Projekte, Feste, Offenheit - wenn beide Seiten wollen, funktioniert der Zusammenschluss der Kulturen.

Viele flüchten vor Krieg, Misshandlung oder politischer Verfolgung. Andere suchen einfach nur ein kleines Stück vom Glück. 6,7 Millionen Menschen in Deutschland sind Ausländer. Im Landkreis Stade leben 7978 von ihnen. Und trotz der im Vergleich geringen Ausländerquote von 4,04 Prozent existiert ein buntes Staatengemisch zwischen Balje und Buxtehude. 136 Nationalitäten bietet der Landkreis ein Zuhause. Damit sind zwei Drittel aller weltweit anerkannten Staaten auf überschaubaren 1266 Quadratkilometern vertreten.


Aber wie geht es ihnen hier? Von geschlossenen Parallelgesellschaften und eigenständigen Kulturkreisen abgesehen, gibt es sie, die Geschichten der geglückten Integration. So erzählen die Iranerin Schole Albers und der Russe Renat Arminev von Menschen, die ihnen hier geholfen haben. Der Niederländer Ron Martens ist Verfechter der Assimilation als Gast in einem fremden Land. Der Amerikanerin Lorrie Berndt half ihr Lebenspartner, der Pfarrer Christian Berndt.



Darüber hinaus profiliert sich der Kreis als einwanderungsfreundliche Region. Projekte, Sportveranstaltungen, runde Tische - Kreis, Städte und ausländische Verbände bieten viele Berührungspunkte. Wohl auch deshalb sagt Berk Akgünlü, Vorsitzender der Türkischen Gemeinde: "Die Integrationsbemühungen sind in den vergangenen Jahren besser geworden."


In Stade etwa ist dieses Thema "Chefsache". Bürgermeister Andreas Rieckhof rief vor einem Jahr einen "Runden Tisch" ins Leben. Mit ausländischer Bevölkerungsgruppen wurden Konzepte zur Integration erarbeitet, Arbeitsgemeinschaften gebildet. Kürzlich wurden erste Ergebnisse präsentiert: Berufspatenschaft, eine Broschüre für ausländische Frauen, das Fest der Kulturen und mehrsprachige Rathausführungen sind Anfänge, die Mut machen.


Der Landkreis arbeitet eng mit der Arbeiterwohlfahrt und der Arge zusammen, vermittelt etwa Migrantinnen in Praktika. Weitere Projekte sollen im zweiten Halbjahr starten. Dezernent Helmut Hölscher will sich zwar noch nicht in die Karten schauen lassen, sagt aber: "Wir haben einiges vor."


Wie bunt der Landkreis ist, zeigen einige Eckpunkte der Ausländerstatistik. Die größte ausländische Bevölkerungsgruppe im Kreis bilden - wie in ganz Deutschland auch - die Türken (1876). Ob in erster, zweiter oder dritter Generation, die Gastarbeiterwelle der 60er- und 70er-Jahre hinterließ Spuren. Polen sowie Serben und Montenegriner folgen auf den Rängen. Erstaunlich wird es auf den Plätzen dahinter: So leben mehr Niederländer (318) als Russen (293) im Landkreis, gibt es große Gemeinschaften von Briten (263), Italienern (241) und Franzosen (168). Dafür verantwortlich ist der Industriestandort. Mit Dow, Airbus und anderen "Global Playern", die im Landkreis ansässig sind, ist der Landstrich ein beliebter Arbeitsort für hochqualifizierte ausländische Arbeitskräfte. Dass im flachen Landkreis Stade die gebirgsliebenden Österreicher auf Platz 9 der Statistik rangieren, ist eine interessante Fußnote. Andererseits gibt es auch nationale Einzelgänger. So befindet sich jeweils nur ein Mitbürger aus Nepal, Äthiopien, Kuwait, Äquatorial Guinea, Botswana, Mali, Nicaragua, Ruanda, Somalia und Namibia unter 197 017 Menschen im Landkreis.

Niederlande: Ron Martens (48)

Er lebt seit 25 Jahren in Deutschland. Zunächst war er Mitarbeiter des niederländischen Außenministeriums, heute betreibt er in Stade ein Pfannkuchenhaus. Die Liebe zog ihn in den Landkreis. Sein Rezept, um in Deutschland Fuß zu fassen: „Du musst dich anpassen, dann kann nichts schief gehen.“ Als Holländer sei es ihm zwar nicht schwer gefallen, hier zurecht zu kommen, aber Integration, so meint er, sei eine Frage der persönlichen Einstellung: Wenn man freundlich sei und die Gepflogenheiten akzeptiere, seien die Türen weit offen. Was er am meisten vermisst? „Holländische Frikadellen. Die gibt es in Deutschland nicht, weil dabei Kuh-Euter verarbeitet werden."

Iran: Schole Albers (50)

Sie fühlte sich in der traditionellen Gesellschaft ihre Heimatlandes unwohl, kam 1976 erstmals nach Deutschland. 1978, noch vor der islamischen Revolution im Iran, entschied sie sich, ganz in Deutschland zu bleiben. Die Volkshochschuldozentin schätzt an Deutschland die Mentalität. „Ich fühle mich hier gut aufgehoben.“ Die Integration sei für aufgeschlossene Menschen kein Problem. „Allerdings“, so die Iranerin, „ist mangelnde Toleranz in der Aufnahmegesellschaft eine Hürde. Doch auch für Ausländer gelte: „Nur wer offen und bereit ist, sich einzulassen, bei dem glückt die Integration.“ Was sie vermisst? „Die Menschen könnten in vielerlei Hinsicht leidenschaftlicher sein.

Türkei: Berk Akgünlü (37)

Für seine Geburt wurde seine Mutter 1972 extra nach Ankara gefahren. Er wuchs dort zunächst auf, kam als Vierjähriger zurück nach Deutschland, wo seine Eltern seit 1971 arbeiteten, „um eine bessere Zukunft zu haben“. Vor 14 Jahren zog es ihn in den Landkreis. Er meint, dass viel für die Integration getan wird. „Allerdings sind es weder Projekte noch Geld, die Integration gewährleisten. Integration geschieht vor Ort, nicht in der Politik. Es ist das Zusammenleben, das auf Augenhöhe reden“, so der Hotelgeschäftsführer. Sprache sei für Migranten der „entscheidende Faktor“. „Der Dialog entscheidet“, so Berk Akgünlü. Wärme und Herzlichkeit – da hätten die Deutschen Nachholbedarf

USA: Lorrie Berndt (44)

1992 hat sie ihr Heimatland verlassen, um mit ihrem heutigen Mann Christian Berndt in Deutschland zu leben. Seit 1998 wohnt das Ehepaar im Landkreis Stade. Ihr gefällt Deutschland, „bis auf die durchwachsenen Sommer“, so die Frau aus dem Bundesstaat Ohio. Durch ihre Tätigkeit als Chorleiterin fiel ihr die Integration leicht. „Ich habe die Sprache schnell gelernt, das hat mir geholfen.“ Heute setze sich ihr Freundeskreis mehr aus Deutschen zusammen, als aus Landsleuten, von denen 103 im Landkreis wohnen. Was sie am meisten an ihrem Heimatland vermisst? „Die ruhigere Mentalität. In Deutschland wirkt es oftmals gehetzt.“

Russland: Renat Arminev (50)

Er kam 1995 nach Deutschland, um seinen Kindern „ein besseres Leben bieten zu können.“ Dem gelernten Lehrer gefällt es hier. „Es ist meine zweite Heimat geworden.“ Nach einem sechsmonatigen Sprachkurs, der für ihn der Schlüssel zur geglückten Integration sei, war er an der Grundschule Wiepenkathen tätig, seit sechs Jahren arbeitet er als Streetworker. „Ich habe Glück gehabt, immer auf Menschen zu treffen, die mir geholfen haben.“ Obgleich werde genug getan, um Ausländer einzubinden. „Es kommt aber auch auf eigene Initiative an“, so der dreifache Vater. Am meisten vermisst er seine Mutter und seine Freunde in Russland.