Spektakuläre Funde: Das Archäologische Museum Hamburg stellt zehn Objekte und eine Fälschung vor. Heute: die Hamburger Bombennacht 1943.

Harburg. Kriege hinterlassen Spuren. Kein Wunder also, dass sich auch die Archäologie mit den Schlachtfeldern der Geschichte befasst.

"Obwohl relativ wenige Kriegsschauplätze nachzuweisen sind, denn der Sieger räumte immer ab - oder, wie so oft während des Dreißigjährigen Krieges 1618 bis 1648, die Bewohner von nahegelegenen Dörfern, die Kleidung, Sold und Lebensmittel von Toten plünderten", sagt Rainer-Maria Weiss, Direktor des Archäologischen Museums Hamburg. In der heutigen Zeit befasst sich die Schlachtfelder-Archäologie mit Schauplätzen von Scharmützeln. Besonders aufschlussreich seien Waffenfunde. Graben Wissenschaftler auf einem Feld Katapultpfeilspitzen aus und finden sie dann auch noch römische Sandalennägel, so kann es sich nur um Relikte einer spätantiken Schlacht handeln. Doch vielfach verlässt man sich in Sachen Schlachten, die einst die Menschheitsgeschichte prägten, auf Überlieferungen. Wie jene von Homer über die Belagerung von Troja durch die Griechen - eine zentrale Geschichte in der griechischen Mythologie.

In Hamburg, so Weiss, können sich Archäologen an vielen Ausgrabungsstätten mit Relikten eines Krieges befassen, nämlich denen des Zweiten Weltkriegs. Manchmal lassen sich sogar die Schrecken einzelner Tage anhand von Funden nachvollziehen. So auch die Nacht vom 27. auf den 28. Juli 1943, während des Bombenhagels im Zuge der Alliierten-Offensive "Operation Gomorrha", die Hamburg innerhalb kürzester Zeit in eine Trümmerwüste verwandelte.

Drei Tage war das Stadtgebiet bereits nahezu pausenlos bombardiert worden. Auch in jener Nacht starteten 739 Kampfflugzeuge der Royal Air Force in Richtung Hamburg. Der Schwerpunkt der Bombenabwürfe lag in den Stadtteilen östlich der Innenstadt. Aus den Flächenbränden bildete sich begünstigt durch Hitze und Trockenheit ein Feuersturm. Die orkanartigen Winde, die am Boden auftraten, fachten die umliegenden Brände weiter an. Die Stadtteile Rothenburgsort, Hammerbrook und Borgfelde wurden fast völlig zerstört, in Hamm, Eilbek, Hohenfelde, Barmbek und Wandsbek gab es ebenfalls größte Zerstörungen. Auch die Innenstadt wurde nicht verschont. Mindestens 30 000 Menschen verloren bei diesem Angriff ihr Leben.

In den Trümmerfeldern fanden Archäologen später Spuren der Vernichtung. "Hier haben wir die typischen Funde", sagt Weiss und deutet auf eine Vitrine, die sich im ersten Stock des Museumsgebäudes am Harburger Rathausplatz befindet. Dort sind Bombensplitter, Zünder, ein Stahlhelm sowie eine Handgranate ausgestellt. "Diese Gegenstände wurden im Bezirk Harburg gefunden, der aufgrund der vielen Industrieanlagen ein bevorzugtes Ziel von Bombenangriffen der Alliierten war." Aber auch der Bevölkerung wurde zugesetzt. "Die Luftminen und Sprengbomben deckten durch ihre enorme Druckwirkung gezielt die Dächer der Häuser ab", sagt Weiss, "ließen die Fensterscheiben zerspringen und unterbrachen - sofern sie auf Straßen aufschlugen - oftmals die Wasserleitungen."

Dann geht Weiss zum benachbarten Schaukasten. Darin befinden sich grotesk verzogene, bunte Glasflaschen und ein verkohltes Zierband. Die zerschmolzenen Gegenstände stammen aus dem Keller eines Hauses am Hopfenmarkt in der Hamburger Innenstadt.

"Hier erhalten wir einen Eindruck von dem Geschehen, das sich am 28. Juli 1943 rund um die Nikolaikirche abgespielt haben mag", so Weiss. Im Erdgeschoss des Hauses am Hopfenmarkt befand sich eine Drogerie. Der Feuersturm walzte über Hamburg hinweg, die Nikolaikirche stürzte ein - und bei 1800 Grad Hitze, mehr, als für das Metallschmelzen nötig ist, bogen und streckten sich die Parfumflakons im Kellerlager der inzwischen in Schutt und Asche liegenden Drogerie. Alles Leben im Straßenzug wurde ausgelöscht, Menschen erstickten in ihren Schutzräumen, die sich als unzulänglich erwiesen.

Immer wieder rücken die Archäologen-Teams an, wenn bei der Erschließung von Baugebieten Weltkriegswaffen und manchmal, wie vor einigen Jahren in Moorburg, Reste von abgestürzten Bombern gefunden werden. "Auch bei diesen Forschungsarbeiten sind es die Details, die Funde über die Lebenssituationen der Menschen offenbaren. Längst gab es keinen gesicherten Alltag mehr, die Gesellschaft löste sich auf. Viele wollten sich vor dem nicht endenden Schrecken in Sicherheit bringen ", so Weiss.

Offenbar auch ein deutscher Bomberpilot und seine Frau. So gruben Wissenschaftler im Rheinland ein deutsches Kampfflugzeug aus und machten eine verblüffende Entdeckung. "In der zertrümmerten Pilotenkanzel lag auch ein Paar Damenschuhe. Der Plan des Paares, dem Krieg davonzufliegen, misslang", so Weiss. Einfach ein neues Leben beginnen, die unbequeme Vergangenheit hinter sich lassen - das wollten in den Wirren der letzten Kriegstage viele Deutsche. "Da bewiesen einige ein bemerkenswertes Geschick", erklärt Weiss.

Bei Grabungsarbeiten auf dem Domplatz in der Innenstadt legten die Wissenschaftler auch die Fundamente des Johanneums frei. Fast komplett zerstört, wurden die wenigen noch aufrecht stehenden Gebäudereste während der ersten Nachkriegstage als Behelfsunterkünfte genutzt. So fand offenbar auch ein Kioskbesitzer eine vorübergehende Bleibe. "In einem Ruinenbereich war damals ein neuer Betonboden sauber gegossen worden. Als wir diesen aufstemmten, um an die darunter liegenden Schichten zu gelangen, stießen wir auf zwei große Emaillewerbeschilder des ehemaligen Hamburger Tageblatts", so Weiss. Das Logo: eine Kogge mit geblähten Segeln, auf denen ein Hakenkreuz prangte. Das Hamburger Tageblatt war das Sprachrohr der NSDAP in Hamburg. "Der neue Kioskbetreiber war also bemüht, in seinem Notbehelf am Domplatz, direkt gegenüber dem NSDAP-Pressehaus, die deutlich sichtbaren Spuren der Nazi-Vergangenheit möglichst sicher verschwinden zu lassen, indem er sie einbetoniert hat", so Weiss.

Dass ausgerechnet Archäologen diese verräterischen Schilder mehr als 60 Jahre später wieder ausgraben würden, "hätte dieser Mensch sich wohl damals nicht vorstellen können", sagt der Museumsdirektor.

Wer die vorangegangenen Folgen verpasst hat, findet sie unter www.abendblatt.de/schaetze . Das Abendblatt-Video zur Serie: www.abendblatt.de/ausgrabungsschaetze

Am kommenden Montag berichtet Museumsdirektor Rainer-Maria Weiss über einen abgebrühten Kunsthändler, der mit seinen Fälschungen so manch ein Museum hereingelegt hat.