Das Nazi-Lager war kaum bekannt - bis Klaus Volland zu forschen begann. Dafür wurde er als “Nestbeschmutzer“ angefeindet.

Harburg. Zwölf Kilometer südlich von Bremervörde schufteten und starben in den Jahren 1939 bis 1945 Tausende von Gefangene aus mehr als 40 Ländern. Doch die Erinnerungen an das Grauen in einem der größten Kriegsgefangenen- und KZ-Auffanglager des NS-Regimes verblassten nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges schnell. Klaus Volland, 67, ist es zu verdanken, dass das Gelände in Sandbostel heute ein international anerkannter Ort der Begegnung ist. Mit dem heutigen Tage besteht der Verein Dokumentations- und Gedenkstätte Sandbostel, dessen Vorsitzender Volland ist, seit 20 Jahren.

Vom Lobgesang auf seine Person hält Klaus Volland nicht viel. Er wolle sich nicht in den Vordergrund drängen, sagt er. Schließlich seien viele andere neben ihm daran beteiligt, die Lagergeschichte aufzuarbeiten und den Opfern ein ehrendes Andenken zu bewahren. Doch auf der Suche nach den Anfängen dieser Arbeit führt an dem ehemaligen Bremervörder Gymnasiallehrer kein Weg vorbei. Volland brachte den Stein ins Rollen und bewies großes Durchhaltevermögen im Kampf gegen das Vergessen. Ohne ihn gäbe es heute wohl keine umfangreiche Monografie zur Lagergeschichte und wohl auch keine Gedenkstätte am historischen Ort in Sandbostel.

Als der gebürtige Schlesier 1976 nach Bremervörde zog, wusste er noch nichts von dem geschichtsträchtigen Ort in unmittelbarer Nachbarschaft. Und die Menschen in der Region hätten, so Volland, gern die Augen vor dem verschlossen, was abseits aller Folklore ein Teil der Heimatgeschichte ist. Erste Hinweise auf die Gräueltaten, zu denen es von 1939 bis 1945 in Sandbostel gekommen war, lieferten ihm seine Schüler. "Ich konnte kaum glauben, was ich da hörte: Einige sprachen von einem Konzentrationslager. Es fiel sogar der Begriff Gaskammer", erinnert sich Volland.

+++ Das vergessene Sterbelager +++

Gemeinsam mit seinem Freund und Lehrerkollegen Werner Borgsen stellte er daraufhin umfangreiche Nachforschungen an, machte Quellen und Zeitzeugen ausfindig und trug Geschichten zur Geschichte zusammen. "Das war anfangs sehr schwierig, denn es gab nichts, was wir als gesicherten Tatsachenbestand voraussetzen konnten. Auch in Fachbüchern wurde das Lager gar nicht oder nur am Rande erwähnt."

Besonders betroffen habe ihn die große Zahl an russischen Massengräbern gemacht. "Tausende sind gestorben, und kein Hahn hat nach ihnen gekräht", sagt der Bremervörder. Das Schicksal der namenlosen Toten war für Volland und Borgsen Grund genug, ihrer Arbeit ein weiteres Ziel hinzuzufügen: die Einrichtung einer zentralen Gedenk- und Dokumentationsstätte auf dem historischen Gelände. "Wir hätten damals nie gedacht, dass uns diese Forderung vor so große Probleme stellen würde", sagt der Historiker.

Der erste Versuch, die Öffentlichkeit für ihr Anliegen zu gewinnen, scheiterte im Mai 1980. Die Lehrer riefen ein Aktionskomitee ins Leben und gingen 35 Jahre nach Kriegsende auf die Straße. Zunächst seien sie dabei von Politikern aller Couleur unterstützt worden. "Auch Schriftsteller Walter Kempowski erklärte seine Solidarität", sagt Volland. Doch als die Kommunistische Partei Deutschland ebenfalls ihre Unterstützung zusicherte, sei das wie eine Brandmarkung gewesen. "Die Leute haben gedacht: Was sind das denn für linke Vögel? Diesen Stempel sind wir nicht mehr losgeworden. Und damit war die Sache vom Tisch."

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Auch in den folgenden Jahren hatten die Historiker immer wieder mit Vorurteilen zu kämpfen. In Sandbostel wurden sie als "Nestbeschmutzer" diffamiert und gemobbt. Weder die 1991 von Volland und Borgsen veröffentlichte und nicht nur in Fachkreisen hochgelobte Monografie "Stalag X B Sandbostel" noch die Gründung des Vereins Dokumentations- und Gedenkstätte Sandbostel konnten daran etwas ändern. "Die Vorurteile in dem ländlich-konservativ geprägten Umfeld rissen nicht ab", sagt Volland.

Wieder gingen mehr als zehn Jahre ins Land, bis schließlich mithilfe von Ivar Buterfas aus Bendestorf der entscheidende Durchbruch gelang. Der Hamburger Weltfriedenspreisträger und Holocaust-Überlebende holte die Medien sowie prominente Mitstreiter wie den Schriftsteller Ralph Giordano und den früheren niedersächsischen Ministerpräsidenten Sigmar Gabriel ins Boot. Am Ende stand die Gründung der "Stiftung Lager Sandbostel" im Jahre 2004, die bis heute ein 3,2 Hektar großes Grundstück mit elf Gebäuden erworben hat. Sie bilden ein bundesweit einzigartiges Ensemble historischer Bauten aus der Kriegszeit.

Klaus Volland ist stolz auf das Ergebnis seiner jahrelangen Arbeit. "Die Pionierarbeit auf diesem Gebiet hat mir trotz der persönlichen Anfeindungen großen Spaß gemacht. Und es ist etwas Gutes daraus entstanden." Nun gelte es, die Erinnerungskultur weiter auszubauen. Für den Historiker ist klar: "Es bleiben noch viele Fragen. Beispielsweise, ob und wie wir an die vielen Nazis erinnern, die zwischen 1945 und 1948 in Sandbostel inhaftiert waren. Die Geschichte des Lagers ist noch lange nicht zu Ende."