Gert Lindemann (CDU) im Abendblatt-Interview: Landwirte müssen sich dem Verbraucher öffnen, um Akzeptanz für ihre Arbeit wiederzugewinnen.

Echem. Die intensive Nutztierhaltung ist in Verruf geraten, die Bösen sind schnell ausgemacht: die Bauern. Sie müssen wieder in die gesellschaftliche Mitte gerückt werden, so Niedersachsens Landwirtschaftsminister Gert Lindemann (CDU) bei einem Besuch des Landwirtschaftlichen Bildungszentrums in Echem. Das Abendblatt hat mit ihm gesprochen.

Hamburger Abendblatt: Herr Minister, Sie sagen, in der Bevölkerung müsse wieder Akzeptanz für die Arbeit der Landwirte geschaffen werden. Wie?

Gert Lindemann: Das A und O ist ein hohes Maß an Transparenz. Für den Verbraucher muss sichtbar sein, wie moderne Landwirtschaft funktioniert. Ich glaube, in aller Regel müssen sich die Landwirte dabei nicht verstecken.

Wer versucht, einen Geflügelmaststall zu besichtigen, läuft bei dessen Betreibern aber nicht gerade offene Türen ein.

Lindemann: Wir werden in den Richtlinien für die Agrarinvestitionsförderung verankern, dass Landwirte, die in besonderer Weise für Transparenz in ihren Ställen sorgen, einen Bonuspunkt bekommen. Sie könnten beispielsweise zusätzliche Fenster einbauen, durch die auch Wanderer und Spaziergänger jederzeit von außen einen Blick in die Ställe werfen können. Es ist auch wichtig, dass die Landwirte den Dialog mit den Verbrauchern führen, um zu zeigen, wie die moderne Landwirtschaft heute funktioniert. Leider zeichnet die Werbung ein völlig falsches Bild. Sie suggeriert, Landwirtschaft sehe aus wie vor 30 oder 40 Jahren, und gaukelt auf der anderen Seite das Bild vor, dass Kühe lila seien. Das hat mit der Realität nichts zu tun.

Der Widerstand gegen Massentierhaltung ist dort besonders groß, wo neue Ställe gebaut werden sollen. Können Sie das nachvollziehen?

Lindemann: Rational schlecht, emotional aber gut. Menschen fühlen sich nach so vielen Horrormeldungen, die über moderne Nutztierhaltung verbreitet werden, irritiert und unsicher, wie sie auf solche Vorhaben reagieren sollen. Selbst dort, wo belegbar keine Gesundheitsgefährdung für die Anwohner besteht, regt sich Widerstand allein aus dem Gefühl, hier könnte etwas Gefährliches passieren. Dem wird man nur begegnen können, wenn man offen an das, was man vorhat, herangeht und die Bürger einbezieht. Auf der anderen Seite gibt es an der einen oder anderen Stelle durchaus Probleme mit moderner Nutztierhaltung, denen wir uns stellen müssen, was wir mit unserem Tierschutzplan auch tun.

Was steht im Tierschutzplan?

Lindemann: Wir haben 38 Punkte beschrieben, in denen wir Handlungsbedarf sehen. Das reicht von der Tötung von Eintagsküken über Schnäbelstutzen und Anbindung von Milchkühen bis zur Skelettdeformationen durch zu schnelle Mast.

Trotzdem: Die Massentierhaltung im Land hat sich in den vergangenen zehn Jahren nahezu verdoppelt, heutzutage werden rund 70 Prozent der Schweine in Großanlagen gehalten. Wann ist das Maß des Erträglichen voll?

Lindemann: Ich kann mit dem Begriff Massentierhaltung nichts anfangen, weil es dafür überhaupt keine Definition gibt und ich den Eindruck habe, dass emotional höchst unterschiedliche Vorstellungen darüber herrschen, wann sogenannte Massentierhaltung beginnt.

Wie definieren Sie das denn?

Lindemann: Das ist aus unserer Sicht eine Tierhaltung, die eine Größe erreicht hat, bei der es für den einzelnen Betriebsinhaber nicht mehr möglich ist, seine Tiere unter einer guten Aufsicht und Kontrolle zu halten.

Viele Kommunen beklagen, dass sie auf Neubauten so gut wie keinen Einfluss haben, weil das Baurecht landwirtschaftliche Vorhaben privilegiert.

Lindemann: Ich habe bereits im Frühjahr 2011 vorgeschlagen, dass wir in Gebieten, in denen wir schon jetzt eine verbreitete Intensivtierhaltung haben, die Privilegierung für großgewerbliche Anlagen aufheben. Was bedeuten würde, dass dort ein Bebauungsplan erstellt werden muss.

Was für diese Region ohne Bedeutung wäre.

Lindemann: Wir haben meines Erachtens unzweifelhaft ein Problem etwa im Landkreis Emsland mit 33 Millionen Plätzen für Geflügel. Da habe ich viel Verständnis, wenn man sagt, dass dort die Grenze des Erträglichen erreicht ist. Bei einer so hohen Dichte an Nutztieren in der Region muss man eine sehr sorgfältige Planung machen, wenn da noch weitere Ställe dazukommen sollen. In Kreisen, in denen der Hofhund oftmals das einzige Tier auf einem Betrieb ist, habe ich dagegen kein Problem, wenn noch Ställe gebaut werden. Das können auch größere Anlagen sein, solange der bestandsbetreuende Landwirt einen guten Überblick über die Tiere behält und sicherstellen kann, dass er sich anbahnende kritische Situationen sehr schnell erfassen und gegensteuern kann.

Sie sprechen vom bestandsbetreuenden Landwirt. Inwieweit gibt es den noch? Man hört, dass große Ställe zunehmend für Investmentgesellschaften und Hedgefonds attraktiv sind.

Lindemann: Ich kenne das in erster Linie aus meiner Tätigkeit als Aufsichtsratsvorsitzender der BVVG (Bodenverwertungs und -verwaltungs GmbH, d. Red.), wo wir für die Vermarktung der großen Agrarflächen in den neuen Bundesländern zuständig waren. Da gibt es, so mein Eindruck, ein erhebliches Interesse großer Fonds, - nicht bei der BVVG, aber bei Privatleuten - zu kaufen und auch viel Geld zu investieren. Ich bin froh, dass wir in Niedersachsen noch deutlich über 90 Prozent bäuerliche Betriebe haben. Aber man muss das im Auge behalten. Denn dieses Problem kommt auf leisen Sohlen. Es fängt damit an, dass der Bauer seine Küken und sein Futter von einem großen Unternehmen bekommt und dann quasi in Lohnmast arbeitet. Das ist dann nicht mehr die klassische Form bäuerlicher Betriebsführung, die wir in Niedersachsen erhalten wollen.

Der neue Geflügelschlachthof in Wietze ist wohl so ein Beispiel.

Lindemann: In der Tat. Aber auch da gibt es sehr unterschiedliche Vertragsverhältnisse. Manche Bauern verpflichten sich, für eine gewisse Zeit in ein Vertragsverhältnis einzusteigen. Das ist in Ordnung, wenn sie sich nicht von einem Partner so stark abhängig machen, dass sie in ihren Entscheidungen nicht mehr unabhängig sind.

Kann man bei Lohnmast noch von Landwirtschaft sprechen?

Lindemann: Es kommt eben auf den Grad der Abhängigkeit an. Aber die klassische Form bäuerlicher Landwirtschaft ist das sicherlich nicht.

Welchen Stellenwert wird die ökologische Tierhaltung künftig haben?

Lindemann: Sie hat einen gewissen Stellenwert. Ich würde mich auch freuen, wenn es noch mehr Ökohaltung gibt. Aber wenn mir gesagt wird, Niedersachsen sei das Schlusslicht bei der ökologischen Landwirtschaft in Deutschland, dann sage ich: Das Saarland mit zehn Prozent Flächenanteil des Ökolandbaus an der insgesamt bewirtschafteten Fläche hat absolut nur einen Bruchteil, nämlich ein Neuntel dessen, was unsere drei Prozent in Niedersachsen ausmachen.

Wir fördern den Ökolandbau überdurchschnittlich gut. Wir sind aber auch der Meinung, dass jeder Betriebsleiter selbst entscheiden muss, welche Form er wählt, um seine Produkte an den Markt zu bringen.

Im Endeffekt hat es ja auch der Verbraucher in der Hand, in welche Richtung die Landwirtschaft steuert.

Lindemann: Ja, der Kunde ist König. Wenn ich sehe, wie viele auch größere Unternehmen sich über Tierschutzlabeling und andere Maßnahmen um die Wünsche der Verbraucher kümmern, dann hat das auch Auswirkungen auf die praktische Landwirtschaft. Das ist der Weg, den man gehen muss.