Regisseur Peter Kühn analysiert den Besuch der Wulffs in Stade. Sein Fazit: Die Visite war eine gut inszenierte Schau

Stade. "Ein klassisches Stück in drei Akten, das war der Besuch des Bundespräsidenten Christian Wulff in Stade. Als der ehemalige Niedersächsische Ministerpräsident am Mittwoch um 14.25 Uhr aus Hannover kommend mit dem Hubschrauber als Bundespräsident einflog, um anschließend von einem Autokonvoi zum CFK-Nord Forschungszentrum gefahren zu werden, begann eine genau einstudierte Vorstellung." Das sagt der Stader TheaterRegisseur Peter Kühn. Für das Abendblatt analysiert Kühn, der einst persönlicher Assistent von Peter Zadek am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg war, den Auftritt der Wulffs.

Der Antrittsbesuch des Bundespräsidenten in Niedersachsen war seit Monaten akribisch geplant worden, alles sollte reibungslos ablaufen. Jeder Auftritt des Bundespräsidenten wird in der Öffentlichkeit genau beobachtet, jede Geste wird gewertet. Für das Präsidialamt bedeutet dies, dass es den ersten Mann im Staate perfekt ins Szene setzen muss.

Peter Kühn zufolge beginnt das Stück in dem Augenblick, als Wulffs Staatskarosse beim Stader CFK-Forschungszentrum vorfährt: "Das ist eine klassische Eröffnung des ersten Aktes, ganz großes Showtheater. Aber die Sicherheitskräfte haben das Entree leider verdorben, indem sie zu auffällig und störend im Weg standen", sagt Kühn. Auch sei viel zu viel Staffage um den Bundespräsidenten gewesen. Viele dunkle Anzüge mit austauschbaren Köpfen.

"In solch einem Umfeld wirkt der Bundespräsident nicht wie ein Gastgeber, er wirkt isoliert", sagt Kühn. Ein geschlossener Gruppenauftritt, das wäre die perfekte Inszenierung gewesen. "Aber so ist das immer dieselbe Nummer, egal ob Ministerpräsident, Filmstar oder Bundespräsident."

Was ihm aber gefällt, ist der Auftritt von Bundespräsidenten-Gattin Bettina Wulff. Ein leichtes Blau, ein wenig strenges Outfit. "Sie steht mit ihrer etwas ungewöhnlichen Kostümierung eher im Mittelpunkt, denn es ist wohltuend natürlich, was sie trägt. Das hat sie bestimmt selbst ausgesucht", so Kühn. An Christians Wulffs Kleidung sei im Grunde auch nichts auszusetzen, aber der klassisch dunkle Anzug vermittle, so Kühn, kaum Bürgernähe.

In der CFK-Halle dann ein festes Prozedere. Wulff wird von Stand zu Stand geführt, betrachtet technische Neuerungen. In geraumen Abstand stehen da Fußvolk und Sicherheitskräfte. "Da wird ganz klar in zwei Klassen unterschieden. Der Bundespräsident soll die erste Geige spielen, die anderen sollen sich hinten anreihen. Das wirkt unglücklich", sagt Kühn.

Am Theater werde immer gesagt, den König müssten andere spielen, nie der König selbst. Das klappe hier nicht. Wulff werde nicht gehuldigt, ihm werde auch nicht die Rolle zugetragen, die er eigentlich spielen solle. Stattdessen werde er durch die Halle geführt und vermittele den Eindruck eines Lehrers, der sich die Ergebnisse der Projektwoche seiner Schüler anschaut.

Doch dann beginnt der Bundespräsident anscheinend, aus dem strengen Protokoll auszubrechen. Ein Rennwagen aus CFK steht in der Halle, Wulff lässt sich sehr schnell überreden, dort einzusteigen, sein Parteikollege David McAllister rollt ihn ein wenig durch die Halle in dem grünen Flitzer. "Das wirkt vielleicht spontan, aber die Aktion war keine spontane. Wulff weiß, dass so etwas werbewirksam ist, also bricht er aus dem Protokoll aus, um sich gekonnt zu inszenieren", analysiert Kühn. Das habe, so gesteht der Theaterregisseur, schon etwas von der brillanten Selbstdarstellung eines Ludwig XIV. Wulff wisse einfach, wie er sich gut ins Bild setzen kann. Das könne man zu einem gewissen Grad lernen, er habe diese Fähigkeit, dieses Gespür dafür aber von Natur aus.

Zweiter Akt - Bummel durch die Innenstadt. Hunderte Schaulustige haben sich versammelt, um den Bundespräsidenten auf seinem Weg vom Schwedenspeicher über den Fischmarkt, die Hökerstraße entlang bis zum Rathaus zu sehen. Einige Stader Bürger klatschen spontan Beifall, aber nicht viele. Hanseatische Zurückhaltung eben. Christian Wulff stört dies nicht, im Gegenteil. Er pausiert immer wieder, geht auf Passanten zu, lässt sich mit ihnen fotografieren oder gibt bereitwillig Autogramme.

"Christian Wulff beherrscht diesen Part des Theaters ziemlich perfekt. Er stellt sich immer optimal hin, seine Körperhaltung ist nie abwehrend. Und er zeigt seine Schokoladenseite, gepaart mit einem natürlichen Lächeln. Das ist hochprofessionell", sagt Kühn. Besser könne ein Bad in der Menge nicht werbewirksam umgesetzt werden. "Wenn man das so genau betrachtet, hat das schon etwas vom Diana-Stil. Die verstorbene Prinzessin hatte ja ähnlich den Kontakt zu den Menschen gesucht. Das ist für Sicherheitskräfte natürlich sehr anstrengend, aber für Wulff zahlt es sich definitiv positiv aus", findet der Stader Regisseur.

Etwas komplizierter wird die Ehrenpatenschaft, die Wulff anlässlich der Geburt des siebten Kindes einer Stader Familie übernimmt. Die Familie wartet adrett gekleidet und wie hinstaffiert an der St.-Cosmae-Kirche, der Bundespräsident kommt, der Platz füllt sich mit Bürgern und Pressevertretern, es herrscht großes Gedränge. Wulff schüttelt Hände, Smalltalk, Fotos für die Presse. "Das wirkt wie eine übertriebene Tauffeier mit schlechter Regie. Das hätte natürlicher sein müssen, etwa indem die Kinder normale Kleidung tragen statt Kleid und Anzug", meint Kühn. Das sei sicher protokollarisch geplant gewesen, dass es genau so und nicht anders ablaufen ist, glaubt er. "Die Staatskanzlei muss das mit der Familie im Vorfeld genau abgesprochen haben, das ist mir aber zu plakativ, zu PR-lastig", so das Urteil des Regisseurs.

Damit liegt er in der Tat nicht falsch. Das Treffen Wulffs mit der Stader Familie Hauschke wurde von Ministerpräsident David McAllister arrangiert. Regisseur Peter Kühn findet derweil, auch der anschließende Besuch des Bundespräsidentenpaares in der St.-Cosmae-Kirche, das staunende Betrachten des Kirchenschiffs und hinzeigen auf die architektonischen Besonderheiten wirke zu gestellt.

Ganz groß sei dagegen der Aufzug des dritten Aktes, der Besuch des Rathauses als krönendes Finale der Stippvisite. Aufgang über die Prunktreppe, dann ein klassischer Eintrag in das Goldene Buch der Stadt, nachfolgend der Einzug durch die große Mitteltür in den geschmückten Königsmarcksaal. Etwa 150 Menschen, die ehrenamtlich tätig sind, viele von ihnen mit Migrationshintergrund, stehen Spalier, spenden sofort Beifall, als der Bundespräsident mit seiner Gattin den Festsaal betritt und in gemächlichem Tempo nach vorne schreitet. Blicke nach links und rechts, freundliches Zunicken zu den Bürgern. "Das gehört sich genau so, das ist ein klassischer Einzug eines Staatsoberhauptes in einen Festsaal. Da war er richtig gut. Er hat Nähe geschaffen, in die Augen der Bürger geschaut und dabei dennoch staatsmännisch gewirkt", sagt Kühn.

Dass es am Ende noch die Aushändigung des Bundesverdienstkreuz an den ehemaligen Präsidenten des Stader Verwaltungsgerichts, Eike Ingwer Schmidt, für sein ehrenamtliches Engagement für Menschen in Osteuropa und für das Natureum Niederelbe gab, sei ein Tüpfelchen auf dem i gewesen. Denn das sei, so Kühn, keine Standardprozedur, sondern eine schöne und kluge Geste. "Auch seine Rede war passend, sowohl thematisch, als auch sprachlich locker und damit der Zielgruppe angepasst. Auch das Zeitmaß stimmte", urteilt der Regisseur.

Und wie gut war nun der Besuch des Bundespräsidenten in Stade summa summarum umgesetzt? Kühn fällt die Antwort darauf nicht schwer: "Unter der Berücksichtigung der protokollarischen Zwänge, die herrschten und trotz einiger verbesserungsfähiger Inszenierungen, muss ich dem Bundespräsidenten dennoch eine glatte Eins geben. Er hat seine Aufgabe in Stade sehr gut gemeistert."