Immer mehr junge Leute verbringen lediglich siebeneinhalb Jahre an ihrem Gymnasium. Der Grund: Sie wollen keine Zeit verlieren.

Buxtehude/Stade. Turbo-Abitur, Arbeitszeiten wie im Berufsleben, überbordendes Lernpensum: Mit der Verkürzung der Schulzeit auf acht Jahre an Gymnasien verbinden Eltern und Schüler schon im Alltag nur wenig Positives. Und jetzt wird auch noch klar: Die Bildungsreform wirkt sich erheblich auf die bislang so beliebten Auslandsaufenthalte aus.

Am Stader Vincent-Lübeck-Gymnasium verzichten die meisten Jugendlichen mittlerweile darauf, ein komplettes Jahr im Ausland zu verbringen, damit sie keine Zeit verlieren. "Viele Schüler verbringen nur noch halbes Jahr im zehnten Jahrgang im Ausland", sagt Jutta Neemann, Leiterin des Vincent-Lübeck-Gymnasiums in Stade. Folge: Diese Schüler lernen weder neun Jahre ("G9") noch acht Jahre ("G8"), sondern nur noch siebeneinhalb Jahre an ihrem Gymnasium - G 7 ½!

Insgesamt, so Neemann, sei die Zahl der Schüler, die im Ausland verweilen, aber in etwa gleich geblieben. Von rund 320 Neunt- und Zehntklässlern am Vincent-Lübeck-Gymnasium absolvieren durchschnittlich rund 20 Schüler einen Auslandsbesuch in ihrer Schulkarriere.

Helen Schloo (15), die die zehnte Klasse des Gymnasiums Süd in Buxtehude besucht, ist ein halbjähriger Auslandsschulbesuch hingegen zu stressig. Deshalb hat sie sich dafür entschieden, im Sommer für ein Jahr in die USA zu reisen. Die Schülerin bezweifelt, dass sie nach einem halben Jahr ohne weiteres wieder an den Unterricht ihrer Klasse hätte anknüpfen können. "Es wäre schwierig, den verpassten Stoff auf eigene Faust nachzuholen. Ich möchte ja ein gutes Abitur machen."

Auch ihre Eltern hat sie auf ihrer Seite. Dass ihre Tochter ein Schuljahr wiederholen muss, sieht Jutta Schloo nicht als Nachteil an. "Ich finde ohnehin, dass die Abiturzeit mit zwölf Jahren sehr kurz ist", sagt die Mutter. "Schon in der neunten Klasse musste Helen richtig durchpowern und hatte mehr Stunden auf der Uhr als mancher Erwachsener."

Ruprecht Eysholdt, Leiter des Gymnasiums Süd, hält es für den richtigen Weg, ein ganzes Schuljahr im Ausland zu verbringen. "Das passt besser in unser Schulsystem." Sonst falle der Auslandsaufenthalt in die Vorbereitungsphase auf das Abitur.

Ähnlich sieht es Hermann Krusemark, der Leiter des Gymnasiums Athenaeum in Stade. "Wenn die Schüler ein Jahr überspringen, werden sie stark unter Druck gesetzt." Allein Im Jahr 2009 haben 14 Schüler des Stader Athenaeums und 10 Schüler des am Buxtehuder Gymnasiums Süd die Schulbank im Ausland gedrückt.

Dennoch: Für die angehenden Abiturienten sei es nicht einfacher geworden, einen Auslandsbesuch in die Schulzeit zu integrieren, sagt Daniela Pöder vom bundesweit tätigen Unternehmen "Ayusa", das Auslandsaufenthalte für Schüler organisiert und jetzt ein neues Programm entwickelt hat, mit dem Schüler für nur drei Monate ins Ausland gehen können. 61 Schüler aus Niedersachsen haben davon 2009 bereits Gebrauch gemacht. Die Schüler seien aber immer noch sehr verunsichert, sagt Pöder.

Das kann Sabine Küchler, Programmleiterin des High-School-Jahres von "EF Sprachreisen, nur bestätigen. Für die Jugendlichen sei schwierig, den Zeitpunkt für den Auslandsbesuch zu bestimmen. "Nach der zwölften Klasse ist es zu spät und in der neunten Klasse sind die meisten noch zu jung."

Doch Ausnahmen bestätigen die Regel. Elisabeth Fritzsch (13) aus Stade beendet jetzt das erste Halbjahr der neunten Klasse am Vincent-Lübeck-Gymnasium und fährt in etwa drei Wochen für ein Jahr nach Auckland in Neuseeland. Sobald sie zurückkehrt, wird sie in das zweite Halbjahr der zehnten Klasse versetzt. Ihre Eltern sind nach den Worten von Vater Ralf Fritzsch zuversichtlich, dass Elisabeth es trotz des Auslandsaufenthaltes schafft, nach zwölf Jahren ihr Abitur zu absolvieren: "Elisabeth gehört zu den besten Schülern und hätte ohnehin schon ein Schuljahr überspringen können."