Norderstedt. Nach einem Corona-Ausbruch starben 15 alte Menschen in dem Norderstedter Pflegeheim. Jetzt war das mobile Impfteam vor Ort.

Diesen Moment haben die Bewohnerinnen und Bewohner und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Alten- und Pflegeheim Haus Steertpogg in Norderstedt seit Wochen herbeigesehnt: Pünktlich um 13 Uhr erscheint das mobile Impfteam, bepackt mit Impfstoff und medizinischem Material und macht sich im Schulungsraum an die Arbeit.

Zwei Sanitäterinnen ziehen emsig Spritzen mit dem begehrten Impfstoff auf und legen sie auf ein Tablett. Dr. Pia Stüssel checkt derweil Listen und Unterlagen der Impfwilligen, die die Heimleitung in den vergangenen Tagen vorbereitet hat.

Impfung im Alten- und Pflegeheim Haus Steertpogg

Es ist nicht viel Zeit. 51 Bewohnerinnen und Bewohner und 18 Mitarbeiter der Einrichtung wollen sich an diesem Nachmittag impfen lassen. Am Ende werden es sogar deutlich mehr sein.

Einer der Ersten, der in den "Genuss" der Impfung kommt, ist Jan Hermann, stellvertretender Pflegedienstleiter. Dr. Johannes Börgel, Allgemeinmediziner aus Norderstedt, versetzt dem Mann im grünen Pflegerdress nach dem Aufklärungsgespräch einen Piks in den Oberarm und spritzt ihm den Impfstoff ins Muskelgewebe. Das wars auch schon.

Jan Hermann lächelt zufrieden, schnappt sich seinen Impfpass und steht schon wieder auf den Beinen. "Als Nebenwirkungen können Kopf- und Gliederschmerzen auftreten. Das gibt sich, das hatte ich selbst, das ist normal", sagt der Leiter des Impfteams und bittet Jan Hermann, noch ein paar Minuten auszuruhen.

Alles wird fein säuberlich dokumentiert. In vier bis fünf Wochen wird Hermann noch einmal geimpft. Erst dann entfaltet der Impfstoff vom deutschen Hersteller Biontech seine volle Wirkung.

Im Kreis Segeberg sind 15 mobile Impfteams unterwegs

Seit Ende Dezember ist der Arzt aus Norderstedt unentwegt mit einem der 15 in Kaltenkirchen stationierten mobilen Impfteams im Kreis Segeberg unterwegs. Als Erstes werden die Über-80-Jährigen geimpft - außerdem ältere und pflegebedürftige Menschen in Heimen und deren Pfleger und Pflegerinnen sowie Beschäftigte in medizinischen Einrichtungen mit hohem Expositionsrisiko. Und solche, die Menschen mit hohem Expositionsrisiko betreuen.

Es gibt viel zu tun: Allein in Schleswig-Holstein leben 220.000 Impfberechtigte über 80 Jahre. "Wir schaffen 200 bis 250 Impfungen am Tag. Unser Team ist mit zwei Ärzten doppelt besetzt. Wir waren heute schon in einem Altenheim in Ellerau aktiv", erzählt der Arzt. Hat er Unverträglichkeiten des Impfstoffs beobachtet? "Nein", versichert der Arzt. "Bisher haben alle die Impfung gut vertragen."

Es komme allerdings vor, dass sich insbesondere Betreuer von Demenzkranken weigerten, ihre Angehörigen impfen zu lassen. "Gerade bei Demenzkranken gibt es viele Ängste. Da bedarf es sehr viel Fingerspitzengefühl. Diese Menschen müssen wir beruhigen. Wir überreden aber niemanden, sich impfen zu lassen", versichert der Arzt.

Ohne Einverständniserklärung der Betreuer gibt es keine Impfung

Unterdessen sitzen im Essensraum von Wohnbereich 2 zahlreiche Bewohnerinnen und Bewohner und warten geduldig auf ihre Impfung. Die Impfunterlagen liegen in gelben Klarsichthüllen aufgereiht auf einem Tisch. Heimleiterin Kerstin Krause und ihre Mitarbeiterinnen sorgen für Getränke, gehen herum, klären Fragen, beruhigen. Dr. Börgel und sein Team erscheinen.

Der Mediziner erklärt den älteren Menschen noch einmal den genauen Ablauf und benennt mögliche Nebenwirkungen der Impfung wie Kopf- und Gliederschmerzen oder Muskelkater im Oberarm. Doch ganz glatt geht die Sache dann leider doch nicht über die Bühne: Es stellt sich heraus, dass wichtige Unterlagen des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) fehlen.

Betreuer mussten einzeln angerufen werden

"Der MDK hat es versäumt, die Einverständniserklärungen der Betreuer der Demenzkranken direkt an das Impfteam weiterzuleiten", sagt die Heimleiterin. Ohne Einverständniserklärung gibt es keine Impfung. Was tun? Um die Sache zu retten, muss jeder der Betreuer einzeln angerufen werden, um persönlich zu versichern, dass das Einverständnis tatsächlich gegeben wurde. Das kostet Zeit, viel Zeit.

Um 14.30 kann endlich mit dem Impfen begonnen werden. Die Bewohner freuen sich, dass es losgeht. "Wollen wir mal hoffen, dass alles gut geht", sagt Ladislav Kappenberger und lächelt, nachdem ihm Dr. Börgel die Dosis verabreicht hat. Der 90-Jährige lebt seit August mit seiner Frau Eleonore im Heim, die sich ebenfalls impfen lässt.

"Es kann nur sicherer werden", sagt Kappenberger und spricht ein dunkles Kapitel im Steertpogg-Heim an: Nach einem Corona-Ausbruch im Oktober hatten sich 33 Bewohner und 17 Mitarbeiter des Pflegeheimes mit Sars-CoV-2 infiziert. Alle Bewohner und Mitarbeiter des Hauses mussten sich wochenlang in Quarantäne begeben. 15 Bewohner starben.

Seit Mitte November gibt es keinen Corona-Fall mehr

Seit Mitte November ist das Haus coronafrei. Heute muss sich jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter täglich einem Schnelltest unterziehen. Die Bewohner sind zweimal pro Woche dran. "Jeder, der das Haus betritt, muss sich testen lassen", betont die Heimleiterin. Mit einer Ausnahme: Einige Betreuer weigern sich, Tests machen zu lassen.

Dagegen ist die Chefin machtlos – und in Sorge. "Wie soll ich meine Bewohner schützen, wenn sich die Betreuer weigern, ihre Angehörigen beispielsweise nach der Rückkehr vom Besuch in unser Haus testen zu lassen? Meine Hoffnung ist, dass sich möglichst viele impfen lassen, damit wir alle endlich zu einem normalen Leben zurückkehren können!"

Anfangs hätten sie Bedenken gegen das Impfen gehabt, sagt Bewohner Ladislav Kappenberger. Die Tatsache, dass der Impfstoff als Erstes an die Alten verabreicht werde, habe ihn und seine Frau schließlich überzeugt.

Mobiles Impfteam zieht durch die Zimmer

Jutta Vooth (83) schaut interessiert auf ihren Oberarm, als ihr der Arzt die Nadel setzt. Angst hat sie keine. Nach wenigen Minuten steht die Bewohnerin auf und begibt sich in ihr Zimmer, als wäre nichts gewesen. Als alle geimpft sind, machen Dr. Börgel und sein Team in den Zimmern weiter. Bei den Menschen, die nicht mehr so mobil sind. Dann zieht das Team weiter in Wohnbereich I.

Mittlerweile ist es 16 Uhr. Drei Mitarbeiterinnen sitzen auf dem Flur und warten geduldig auf ihre Impfung. Sie kommen als letzte dran. "Ich finde es wichtig, sich impfen zu lassen. Wenn wir die Herdenimmunität nicht hinbekommen, wird sich nichts ändern", sagt Patrycia Jaeger (39), Servicekraft und Mutter von zwei Kindern (19 und 15) aus Norderstedt. "Ich möchte nicht, dass meine Kinder Corona bekommen. Ich glaube, dass der Impfstoff sehr sicher ist. Sonst hätte man nicht bei den alten Leuten angefangen zu impfen."

Viele Pflegerinnen und Pfleger sind unsicher

Monika Hakai (51) geht noch einen Schritt weiter. "Ich finde es unverantwortlich, wenn sich jemand nicht impfen lassen möchte. Ich bin für eine Impfpflicht. Wir wollen, dass endlich wieder Normalität einzieht. Das wir uns endlich wieder umarmen können“, sagt die Mutter einer 18-jährigen Tochter. "Ich möchte auf keinen Fall erkranken, weil ich nicht weiß, wie es ausgeht. Wir hatten hier Corona. Es war kein schönes Gefühl, es war furchtbar."

Pflegehelferin Agnieszka Reimer (35), Mutter von zwei Kindern (9 und 7) aus Quickborn, hat sich kurzfristig entschlossen, sich impfen zu lassen. "Erst habe ich Nein gesagt und dann überlegt. Es ist wichtig, dass wir uns alle impfen lassen. Dann geht es vielleicht besser – auch mit den alten Leuten. Ich kann verstehen, wenn sich jemand nicht impfen lassen will. Aber gerade in unserem Job ist es doch sehr wichtig."

Die aktuellen Corona-Fallzahlen aus ganz Norddeutschland:

  • Hamburg: 2311 neue Corona-Fälle (gesamt seit Pandemie-Beginn: 430.228), 465 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (davon auf Intensivstationen: 44), 2373 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1435,3 (Stand: Sonntag).
  • Schleswig-Holstein: 1362 Corona-Fälle (477.682), 623 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 39). 2263 Todesfälle (+5). Sieben-Tage-Wert: 1453,0; Hospitalisierungsinzidenz: 7,32 (Stand: Sonntag).
  • Niedersachsen: 12.208 neue Corona-Fälle (1.594.135), 168 Covid-19-Patienten auf Intensivstationen, 7952 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1977,6; Hospitalisierungsinzidenz: 16,3 (Stand: Sonntag).
  • Mecklenburg-Vorpommern: 700 neue Corona-Fälle (381.843), 768 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 76), 1957 Todesfälle (+2), Sieben-Tage-Wert: 2366,5; Hospitalisierungsinzidenz: 11,9 (Stand: Sonntag).
  • Bremen: 1107 neue Corona-Fälle (145.481), 172 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 14), 704 Todesfälle (+0). Sieben-Tage-Wert Stadt Bremen: 1422,6; Bremerhaven: 2146,1; Hospitalisierungsinzidenz (wegen Corona) Bremen: 3,88; Bremerhaven: 7,04 (Stand: Sonntag; Bremen gibt die Inzidenzen getrennt nach beiden Städten an).

Doch es gibt auch andere Stimmen. "Mich hat Corona erwischt, mit heftigem Fieber, Hals und Gliederschmerzen“, sagt Pflegekraft Ina B. (30, Name geändert). Damit kommt sie für mindestens sechs Wochen ohnehin nicht für eine Impfung infrage.

"Ich würde mich auch danach nicht impfen lassen", betont die Mutter von zwei Kindern (10 und 9). Sie blieben von Corona verschont. "Ich möchte noch ein Kind bekommen. Beim Impfen bin ich mir unsicher. Es ist eher so ein Bauchgefühl. Ich habe keine Beweise und nehme in Kauf, dass ich noch mal Corona bekomme."

Am Ende lassen sich mehr Menschen impfen, als anfangs gedacht

Pflegekraft Svenja D. (28, Name geändert) wünscht sich ebenfalls ein Kind. "Am Anfang, als der Impfstoff herauskam, habe gehört, dass sie noch nicht sicher sind, ob Frauen davon unfruchtbar werden", sagt sie. "Ich möchte mir meinen Kinderwunsch nicht durchs Impfen kaputt machen lassen. Wenn sich herausstellt, dass der Impfstoff sicher ist, finde ich es aber eine gute Sache."

Für Altenpfleger-Azubi Tim F. (22, Name geändert) aus Kaltenkirchen ging alles viel zu schnell. "Ich bin sehr unsicher und warte lieber ab. Ich bin grundsätzlich für Impfen, befürchte aber, dass es eventuell Nebenwirkungen oder Spätfolgen gibt."

Pflegedienstleiter Jan Hermann, Vater von drei Kindern, hat dagegen keine Angst vor dem Impfen. "Ich sehe es als meine Pflicht an, andere im privaten und beruflichen Umfeld möglichst gut zu schützen. Die Herdenimmunität ist sicherlich erstrebenswert. Je mehr sich impfen lassen, desto sicherer ist es."

Am Ende des Tages haben sich 33 der insgesamt 70 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und 51 der 89 Bewohnerinnen und Bewohner im Haus Steertpogg impfen lassen.