Die Fundstelle des Tatmessers spricht laut dem Anwalt des Herbstprinz-Kochs dafür, dass der Täter nicht über Ortskenntnis verfügte.

Stade/Jork. Für das Opfer des von langer Hand geplanten Mordkomplotts und der ausgeführten nächtlichen Messerattacke, Andreas S., ist es unfassbar. Er musste ansehen, wie fünf der sechs Angeklagten im Herbstprinz-Prozess unverhohlen über ihre Freilassung jubelten.

Die 13. Große Strafkammer des Stader Landgerichts, unter Vorsitz von Richter Matthias Bähre, setzte nach dem 11. Verhandlungstag im noch laufenden Verfahren die vier unter dem Tatverdacht des versuchten Mordes in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung stehenden Männer und die Wirtin Sandra T. auf freien Fuß. Nur ihr heimlicher Geliebter, der Koch des Jorker Traditionslokals Herbstprinz, Marc Kevin W., muss in Haft bleiben.

"Die Kammer vermag bei vorläufiger Würdigung einen dringenden Tatverdacht eines versuchten Mordes bei den Angeklagten Kevin Z., Mike Sch., Benjamin F. und Patrick T. beziehungsweise einer Anstiftung zum versuchten Mord bei der Angeklagten Sandra T. nicht festzustellen", heißt es in der Begründung zur Aufhebung der Haftbefehle.

Immerhin vier Aussage-Varianten hat der Koch W. bisher dem Gericht aufgetischt, um Sandra T. zu entlasten. Die Kammer bezeichnete die Einlassungen des Kochs als "nur bedingt plausibel" und sieht in den Aussagen der vermeintlichen Mittäter Benjamin F. und Kevin Z. Anhaltspunkte dafür, dass "der Angeklagte W. die Stiche gegen den Nebenkläger führte".

W.s Anwalt Ulrich Albers argumentierte dagegen mit neuen Fakten: Schon die Fundstelle des Tatmessers spreche dafür, das W. nicht am Tatort gewesen sei. Der mit dem Areal rund um den Herbstprinz bestens vertraute Koch und Geschäftsführer des Lokals hätte wohl nicht den riskantesten und öffentlichsten Fluchtweg zur großen Hauptstraße gewählt, wenn er alle Schleichwege kennt. Er wäre auch nicht im Dunkeln über die große Feldsteingestaltung gestürzt, wobei der Täter sein Messer offenbar verlor. Auf der freien Fläche zum Lokal wurde die Tatwaffe gefunden, was klar dafür spreche, dass der Täter keine Ortskenntnis gehabt habe. "Und es wäre von W. wohl töricht, sich für die Tat für 1500 Euro auch noch vier Zeugen anzuheuern", sagte Albers. Sein Antrag, auch den Koch aus der Haft zu entlassen, wurde von der Kammer und der Staatsanwältin abgewiesen.

So steht weiter die Kardinalfrage im Raum, warum in der Tatnacht ausgerechnet die beiden Schmächtigsten des für den Überfall angeheuerten Quartetts, Kevin Z. sogar noch minderjährig, mit dem Koch allein sich das Opfer vorknöpfen wollten. Die wesentlich größeren, kompakteren Mittäter, die verschwägerten Mike Sch. und Patrick T., wollen nach eigenen Darstellungen einmal beide draußen zum Aufpassen geblieben sein und einmal will nur Sch. im Fluchtauto gewartet haben.

Wo genau sie während der Tat waren, ist noch immer unklar. Unisono geben aber alle vier Angeheuerten an, dass allein der Koch W. mit dem Messer auf das Opfer losgestürmt sei. Marc Kevin W. sagte, dass Patrick T. sein Dealer war und Leute organisieren wollte.

Weil er die komplette Auftragssumme von 5000 Euro nicht zahlen konnte, habe sein Mandant nach der Sache richtig Angst vor T. und seinen Leuten gehabt, so Anwalt Albers. Allerdings habe er für das Geld Schlägertypen vom Kiez erwartet und nicht zwei junge Hänflinge, lediglich Mike Sch. schien von der Statur für den Auftrag geeignet, gab W. bei der Polizei an.

Aus der Haft entlassen wurde auch die ehemalige Wirtin des Herbstprinz und Lebensgefährtin des Opfers, Sandra T. Sie soll, gemeinsam mit ihrem heimlichen Liebhaber Marc Kevin W., den Mordkomplott gegen ihren Partner und Vater der gemeinsamen Tochter angestiftet haben. Schmallippig und ungerührt verfolgte sie, wie sich die männlichen Angeklagten gegenseitig beschuldigten. Bei ersten Vernehmungen hatte sie bei der Polizei zu Protokoll gegeben, ein "sehr gutes Geschäftsverhältnis" zu ihrem Koch zu haben. Ein Liebesverhältnis bestritt sie.

Der Koch hatte gesagt, seine Geliebte sei vor der Tat nervlich am Boden gewesen, habe nichts von der Tat, dem Plan und ihm als Mittäter gewusst. In einer vorgespielten Telefonüberwachungssequenz wirkt Sandra T. zum beschriebenen Zeitpunkt allerdings auf der Höhe der Dinge, kühl, kontrolliert und berechnend.

Auch dass ihre beste Freundin, die Zeugin Nadine P., sich so gar nicht überrascht oder neugierig gezeigt haben will, als Sandra T. ihr vom Überfall auf ihren Partner erzählte, ist nicht allein mit den erklärten Erinnerungslücken der Zeugin begründbar. Schließlich war es in ihrer Küche, wo Sandra T. und ihr Geliebter W. darüber sprachen, wie unglücklich Sandra T. mit Andreas S. war. Auch mit ihrer Aussage, dass "Andreas auf die Fresse kriegen sollte", und dass Sandra T. erst zurück nach Jork wollte, "wenn alles geklärt ist", legte die Zeugin dar, dass Sandra T. nicht wusste, was gegen den Vater der gemeinsamen Tochter lief.

Anwalt Martin Krüger, der das Opfer als Nebenkläger vertritt, nennt die Haftentlassung "verfrüht" und "falsch". "Da sollte ein Mensch umgebracht werden, das ist keine Bagatelle."