Inge Barfels aus Lühe war sechs, als die Sturmflut kam. Die Familie flüchtete, der Großvater blieb jedoch allein in Lühe zurück. Er ertrank.

Jork/Lühe. Inge Barfels war im Februar 1962, als die schwere Sturmflut das Alte Land überschwemmte, gerade sechs Jahre alt. Sie wohnte in Lühe direkt am Elbdeich, nahe dem Unterfeuer Mielstack. Ihr Großvater Jakob Barfels war das einzige Todesopfer der Sturmflut in der Zweiten Meile Altes Land zwischen Lühe und Este. "Diese Unglücksnacht habe ich nie vergessen können. Sobald wir Sturm mit Orkanstärken bekommen, ist dieses Angstgefühl wieder so intensiv wie in jener Sturmflutnacht", sagt Inge Barfels.

Es stürmte und regnete schon seit Tagen in jenem Februar vor 50 Jahren. "Aber in dieser Freitagnacht vom 16. auf den 17. Februar hörte der Orkan nicht auf, zu heulen. Meine beiden älteren Schwestern und ich lagen schon im Bett, als mein Vater von seiner Nachtschicht auf der Deutschen Werft kam." Heinz Barfels, damals 38 Jahre alt, sagte seiner Frau Edith, damals 35 Jahre alt, dass die Elbe so bedrohlich steigt, dass es gefährlich wird. Inge Barfels erinnert sich noch genau an die angstvolle Stimme ihrer Mutter, als sie die drei Mädchen aus den Betten holte, warm anzog und erklärte: "Wir müssen weg, das Wasser kommt."

Die Eltern brachten alle Haustiere auf den Heuboden und verstauten ein paar wenige Sachen auf dem Goliath, einem kleinen Lieferwagen mit drei Rädern. "Wir Kindern wurden zu den Großeltern geschickt, Bescheid zu sagen, damit auch sie sich auf die Flucht vorbereiten. Aber Opa wollte nicht mit und ließ sich nicht umstimmen, so sehr wir Kinder auch bettelten", sagt Inge Barfels. Es war die letzte Begegnung mit ihrem Großvater. Als alles Gepäck verstaut war, stiegen die Mädchen auf die Ladefläche des Goliath. Die Familie Barfels machte sich auf den Weg zu Verwandten nach Bliedersdorf auf die höher liegende Geest. Dort suchten viele Altländer Zuflucht vor den Wassermassen.

Die Familie Barfels war vermutlich gestartet, kurz bevor der Lühedeich an verschiedenen Stellen zwischen Höhen und Lühe brach. In die Obsthöfe schossen die brodelnden Wassermassen vom Hinterland aus und breiteten sich rasant aus. Die Straße am Elbdeich in Wisch stand unter Wasser. Auch in Neuenschleuse waren die Straßen schon überflutet. Der Sturm toste, und der Regen peitschte auf das dunkle Wasser in den Straßen, durch die sich der Vater am Steuer des Goliath mühsam voranarbeitete. "Wir hatten fürchterliche Angst, dass wir mit dem Auto in den Wassermassen steckenbleiben", sagt Inge Barfels. "Mein Vater behielt die Nerven, und wir schafften es, aus der gefährlichen Hochwasserzone herauszukommen."

In Bliedersdorf bei den Verwandten hätten sie sich sicher gefühlt. "Aber alle Gedanken waren bei unserem Zuhause, bei unseren Tieren und natürlich bei unserem Großvater, der auf dem Hof die Stellung halten wollte. Gleich am Morgen nach der Sturmnacht fuhren mein Vater und sein Cousin mit einem Boot zurück ins Alte Land." Dort war es ohne Kahn gar nicht möglich, zum Elternhaus der Barfels zu kommen. "Im Haus der Großeltern riefen die Männer vergeblich nach unserem Opa. Die unteren Räume waren geflutet. So suchten die Männer den 77-Jährigen in den oben liegenden Räumen. Vergeblich.

Sie fanden ihn in der gefluteten Wohnstube. Er hatte wohl versucht, noch Dokumente aus dem Wohnzimmerschrank zu retten, als die Wassermassen einbrachen und den schweren Schrank so anhoben, dass er umkippte. Vermutlich hatte der umstürzende Schrank den Obsthändler Jakob Barfels unter Wasser gedrückt, sodass er sich nicht mehr befreien konnte und ertrank. "Ich weiß noch wie heute, wie mein Vater und mein Onkel mit der traurigen Nachricht zurückkamen, dass unser Opa tot ist. Wir haben sehr geweint. Ich war das erste Mal mit dem Thema Tod beschäftigt."

Und jeder starke Sturm lässt diese Erinnerungen bis heute wieder lebendig werden. "Die Angst vor dem Wasser, wenn es bedrohlich am Elbdeich steigt, ist geblieben", sagt Inge Barfels. Sie habe riesengroßen Respekt vor den Fluten, und wenn sie die Wahl gehabt hätte, stünde ihr Haus auf einer hohen Warft. "Auch wenn wir nun diesen sehr hohen Deich direkt vor dem Haus haben, bleibt bei jedem Sturm die Sorge, ob das Wasser wieder kommen kann", sagt sie. Nachdem der Wasserpegel Pegel im Februar 1962 wieder gesunken war, wurden Trümmer und Chaos beseitigt. Alle Nachbarn halfen mit. Und doch war nichts mehr so in Lühe wie vor der Flut.

"Immer wenn schwere Stürme über dem Alten Land tosten, räumten wir die wichtigsten Sachen in die oberen Räume unseres Hauses. Als 1976 noch einmal eine schwere Sturmflut an der Elbe war, die insbesondere Kehdingen traf, war mein Vater zur Kur. Meine Mutter und wir nun inzwischen erwachsenen Geschwister hatten fürchterliche Angst, allein noch einmal ein so schlimmes Hochwasser erleben zu müssen." Weil die Deiche in Kehdingen brachen, kam das Alte Land glimpflich davon. Inge Barfels: "Aber darauf kann man sich nach den Erlebnissen von 1962 nicht mehr verlassen."