Der Künstler Tom Früchtl stellt seine Objekte im Schloss Agathenburg aus. Der Berliner setzt Klebeband, Pappe und Krepppapier in Szene.

Agathenburg. Es ist durchaus schon vorgekommen, dass jemand die Arbeiten von dem in Berlin lebenden Künstler Tom Früchtl verwechselt hat. "Ich hatte mal eine Ausstellung in Mexiko", erinnert er sich. "Ich hatte darum gebeten, die Ausstellungsstücke am Ende zu vernichten, damit sie nicht irgendwann, ohne dass man es weiß, auf dem Kunstmarkt auftauchen. Als ich nach ein paar Monaten bei dem Galeristen nachfragte, was nun eigentlich damit passiert sei, sagte er, die Müllabfuhr habe sie eines Morgens aus Versehen mitgenommen."

Dass die Müllmänner Früchtls Arbeiten auf den ersten Blick für Müll hielten, kann man ihnen nicht übel nehmen. Denn Früchtl arbeitet mit Materialen wie Pappkartons, Pressspanplatten und Möbeldecken, deren Struktur er direkt auf dem Original malerisch exakt nachahmt. So verschmilzt die Grenze zwischen Bild und Gegenstand. Wer seine Arbeit erkennen will, muss genau hinschauen. Auch im Schloss Agathenburg, wo der 1966 in München geborene Künstler am Sonnabend seine Ausstellung "Nicht unwirklich" eröffnet.

Zentrales Stück der Ausstellung ist ein großer Haufen Pappkartons, der den Titel "makeup" trägt. Früchtl hat die Kartons mit vermeintlichem Schmutz und Altersflecken bemalt. "So wie man ein Gesicht mit Schminke übermalt", sagt er. "Vielleicht bin ich eher Make-up-Stylist als Maler." Tom Früchtl kann über sich selbst lachen. Sehr erfrischend. Aber seine Kunst nimmt er trotzdem ernst. "Gemäldeobjekte" nennt er selbst seine Arbeiten, weil Objekte bei ihm zu Gemälden werden. "Meistens geht es dabei um Verpackungen, die ich mittels Malerei noch mal verpacke", so Früchtl. Auf Möbeldecken malt er die bunten Fäden nach, auf einer Holzkiste die Maserung. Aber auch Oberflächen wie Gaffatape, Paketband und Stoffe hat Früchtl schon imitiert.

Das Objekt, das in Agathenburg am meisten ins Auge sticht, ist eine Holzbank. "Die fällt ein bisschen heraus", so Früchtl. "Aber wenn ich einen für mich neuen Ort betrete, bin ich immer wie ein kleines Kind und überlege, was man dort anmalen kann. Die Bank habe ich im Garten gefunden. Draußen ist alles so schön grün, dieses Grün wollte ich in den Raum hinein holen." Mit Acrylfarbe zeichnete er auf der Bank die Original Moosflecken nach.

Die Frage, was das alles soll und ob es noch Kunst ist, hat Früchtl schon öfter gehört. "Die Frage interessiert mich aber nicht", sagt er. "Ich weiß, was ich tue und dass ich mich im Kontext der Kunst bewege." Ausstellungen von Sydney bis Mexiko sowie diverse Stipendien geben ihm Recht. "Natürlich ist das Tautologie, eine Oberfläche nachzumalen, die ohnehin schon existiert", sagt er. "Aber genau das interessiert mich, diese Schleife zu schließen."

Ungefähr zwölf Jahre ist es her, dass Früchtl begann sich Arbeiten dieser Art zu widmen. Sein Studium an der Akademie für Bildende Künste in München hatte er gerade beendet. "Ich habe mich damals noch mit fotorealistischer Malerei beschäftigt, kam aber irgendwie nicht weiter", erinnert er sich. "Es ist auch gar nicht so schlecht, wenn nach dem Studium noch mal ein Bruch kommt und man etwas völlig anderes macht." So kam Früchtl irgendwann auf die Idee, auf Pappe zu malen. Nicht nur, weil er das Material mochte, sondern zum Teil auch aus Geldgründen. "Man kann nicht so viel kaputt machen", sagt er. "Wenn man mit Ölfarbe auf einer Leinwand malt, hat man schon mal mehrere Hundert Euro Materialkosten am Tag. Wenn das Bild dann nichts wird... Ich hingegen kann den Pappkarton einfach wegschmeißen und mir einen neuen besorgen."

Die erste Arbeit dieser Art, die Früchtl ausstellte, war übrigens eine Papiertüte, auf der er 2001 die Schatten nachmalte. Und das sah so echt aus, dass einige Leute die Tüte für ein Readymade hielten. Readymades, das sind Objekte, die vom Künstler kaum oder nur wenig bearbeitet wurden. Der Begriff wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts von dem Franzosen Marcel Duchamp geprägt. Früchtl selbst sieht sich aber absolut nicht als Readymade-Künstler. "Nur einen Karton hinzustellen, würde mich nicht interessieren", sagt er. "Mir geht es schon um die Malerei. Das Schöne allerdings ist, dass bei meinen Arbeiten alles vorgeben ist: Format, Komposition, Farbigkeit. Wenn ich erst mal angefangen habe, ist es wie malen nach Zahlen."

Aber ist sein Ansatz nicht auch ein wenig masochistisch? Denn je getreuer seine Gemälde dem Original sind, desto weniger sind sie zu erkennen und desto mehr Menschen laufen vielleicht achtlos daran vorbei. "Klar, ich erziele mit maximalem Aufwand einen minimalen Effekt. Praktisch eine Umkehrung des Ökonomie-Prinzips. Aber das macht nichts", grinst er. "Das ist ein bisschen wie Sisyphus. Der schob den Stein auch immer wieder den Berg hinauf, und war trotzdem ein glücklicher Mensch."

Die Ausstellung "Nicht unwirklich" im Schloss Agathenburg an der Hauptstraße läuft noch bis zum 1. Juli. Bei der Vernissage am Sonnabend um 18 Uhr sprechen Bettina Roggmann von der Kulturstiftung Schloss Agathenburg sowie der Bildende Künstler und Musiker Michael Schultze aus Berlin. Danach ist die Ausstellung dienstags bis freitags zwischen 14 und 18 Uhr sowie sonnabends und sonntags zwischen 11 und 18 Uhr geöffnet. Der Eintritt kostet 4 Euro, ermäßigt 2 Euro. Am Sonnabend, 10. Juni, ist für 16 Uhr ein Künstlergespräch mit Tom Früchtl geplant.