Stader Rollstuhlfahrerin wurde überfallen und traute sich nicht mehr raus. Jetzt hat sie wieder Hoffnung.

Stade. R. Geißinger kann wieder lachen. Davon war sie noch zu Beginn dieses Jahres weit entfernt. Schließlich wurde die 63 Jahre alte Rollstuhlfahrerin aus Stade Ende 2008 auf der Straße überfallen und ausgeraubt. Ihre Brille, ohne die sie praktisch nichts sehen kann, ging dabei zu Bruch. Noch Monate nach dem Überfall musste sie immer wieder daran denken und traute sich im Dunkeln, auch in Begleitung, nicht mehr aus dem Haus. Sie fand einfach keine Ruhe. Im April 2009 suchte das Opfer zunächst einen Psychologen auf. "Der Psychologe war mir keine Hilfe", sagt R. Geißinger. Ein Bekannter gab ihr den Tipp, sich an die Hilfsorganisation Weisser Ring zu wenden. Geißinger: "Der Weisse Ring hat mir viel Gutes getan. Das habe ich gebraucht."

Dem Weissen Ring gehören acht ehrenamtliche Mitarbeiter im Landkreis Stade an, die sich um Opfer von Kriminalität kümmern. Vorsitzende ist seit 15 Jahren die Staderin Dr. Ute Kehr (68), die zudem dem Bundesvorstand der gemeinnützigen Organisation angehört. Die ehemalige Anästhesie-Ärztin kennt sich bestens aus, wie die aktuelle Gesetzeslage für Opfer krimineller Gewalt ist.

Sie erkennt eine veränderte Darstellung von Opfern in den Medien und mehr Beachtung von Politikern. "Das Opfer bekommt mittlerweile eine Rolle, wird als Person wahrgenommen und erwähnt", so die zweifache Mutter. Immerhin wurde 1976 das Opfer-Entschädigungsgesetz durchgesetzt. Kürzlich wurde es umfassend reformiert, wodurch nun Geiselnahme und schwere Körperverletzung ebenfalls berücksichtigt werden.

Kehr kümmert sich mittlerweile weniger um die Opferbetreuung direkt, sondern delegiert und überwacht die Finanzen. Schließlich erhält der Weisse Ring keine öffentlichen Zuweisungen, ist auf Beiträge seiner Mitglieder und auf Spenden angewiesen. Kehrs Betreuer-Team des Landkreises besteht aus sechs Frauen und zwei Männern. Davon sind die meisten Rentner. Dr. Ute Kehr wünscht sich daher eine Verjüngung des Personals.

Die Organisation bietet Ausbildungslehrgänge an, um im Team mitarbeiten zu können. Die wichtigsten Eigenschaften eines Beraters kämen aber durch die Praxis zustande. Kehr: "Wir müssen eine Vertrauensbasis zum Opfer aufbauen." Der Kontakt zwischen Opfern und Beratern der Hilfsorganisation kann auf vielfältige Art geschehen. Betroffene können sich direkt mit Mitarbeitern in Verbindung setzen. Kehr verfolgt zudem die lokale Berichterstattung und ruft immer wieder bei der Polizei an, um Hilfe anzubieten.

Betreuungen können zwischen einigen Telefonaten und einer Begleitung über mehrere Jahre hinweg mit persönlichen Treffen erfolgen. "Ein Opfer darf sich aber auch nicht zu sehr an uns klammern. Ich möchte keine persönliche Beziehung aufbauen, sondern einfach nur helfen", so Kehr. Über die persönliche Beratung hinaus kann der Weisse Ring auch Beraterchecks bei Anwälten und Psychotherapeuten vergeben.

Wichtig ist der Kreisvorsitzenden zudem das Thema Gewaltprävention. An Ständen und in Schulen versucht die 68-Jährige, Menschen dafür zu sensibilisieren. Kehr: "Einem Opfer muss klar sein, dass es für Unruhe sorgen und Täter vertreiben kann. Zudem möchte ich Zeugen aus ihrer Passivität holen."

R. Geißinger lächelt indes schon wieder. Der Weisse Ring hat ihr eine neue Brille besorgt. Ihr Betreuer brachte ihr Bücher und selbst gebackene Plätzchen vorbei. In diesem Sommer möchte das Opfer in der Stadt einen Erdbeer-Eisbecher genießen. Sie sagt: "Mir geht's doch gut. Ich möchte, dass es so bleibt."