Schleswig-Holstein

AfD sucht im Kieler Landtag gezielt den Eklat

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Die Landesvorsitzende der AfD, Doris von Sayn-Wittgenstein, im Kieler Landtag

Die Landesvorsitzende der AfD, Doris von Sayn-Wittgenstein, im Kieler Landtag

Foto: Carsten Rehder / dpa

Politiker aller anderen Fraktionen haben der AfD fehlende Abgrenzung zu Rechtsextremen vorgeworfen. AfD spricht von "Lügenpresse".

Kiel. Die AfD-Landtagsfraktion hat nach Ansicht der anderen Parteien bei einer Aktuellen Stunde im Parlament ihre bürgerlich-konservative Maske fallen lassen und Nähe zu Neonazis gezeigt. SPD-Fraktionschef Ralf Stegner hielt der AfD-Vorsitzenden Doris von Sayn-Wittgenstein und AfD-Fraktionschef Jörg Nobis am Mittwoch vor, rechtsextremistische Reden gehalten zu haben. Auch CDU, Grüne, FDP und SSW waren entsetzt über deren Äußerungen und betonten, Demokratie und Grundwerte entschieden gegen alle Angriffe zu verteidigen. „Wir sind mehr“, sagte SSW-Fraktionschef Lars Harms.

Die Jamaika-Regierungsfraktionen hatten die Aktuelle Stunde beantragt wegen Äußerungen von Sayn-Wittgenstein nach den Vorgängen in Chemnitz. Nach der Tötung eines 35-jährigen Chemnitzers hatte sie von „ausufernder Ausländergewalt“ gesprochen und die öffentlich-rechtlichen Medien als „Propagandaapparat“ im Stil der früheren DDR-Nachrichtensendung „Aktuelle Kamera“ bezeichnet.

Sayn-Wittgenstein meinte in ihrer Pressemitteilung, dass „Millionen illegal Eingereister unser Rechtssystem vorführen und unsere Kultur, die wir in Jahrhunderten erschaffen haben, verachten und zerstören“. Nach Gewaltverbrechen in Kandel und Offenburg stehe mit Chemnitz eine dritte Stadt „symptomatisch für eine verfehlte Politik und Propaganda, die uns importierte Vergewaltigungen und Tötungen als Einzelfälle verkaufen will“.

AfD spricht im Landtag von "Lügenpresse"

Im Parlament nahm Sayn-Wittgenstein ihre Vorwürfe nicht zurück, im Gegenteil. In ihrem knapp eine halbe Minute dauernden Redebeitrag warf sie den Politikern der anderen Parteien vor, kein Wort zu finden für Morde, für die sie - die Parteien - die politische Verantwortung trügen. „Wer in der Demokratie schläft, wacht in der Diktatur auf“, beendete die AfD-Politikerin ihren kurze Rede. AfD-Fraktionschef Nobis hielt den öffentlich-rechtlichen Medien vor, gezielt falsch über die Vorgänge in Chemnitz zu berichten. Hetzjagden auf Demonstranten seien bisher nicht belegt. Er sprach von „Lügenpresse“ und verglich wie Sayn-Wittgenstein die öffentlich-rechtlichen Medien mit der „Aktuellen Kamera“ zu DDR-Zeiten.

„Die AfD lässt ihre Maske fallen, die ohnehin locker saß“, sagte FDP-Fraktionschef Christopher Vogt. Der Vergleich der heutigen Medien mit der DDR bedeute eine Verharmlosung des SED-Regimes. CDU-Fraktionschef Tobias Koch betonte, die Aktuelle Stunde, die der AfD Aufmerksamkeit verschaffe, habe dennoch Sinn gemacht, da man jetzt wisse, wo die AfD-Fraktion stehe - in der Nähe zu Neonazis. Der Grünen-Politiker Lasse Petersdotter machte die AfD dafür mitverantwortlich, dass Journalisten inzwischen gewalttätig angegriffen würden. Er warnte auch vor Gleichgültigkeit, man dürfe die AfD nicht einfach gewähren lassen. Stegner verlangte eine Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz.

Landtagspräsident muss mehrfach eingreifen

Landtagspräsident Klaus Schlie griff dreimal in der Debatte ein. Nach der Rede von Nobis sagte Schlie, „den Begriff der Lügenpresse halte ich für dieses Parlament für unangemessen“. Zu Stegners Vorwürfen an die beiden AfD-Politiker meine Schlie, es sei problematisch, ihnen persönlich Rechtsextremismus vorzuwerfen. Und Äußerungen des AfD-Abgeordneten Frank Brodehl kommentierte Schlie, es sei besser, wenn er den Redebeitrag beende, er sei dieses Hauses nicht würdig.

Nach der Aktuellen Stunde schrieb Stegner einen Brief an Schlie. „Ich halte Ihre Bewertung meiner Ausführungen - gerade im Kontext der heutigen Debatte - für unangemessen.“ Die Abgeordnete von Sayn-Wittgenstein habe behauptet, „die demokratischen Parteien, mithin wir Abgeordnete der demokratischen Fraktionen dieses Landtages, seien „politisch verantwortlich“ für Morde und Vergewaltigungen und Deutschland sei auf dem Weg in eine Diktatur.“

Nobis habe sich anschließend ausdrücklich zu den Ausführungen seiner Fraktionskollegin bekannt und ferner behauptet, in Deutschland gebe es keine freie Presse mehr, sondern eine von den „Systemparteien“ gelenkte „Lügenpresse“. „Wenn solche Äußerungen vor dem Parlament nicht als die Haltung von Rechtsextremisten bewertet werden dürfen, dann Herr Präsident, haben wir in der Tat ein unterschiedliches Verständnis von den Grundwerten unserer freiheitlichen Demokratie“ schrieb Stegner. „Das würde ich sehr bedauern.“

( dpa )