Die klassischen Filmprojektoren weichen der digitalen Technik. Mit ihnen verschwindet auch ein traditionsreicher Beruf: der Filmvorführer.

Nur noch wenige Minuten bis zur Vorstellung. Die Kinogäste sitzen auf ihren Plätzen und warten auf den Film, der sie für 90 Minuten aus ihrem Alltag entführt. Die Tüte Popcorn und die Cola sind schon gekauft. Der Film, der an diesem Tag im Scala-Programmkino in Lüneburg läuft, soll an dieser Stelle jedoch keine Rolle spielen. Wir werfen einem Blick durch das Projektionsfenster, hinein in den Vorführraum - ein Ort, an dem Träume entstehen.

Hier treffen wir Janina Jon, die seit zweieinhalb Jahren als Vorführerin in der Scala arbeitet. Geschickt fädelt sie den 35-Millimeter-Film in den Projektor ein, vorbei an unzähligen Rollen. Sie kontrolliert noch einmal, ob der Film richtig sitzt, und startet dann das 30 Jahre alte Gerät, das laut ratternd anläuft. Nach wenigen Sekunden erlischt das Licht im Saal, die Bilder bewegen sich über die Leinwand. Die 29-Jährige korrigiert Bildschärfe und Bildstand und hastet weiter. Alle vier Projektoren des Kinos bedient sie gleichzeitig, da kommt man schon mal ins Rennen.

Auch zwischen den Vorstellungen gibt es viel zu tun. Sie muss zum Beispiel neue Filme koppeln, also die einzelnen Akte eines Films mit einer Filmklebepresse zu einer großen Filmrolle zusammenkleben. Alte Filme werden auseinandergebaut, oder die Werbung - ebenfalls auf 35-Millimeter-Film - wird vorbereitet. Auch müssen immer wieder kleinere Reparaturen an den Projektoren vorgenommen werden, alles Arbeiten, die in Janinas Verantwortungsbereich liegen. "80 Prozent der Schäden kann man selbst reparieren. Nach einigen Jahren lernt man die Projektoren mit ihren Macken kennen", sagt die gelernte Fotografin, die schon vor ihrer Zeit in Lüneburg im Passage-Kino in Hamburg vorgeführt hat.

All das ist seit heute Geschichte. Der ohrenbetäubende Lärm der Projektoren im Vorführraum verstummt für immer. Bald werden hier die Lüfter digitaler Projektoren leise rauschen. Damit geht auch das Scala-Programmkino den unvermeidbaren Schritt ins digitale Zeitalter und verabschiedet sich von 35-Millimeter-Filmen aus Zelluloid und von der analogen Filmtechnik. Von Dientag bis Donnerstag wird das Kino geschlossen bleiben, damit die aufwendige Umrüstung vorgenommen werden kann. Alle vier Säle des Filmtheaters, das sich durch sein vielfältiges Programm jenseits von Hollywood auszeichnet, werden auf digitale Projektion umgerüstet. Dabei kommen hohe Kosten auf das Kino zu. Der Preis für die Umrüstung liegt bei 300 000 Euro.

Ohne die Förderung durch den Beauftragten der Bundesregierung für Angelegenheiten der Kultur und der Medien, die Nordmedia auf Landesebene und die Filmförderungsanstalt könnte das Kino die Digitalisierung gar nicht tragen. Die maximale Förderung von 70 bis 80 Prozent der Kosten für die Umrüstung erhält das Scala-Kino wegen seines guten Programms. Als sogenanntes Kriterienkino ist es als besonders förderungswürdig eingestuft worden. Die restlichen Kosten muss das Kino selbst tragen.

+++ Nordmedia GmbH verteilt Fördergeld +++

+++ Cinemaxx schafft traditionelle Filmvorführer ab +++

Ruth Rogée, eine der Betreiberinnen, sieht den Digitalisierungsprozess kritisch: "Rein technisch brauchen wir die digitale Projektion nicht. Der Zuschauer hat jetzt ein gutes Bild und wird ein gutes Bild bekommen." Wehren kann man sich aber kaum. Möchte man auch weiterhin ein Kino mit aktuellem Programm betreiben, bleibt keine andere Möglichkeit, als die technischen Neuerungen mitzumachen.

Denn in absehbarer Zukunft wird es ausschließlich digitale Filmkopien geben. Das sehen auch die Betreiberinnen der Scala ein und haben sich deshalb zu diesem Schritt entschlossen. Auch Marga Engelmann von den Harsefelder Lichtspielen hat unlängst angekündigt, ihr Haus werde diesen Weg ebenfalls gehen.

Für die Kinobesucher ändert sich durch die Neuerungen nichts. Weder auf das Programm noch auf die Eintrittspreise soll sich die Digitalisierung auswirken. Deshalb sind sich auch nur die wenigsten darüber im Klaren, welche grundlegenden Veränderungen der Digitalisierungsprozess mit sich bringt. Es sind die Filmvorführer, die durch den Einzug der digitalen Projektion ihre Funktion verlieren. Künftig werden die Filme von Festplatten auf die leistungsstarken Server überspielt. Einmal in der Woche wird das Pogramm zusammengestellt, danach muss man nur noch den Play-Knopf betätigen. "Das ist keine große Leistung und erfordert kein besonderes technisches Geschick", sagt Janina Jon. Sie ist sich sicher: "Spätestens in einem Jahr werde ich hier nicht mehr gebraucht." Rogée bedauert diese Entwicklung. "Mit dem Wechsel von der analogen zur digitalen Projektion stirbt etwas weg. Der Mensch wird verabschiedet."

Dass durch technische Neuerungen ganze Berufszweige wegfallen, ist nichts Neues, auch nicht in der Geschichte des Kinos. Kinoerzähler, die zu Zeiten des Stummfilms den Zuschauern synchron die Handlung miterzählten oder Musiker, die live die musikalische Begleitung eines Films lieferten, wurden zum Beispiel durch die Einführung des Tonfilms seit den 30er-Jahren ihrer Profession beraubt.

Auch der Beruf des Filmvorführers wird bald Geschichte sein, und es ist ein sehr stiller Abschied, der für die Zuschauer unsichtbar hinter den Kulissen stattfindet. Ein Abschied von einer perfekten Kinotechnik, die sich über 100 Jahre bewährt hat. "Ganz wenige wissen, dass es überhaupt noch Vorführer gibt und wie viel Arbeit hinter einer guten Projektion steckt", sagt Janina Jon. "Da bricht ein hochkompliziertes Handwerk weg, und keiner bekommt es mit. Keiner wird es merken, wenn ich nicht mehr da hinten stehe."

Auch Wolfgang Henning arbeitet als Vorführer in der Scala und sieht den Sinn seiner Arbeit schwinden. Der 59-Jährige hat Anfang der 70er-Jahre in Leipzig eine zweieinhalbjährige Ausbildung zum Facharbeiter für Filmwiedergabetechnik gemacht. Seit 42 Jahren führt er Filme vor. Nach der Wende ist er nach Lüneburg gekommen, um zunächst im Union-Kino und nach dessen Schließung Ende 2000 im Cinestar zu arbeiten. In der Scala ist er seit mehr als acht Jahren einmal in der Woche für die Wartung der Maschinen verantwortlich. Die Umstellung auf die digitale Projektion kostet ihn seinen Beruf. "Mit Vorführen hat das nichts mehr zu tun."

Ob die digitale Projektion das Modell der Zukunft ist, ist ungewiss. Sicher ist nur, dass die Ära der Vorführerinnen und Vorführer weltweit auf ihr Ende zugeht. Eine Entwicklung, die unwiderruflich ist. Damit geht der Film zu Ende. Die letzten Meter Zelluloid laufen, vom Malteserkreuz angetrieben, mit 24 Bildern pro Sekunde am Bildfenster vorbei. Dann stoppt der Projektor. Zurück bleibt die Stille des Vorführraumes. Die Vorführer gehen.