Sogar Unternehmer versetzen ihren Schmuck. Auf diese Weise sichern sich immer mehr Mittelständler einen Kredit. Goldkurs steigt in die Höhe.

Harburg. Dunkle Hinterzimmer, in denen Menschen unter Tränen ihre letzten Klunker versetzen, um so an ein paar Kröten heranzukommen - das war lange Zeit das Bild von Leihhäusern. Doch es ist längst überholt. Die Leihhäuser sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Zunehmend treibt es mittelständische Betriebe, Handwerker und Selbstständige wie Architekten, Kioskbetreiber oder Steuerberater zu den Geldverleihern.

"Die Zahlungsmoral ist in Deutschland gesunken", sagt Daniela Urhahn, 44, Goldschmiedin und Leiterin der Harburger Filiale der Friedrich Werdier KG an der Lüneburger Straße 43. "Viele Unternehmer, bei denen die Kunden säumig sind, können ihre Angestellten und Lieferanten nicht bezahlen. Deshalb kommt immer mehr Kleingewerbe zu uns." Das Leihhaus entwickelt sich zum Ersatz für ausbleibende Kredite.

Anders als bei der Hausbank, die seit der Finanzmarktkrise in der Kreditvergabe restriktiver vorgeht, bekommt ein Gewerbetreibender - wenn es gut läuft - innerhalb von wenigen Minuten den Pfandleihkredit. Der Kreditnehmer muss lediglich seinen Personalausweis vorlegen. Ein weiterer Pluspunkt: Eine persönliche Haftung ist ausgeschlossen, gehaftet wird nur mit dem Pfand.

Sich bei einem Pfandleiher kurzfristige Kredite mit Schmuck zu holen, lohnt sich besonders bei allem, was aus Gold gefertigt ist. Im Zuge der weltweit prekären Wirtschaftslage ist der Goldkurs gestiegen. Die Leute bekommen also mehr Geld für ihre goldenen Ketten, Ringe oder Armbänder. "Für einen kleinen Goldklumpen kann es schon 1000 Euro geben", sagt Urhahn.

Der Goldboom und das erhöhte Interesse des Kleingewerbes an dieser Form der Kreditvergabe erklären auch, warum die Branche erneut Rekordzahlen schreibt. 2010 setzten die etwa 200 Pfandleihhäuser in Deutschland knapp 580 Millionen Euro um, neun Prozent mehr als ein Jahr zuvor.

Wolfgang Schedl, Geschäftsführer des Zentralverbandes des Deutschen Pfandkreditgewerbes, kann schon jetzt sagen, dass die Branche das Rekordergebnis von 2010 im vergangenen Jahr erneut getoppt hat, genaue Zahlen kann er aber nicht nennen. "Klar ist aber, dass der gestiegene Goldkurs das Geschäft auch 2011 beflügelt hat", sagt Schedl. 2012 entwickele sich ähnlich.

Alles, was mobil ist, kann in ein Pfandleihhaus getragen werden. "Dadurch zählen Menschen aus allen Bevölkerungsschichten zu unseren Kunden - vom Uniprofessor bis zum Rentner", sagt Tobias Struck, 25, Sohn von Thomas Struck, Geschäftsführer der Friedrich Werdier KG. Die Beweggründe sind unterschiedlich. Senioren kommen in das Haus an der Lüneburger Straße, weil sie teure Therapien oder Medikamente nicht mehr aus der Tasche bezahlen können und dafür ihren Gold- oder Diamantschmuck in Zahlung geben. Das seien die Kunden, die nach Betreten des Ladens mit dem Satz "Mir ist es sehr unangenehm, ich habe das noch nie gemacht, aber..." beginnen, sagt Daniela Urhahn. Sich vom Familienschmuck zu trennen, ist für die alten Menschen ein gravierender Schritt. Wohingegen Kleingewerbetreibende nicht selten die nüchterne Kalkulation in das Pfandleihhaus treibe, sagt Tobias Struck. Sie arbeiteten mit den Pfandleihkrediten wie mit regulären Zwischenfinanzierungskrediten einer Bank.

"Menschen aus allen Bevölkerungsschichten sind unsere Kunden - vom Uni-Professor bis zum Rentner" - Tobias Struck

Die Zeit, in der Kunden ihre Leinenbettwäsche und wertvolle Kleider als Pfand verliehen, ist längst vorbei. In mehr als 90 Prozent der Fälle werden Schmuck und Uhren in Leihhäusern hinterlegt. Darauf hat sich auch das Harburger Leihhaus spezialisiert. Im Sicherheitstrakt reihen sich weiße Tütchen in Holzkästen aneinander. Darin stecken Ketten, Ringe, Ohrstecker, Münzen. Aber auch ausgewähltes Markenporzellan und Sammelartikel wie Modelleisenbahnen und Puppen können am Schalter, der an eine Wechselstube erinnert, abgegeben werden.

Im Schnitt erhalten private Kunden Kleinkredite von 350 Euro in den Pfandleihhäusern. Nach der Pfandleihverordnung werden Drei-Monats-Kredite vergeben. Nachdem ein weiterer Monat verstrichen ist, kann das Pfandleihhaus das Pfand versteigern lassen. Sobald zehn Monate vergangen sind, ist das Pfandleihhaus per Gesetz dazu verpflichtet, die Wertgegenstände zu versteigern. Drei- bis viermal im Jahr kommen die eingereichten Sachen, die in der Harburger Werdier-Filiale nicht vom Eigentümer abgeholt werden, unter den Hammer.

Um die Höhe des Kredits zu bestimmen, lässt sich Daniela Urhahn nur von der Frage leiten, was sie glaubt, für den eingereichten Gegenstand auf einer Versteigerung zu erhalten. Mal abgesehen vom reinen Gold, dessen Wert nach dem Gewicht bemessen wird, gibt es keine Daumenregel. Die Kunst besteht darin, Plagiate zu erkennen, und den Kunden schonend beizubringen, dass sie sie wieder mitnehmen müssen. Das kommt auch vor, wenn Daniela Urhahn weiß, dass die Sachen nicht dem Zeitgeist entsprechen. Perlenketten aus den 80er-Jahren, die damals zwischen 5000 und 10 000 Mark gekostet haben, nimmt sie beispielsweise gar nicht mehr an. "Kein Mensch will heute noch Perlen haben."

Die Pfandleihhäuser verdienen ihr Geld mit Zinsen und Gebühren. Der schnelle Kredit hat seinen Preis: Pro Monat zahlt der Kunde einen Prozent Zinsen für den Kredit. Hinzu kommen Gebühren, die sich nach der Höhe der Leihsumme richten. Bei einem Darlehen von 100 Euro sind im Harburger Pfandleihhaus 3,50 Euro Zinsen und Gebühren monatlich fällig, bei 1000 Euro sind es 45, bei 2000 Euro machen die Zinsen und Gebühren 75 Euro pro Monat aus. Das Darlehen kann in Raten zurückgezahlt werden.

Weniger als zehn Prozent der gepfändeten Ware wandere am Ende in eine Auktion, sagt Wolfgang Schedl, Geschäftsführer des Zentralverbandes des Deutschen Pfandkreditgewerbes. "Insofern ist es falsch, dass die Leute, die ein Leihhaus beträten, ihr letztes Hemd gäben." Auch wenn das Pfandkreditgewerbe wächst und Rekordzahlen verzeichnet - im Vergleich zu Ländern wie Marokko, Tunesien, Bulgarien und Polen hat das Gewerbe in Deutschland noch immer so etwas wie einen Exotenstatus. Um das zu ändern, bemüht sich die Branche um einen Imagewandel. Dazu gehört auch, die Pfandleihgeschäfte eben nicht in versteckten Bürozimmern im ersten Stock abzuwickeln. Auch die Friedrich Werdier KG hat sich vor zwei Jahren nicht zufällig in der Fußgängerzone an der Lüneburger Straße in Harburg niedergelassen.