.

"Senioren können nicht wegrennen, deswegen müssen sie wissen, dass ein Tritt vor das Schienbein oder ein Schlag mit der Handtasche oder dem Krückstock auch hilfreich sein kann." Der Vorteil sei bei Senioren oft, dass Täter mit einer solchen Reaktion von älteren Mitbürgern nicht rechneten. Mewes setzt deswegen auf das Überraschungsmoment.

Ehemalige Teilnehmer eines solchen Kurses sind nach wie vor begeistert. Annelise Schnelle, 67, aus Horneburg hat in einem Senioren-Kursus viel gelernt: "Wir wissen jetzt genau, wo wir zutreten müssen. Ich fühle mich nun abends und nachts wesentlich sicherer." Schon bald möchte sie solch ein Seminar wieder besuchen. "Sonst verlerne ich das so schnell wieder."

Auch Lehrer Timo Gelhard sagt: "Wichtig ist die Routine. Nur, wenn der Angegriffene nicht viel nachdenken muss, kann er in einer Gefahrensituation schnell und effektiv handeln und sich verteidigen." Dieser Aspekt der Selbstverteidigung ist einer, der für alle Geschlechter und Altersstufen gilt.