Kiel. Lange war das Land besonders erfolgreich im Kampf gegen das Coronavirus. Warum die Inzidenz jetzt so stark stieg.

Lange konnte sich Schleswig-Holstein rühmen, den Kampf gegen das Coronavirus besonders gut geführt zu haben – wies doch das Bundesland gemeinsam mit Mecklenburg-Vorpommern über Monate hinweg die bundesweit niedrigste Inzidenz auf. Im Landtag brüsteten sich die Regierungskoalitionäre mit ihren hervorragenden Leistungen – und kritisierten die Nachbarbundesländer. Noch vergangene Woche attackierte CDU-Fraktionschef Tobias Koch unter anderem Hamburg. „Es wird entscheidend darauf ankommen, ob die anderen Bundesländer diese Regeln genauso konsequent umsetzen wie wir in Schleswig-Holstein“, sagte Koch.

Mit derartigen Reden dürfte es vorerst vorbei sein. Jetzt ist Schleswig-Holstein das Bundesland, in dem die Inzidenz höher ist als anderswo – während sie zum Beispiel in Hamburg sinkt. Am Sonnabend lag der Wert in der Hansestadt erstmals seit langer Zeit wieder unter dem des nördlichen Nachbarn: 90,9 zu 96,2. Im gestrigen Tagesbericht des Robert-Koch-Instituts rangierte Schleswig-Holstein nur noch auf Platz fünf. Mit der Inzidenz von 94 ist man nicht mehr weit entfernt von Rheinland-Pfalz (100), selbst Bayern (107) rückt näher. Was also ist geschehen im einstigen Corona-Musterland zwischen Nord- und Ostsee?

Im Kreis Pinneberg ist die Inzidenz seit Langem hoch

Es ist eine Frage, die selbst Fachleute nicht eindeutig beantworten können. Der Kieler Infektionsmediziner Helmut Fickenscher, der auch die Landesregierung berät, sagt, die Ausbrüche in Alten- und Pflegeheimen dürften „eine ganz relevante Rolle“ spielen. Tatsache sei jedenfalls, dass die verschärften Corona-Regeln bislang noch nicht den erhofften Erfolg gehabt hätten.

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Nun hat es diese Ausbrüche allerdings auch schon in den Vormonaten gegeben. Im Kreis Pinneberg ist deshalb die Inzidenz seit Langem hoch. Mittlerweile hat sich der Kreis mit einer Inzidenz von 183,2 allerdings gänzlich von der Entwicklung beim Nachbarn Hamburg abgekoppelt. Ob die britische Mutante des Virus dabei eine Rolle spielt, blieb gestern unklar. Zwar gibt es einen Verdachtsfall, die Gensequenzierung dauert aber noch an. Die Frage, wer sie durchführt und wann sie beendet ist, konnte die Pressestelle des Kreises nicht beantworten. Tatsache ist aber wohl: Die schon seit Monaten hohen Werte können nicht auf die aktuell aufgetretene Mutante zurückzuführen sein.

Mutante mit Kennung B.1.1.7 aus Dänemark eingeschleppt?

In der Stadt Flensburg, dem zweiten aktuellen Corona-Hotspot in Schleswig-Holstein, ist die Lage ein wenig anders. Dort ist bei gleich mehreren Fällen die englische Virusform festgestellt worden. 30 Proben waren vor gut einer Woche zu Sequenzierung nach Berlin geschickt worden. In wie vielen Fällen es nun eine Bestätigung gegeben hat, konnte die Pressestelle am Dienstag nicht in Erfahrung bringen.

Vermutet wird, dass die Mutante mit der Kennung B.1.1.7, die ansteckender ist als die derzeit in Deutschland verbreitete Virusform, aus Dänemark eingeschleppt worden ist. Dort wird schon seit Längerem vor B.1.1.7 gewarnt. Sowohl die Zahl als auch der Anteil der Mutante steigt deutlich, so das SSI, dänisches Pendant zum RKI. 561 Dänen haben sich bisher nachweislich mit B.1.1.7 infiziert. Bei 7,4 Prozent aller sequenzierten Corona-Proben in der zweiten Januarwoche wurde B.1.1.7 entdeckt. In der ersten Januarwoche waren es noch vier Prozent. Die meisten Fälle gab es in der Region Seeland und in Süddänemark – also nahe der deutschen Grenze.

Corona-Tests für Grenzpendler

Schleswig-Holstein hat deshalb vor wenigen Tagen Corona-Tests für Grenzpendler eingeführt. Zudem hat auf Drängen der Landesregierung die Bundespolizei die Kontrollen an der Grenze verschärft. Dabei gehe es „um die Einhaltung der Corona-Einreiseverordnung speziell für Reisende aus Ländern mit hohem Risiko und Virusmutationen“, teilte die Bundespolizeidirektion mit. Betroffen von der seit Sonntag verstärkten Binnengrenzfahndung sind die Landgrenzen zu Dänemark und Polen sowie die Seehäfen in Kiel, Lübeck-Travemünde und Rostock.

Vor diesem Hintergrund überrascht es, dass die Landesregierung am Dienstag einen Stufenplan zur Öffnung von Kitas, Schulen, Geschäften und anderen öffentlichen Einrichtungen vorlegte. Aber Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) hatte zuvor schon auf Bundesebene darauf gedrängt, einen solchen Plan zu entwickeln. „Zur nächsten Ministerpräsidentenkonferenz soll es einen Beschlussvorschlag für einen Perspektivplan geben, so haben es meine Ministerpräsidentenkollegen und ich beschlossen. Da sind wir heute in Vorleistung getreten“, sagte Günther.

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Zunächst aber geht es um die heimische Inzidenz. Wird der Wert von 100 überschritten, gibt es laut Perspektivplan keine Öffnungen. Deshalb soll nun die Polizei helfen. „Im gesamten Land und insbesondere in Flensburg und im Kreis Pinneberg wurde und wird der polizeiliche Streifendienst lageangepasst verstärkt“, sagte der Landespolizeidirektor Michael Wilksen am Dienstag. „Darüber hinaus bietet die Polizei den vorrangig für die Kontrollen zuständigen kommunalen Behörden landesweit an, gemeinsame Kontrollen in für Verstöße besonders anfälligen Bereichen durchzuführen. Das können zum Beispiel Gebiete mit aktuell bekannten Corona-Clustern sein.“

Corona: Diese Testverfahren gibt es

  • PCR-Test: Weist das Virus direkt nach, muss im Labor bearbeitet werden – hat die höchste Genauigkeit aller Testmethoden, ist aber auch die aufwendigste
  • PCR-Schnelltest: Vereinfachtes Verfahren, das ohne Labor auskommt – gilt als weniger zuverlässig als das Laborverfahren
  • Antigen-Test: weniger genau als PCR-(Schnell)Tests, dafür zumeist schneller und günstiger. Laut RKI muss ein positives Testergebnis durch einen PCR-Test überprüft werden, ein negatives Ergebnis schließt eine Infektion nicht aus, insbesondere, wenn die Viruskonzentration noch gering ist.
  • Antigen-Selbsttest: Die einfachste Test-Variante zum Nachweis einer Infektion mit dem Coronavirus. Wird nicht von geschultem Personal, sondern vom Getesteten selbst angewandt. Gilt als vergleichsweise ungenau.
  • Antikörper-Test: Weist keine akute, sondern eine überstandene Infektion nach – kann erst mehrere Wochen nach einer Erkrankung sinnvoll angewandt werden
  • Insgesamt stellt ein negatives Testergebnis immer eine Momentaufnahme dar und trifft keine Aussagen über die Zukunft