Den Härtefällen droht sogar Gefängnis. Vor allem die Haupt-, Förder- und Berufsbildenden Schulen in der Stadt sind häufig betroffen.

Stade. Morgens um 8 Uhr in Stades Schulen: Hunderte Kinder und Jugendliche sitzen in den Unterrichtsräumen. Doch Dutzende Plätze bleiben frei. Vor allem in den Haupt- und Förderschulen fehlen Schüler - aber nicht, weil sie krank sind, sondern weil sie die Schule schwänzen. In Stade gibt es zurzeit mindestens 92 renitente Schulverweigerer, gegen die bereits Ordnungswidrigkeitsverfahren laufen.

Insgesamt besuchen etwa 4000 Schüler die städtische Schulen inklusive der Grundschulen. Der Pädagoge Kai Justin ist arbeitet seit Anfang dieses Jahres bei der Stader Fachberatung Schulverweigerung und ist damit der Einzige im Landkreis, der sich ausschließlich um dieses Thema kümmert. Seine Zielgruppe sind die Härtefälle, also nicht Jugendliche, die bloß mal eine oder zwei Stunden den Unterricht schwänzen, sondern die über einen längeren Zeitraum fehlen.

Manche Kinder schwänzen bereits die Grundschule; die meisten Schulverweigerer seien aber 14 Jahre und älter. Zwischen Mädchen und Jungen gebe es keine Unterschiede. Betroffen sind insbesondere die Haupt-, Förder- und Berufsbildenden Schulen.

Das besondere Augenmerk Justins gilt einigen Sinti-Jugendlichen aus Stade: "Sie haben weniger Verständnis für Bildung und erachten diese als nicht sinnvoll." Ihre Eltern könnten häufig selbst nicht Lesen und Schreiben. Bei etlichen Jugendlichen spiele die Familie eine wichtige Rolle. "Sie kommen aus sozial schwachen oder problematischen Familien", so Justin. Darunter seien oftmals alleinerziehende Mütter, die ihre Kinder ungenügend unter Kontrolle hätten.

Doch die Gründe seien vielfältig. Fehlende Lust auf die Schule sei nur einer davon. "Einige Schüler haben auch Angst", so der Pädagoge. Leistungsdruck und Mobbing seien ebenfalls Ursachen. Immer wieder hätten Viertklässler bei ihrem Wechsel auf die weiterführenden Schulen Probleme. Das Zusammenleben in Grundschulen sei behütet, in den folgenden Schulen sei der Umgang rauer. "Solche Kinder sind dann oft krank oder sagen ihren Eltern, dass sie Bauch- oder Kopfschmerzen haben." Diese Probleme könnten mit Gesprächen vergleichsweise zügig gelöst werden. So etwa bei einem Mädchen vom Gymnasium Athenaeum. Gemeinsam mit den Lehren und Eltern konnte die Angst bewältigt werden.

Anders sieht es bei Schulverweigerern aus, die keine Lust auf den Unterricht haben. Hier seien die Probleme weniger einfach und zügig zu lösen. Den Härtefällen drohe das Jugendgefängnis. In diesem Jahr musste bislang ein Schüler von Justin eine Woche in den Arrest. Zwei weiteren drohe im kommenden Februar dasselbe. Doch der Weg dahin ist langwierig, was der Pädagoge kritisiert: "Von der Meldung der Schule bis zum Umsetzen der Maßnahmen verstreicht zu viel Zeit." Teilweise würde das Prozedere ein halbes Jahr dauern.

Und das sieht mehrere Stufen vor. Zunächst wird ein Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet. Bis zu 15 Fehltage kosten die Eltern von unter 14- Jährigen 80 Euro. Von 14 Jahren an wird das Verfahren nicht gegen die Eltern, sondern gegen die Schüler selbst eingeleitet. 120 Euro werden bei 15 oder mehr Fehltagen fällig. Wenn die Strafe nicht gezahlt wird, müssen Arbeitsstunden geleistet werden. Wird auch dies missachtet, müssen die Schulschwänzer für eine Woche in den Jugendarrest.

Soweit soll es aber gar nicht erst kommen. Zum einen arbeitet Justin vorbeugend. "Am besten ist die Prävention in der vierten und fünften Klasse. In dem Alter kann noch etwa bewegt werden." Zum anderen bietet er Kurse für Schwänzer an. Die Jugendlichen können die Workshops besuchen, anstatt Arbeitsstunden leisten zu müssen. Darin geht es unter anderem um Stressresistenz und Konfliktbewältigung. Einige Treffen sind gemeinsam mit ihren Eltern. Doch zu diesen Kursen kamen nur 50 Prozent.