Kiel. Verfassungsschutzbericht 2019: Gruppen werden im Internet beobachtet. Innenministerin: zunehmendes Gefahrenpotenzial.

Das zahlenmäßige Ausmaß der politisch motivierten Kriminalität hat in Schleswig-Holstein 2019 einen neuen Höchststand erreicht. „Das Extremismuspotenzial steigt“, sagte der Leiter des Verfassungsschutzes, Joachim Albrecht, am Dienstag bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts in Kiel. Seine Mitarbeiter registrierten im vergangenen Jahr 1264 Taten politisch motivierter Kriminalität. Das entspricht einem Anstieg um gut vier Prozent zum Vorjahr.

Einen Großteil führt die Behörde auf den Anstieg der sogenannten Propagandadelikte zurück. Auch die Zahl politisch motivierter Gewalttaten ist von 47 auf 66 Taten gestiegen, bleibt jedoch unter dem Wert von 2017 mit 79 Taten. Bei den Gewaltdelikten konnten 77,5 Prozent der Fälle aufklärt werden. Insgesamt lag die Aufklärungsquote im Bereich rechter Straftaten bei 42,88 Prozent.

Gruppen treffen sich in sogenannten Echoräumen im Internet

Die Verfassungsschützer im nördlichsten Bundesland erledigen ihren Job zunehmend im Netz. „Besonders im Internet teilen und verfestigen Gleichgesinnte in sogenannten Echoräume ihre wahrheitswidrigen Positionen“, sagte Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU). „Das daraus erwachsende zunehmende Gefahrenpotenzial treibt unsere Sicherheitsbehörden um.“ Der Verfassungsschutz habe deshalb seine Kapazitäten in diesem Bereich ausgebaut.

Die Verfassungsschützer sehen im Rechtsextremismus und im Islamismus derzeit die größte Bedrohung. Extremisten nutzten für Agitation, Propaganda und zur Mobilisierung zunehmend soziale Medien, Messenger-Dienste, individuelle Webseiten sowie Spieleplattformen. Dabei setzten sie auf den psychologischen Mechanismus, sich in das Gedächtnis eingrabender, immer wiederkehrender kleiner Botschaften, Bilder, Witze, kurzer Videos und Symbole.

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Rechtsextremisten rücken in Fokus der Sicherheitsbehörden

„Die Zahlen sprechen für sich“, sagte der Leiter der Polizeiabteilung im Innenministerium, Torsten Holleck. Der Bereich Rechtsextremismus rücke stärker in den Fokus der Polizei. „Das wird Schwerpunkt.“ Die Zahl der dem Rechtsextremismus zugerechneten Personen ging im vergangenen Jahr aber von 1100 auf 1060 leicht zurück. Dennoch geht der Verfassungsschutz von 360 gewaltorientierten Rechtsextremisten im Norden aus.

Rückläufige Tendenzen beobachtete der Verfassungsschutz bei der Identitären Bewegung, der im Land rund 20 Anhänger mit Aktivitäten überwiegend in Kiel zugerechnet werden. Die Zahl der Reichsbürger und Selbstverwalter erhöhte sich 2019 leicht um 20 auf 333 Personen. Die weitgehend heterogene Szene bleibt dem Verfassungsschutz zufolge wegen ihrer Waffenaffinität und latenten Gewaltbereitschaft insbesondere gegenüber Beschäftigten des öffentlichen Dienstes eine relevante Größe im politischen Extremismus.

Verfassungsschutz beobachtet 650 Salafisten im Norden

Dem Islamismus und islamistischen Terrorismus werden in Schleswig-Holstein 715 Personen zugeordnet. Das sind elf Prozent mehr als vor einem Jahr. „Von ihnen sind 650 Personen dem Salafismus zuzurechnen“, sagte Sütterlin-Waack. Es bestehe weiter eine intensive Gefährdung aus diesem Bereich. Sie verwies auf die drei im Januar 2019 in Meldorf (Kreis Dithmarschen) festgenommenen Flüchtlinge irakischer Herkunft, die ein dschihadistisch motiviertes Attentat planten. Zwei von ihnen wurden am 13. November 2019 zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt.

Einen Anstieg gab es auch beim Linksextremismus. Ihm ordnen die Experten im Norden mittlerweile 700 Personen zu, 30 mehr als vor einem Jahr. Das gewaltbereite Personenpotenzial liegt unverändert bei 335 Menschen.