Schleswig-Holstein

Wie gefährlich ist der Bohrschlamm im Norden?

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Matthias Popien
Diese Förderpumpen stehen im Ölfeld Rühle im Emsland - Niedersachsen hat massive Probleme mit Altlasten

Diese Förderpumpen stehen im Ölfeld Rühle im Emsland - Niedersachsen hat massive Probleme mit Altlasten

Foto: dpa Picture-Alliance / Ingo Wagner / picture alliance / dpa

Nach Niedersachsen untersucht jetzt auch Schleswig-Holstein, ob im Boden Umweltrisiken schlummern.

Kiel.  Auch in Schleswig-Holstein wurden in den vergangenen Jahrzehnten Bohrschlämme abgekippt. Dem Landesumweltministerium sind rund 100 Verdachtsflächen bekannt. 13 liegen in Trinkwassereinzugs- oder in Wasserschutzgebieten. Das geht aus der Antwort auf eine Kleine Anfrage des Landtagsabgeordneten Patrick Breyer (Piraten) hervor. Schon seit Längerem ist bekannt, dass in Niedersachsen solche Bohrschlammgruben existieren. Dort gibt es rund 500 Verdachtsflächen.

Unklar ist, wie gefährlich die Schlämme sind, die beim Bohren nach Erdöl oder Erdgas entstehen. Der Kieler Umweltminister Robert Habeck (Grüne) sagt: „Ölrückstände können Potenzial haben, die Umwelt zu gefährden, in vielen Fällen aber dürfte von den Bohrschlammgruben gar keine Umwelt­gefahr ausgehen, da das abgelagerte Bohrgut keine Verunreinigung aufweist.“ Eine Beeinträchtigung des Trinkwassers schließt er aus. „Das wird regelmäßig beprobt“, sagt Habeck.

Der Piraten-Abgeordnete Patrick Breyer hält dagegen. „Ob Ablagerungen das Wasser, die Umwelt oder die Gesundheit gefährden, ist bis heute nicht geprüft“, sagt er. „Aus anderen Bundesländern ist aber bekannt, dass Öl- und Bohrschlamm giftige und krebserregende Stoffe enthalten.“

Über viele Ablagerungen ist Gras gewachsen

Sowohl Breyer als auch Habeck sind bei ihren Aussagen auf Vermutungen angewiesen. Denn die schleswig-holsteinischen Schlammgruben sind längst nicht mehr aktiv. Über viele Ablagerungen ist Gras gewachsen, vielerorts weiß man nicht einmal mehr, dass dort überhaupt einmal Schlamm im Boden vergraben wurde. Erdöl wird in Schleswig-Holstein derzeit hauptsächlich im Meer gefördert. Die Plattform „Mittelplate“ vor Friedrichskoog holte allein 2013 rund 1,445 Millionen Tonnen Öl aus dem Untergrund – etwa 95 Prozent der schleswig-holsteinischen Jahresproduktion. An Land fällt also kaum Bohrschlamm an.

Die Gruben sind vielmehr eine Hinterlassenschaft der industriellen Vergangenheit. Einige sind schon vor 60 oder 70 Jahren geschlossen worden, eine behördliche Dokumentation ist in vielen Fällen gar nicht mehr vorhanden. „Das ist Detektivarbeit“, sagt Nicola Kabel, Pressesprecherin des Umweltministeriums.

In Schleswig-Holstein gibt es mehr als 10.000 Altlastenverdachtsflächen. Die Behörden stehen also vor einer Mammutaufgabe. Jede Fläche muss aufwendig überprüft werden. Die Bohrschlammgruben sind vor etwa zwei Jahren in den Fokus des Kieler Umweltministeriums gerückt – eine Folge der Berichterstattung über Niedersachsens ungleich größere Schlammprobleme. „Nach Aufarbeitung der verfügbaren Unterlagen ist eine Liste von über 100 Verdachtsflächen erstellt worden, auf denen sich möglicherweise Bohrschlammgruben befinden“, sagt die Pressesprecherin Kabel. Nächster Schritt sei, dass das Ministerium einen externen Gutachter damit beauftragen werde, die Flächen systematisch zu überprüfen. „Ziel ist es, diejenigen herauszufiltern, bei denen sich der Verdacht auf Bohrschlammgruben konkretisiert“, sagt Nicola Kabel. „Bei vielen Stand­orten kann schon allein aufgrund der kurzen Betriebszeiten und vorliegender Hinweise auf den Verbleib des Bohrguts eine Gefahr ausgeschlossen werden.“

Umweltschützer sind da wesentlich besorgter. In einem offenen Brief hatten sich im März unter anderem der Nabu und der BUND an die Umweltminister der Länder gewendet. In dem Schreiben heißt es: „Angesichts der drohenden Gefahren für die menschliche Gesundheit und die Umwelt durch Bohrschlammgruben ist eine schnelle und sichere Sanierung nach den höchsten Schutzstandards zwingend erforderlich. Es liegt auch in Ihrem Interesse, hier für Klarheit über die Anzahl und die Standorte der Verdachtsflächen zu sorgen.“

Illegal war der laxe Umgang mit dem Schlamm offenbar nicht. Die Unternehmen hielten sich an die gesetzlichen Bestimmungen, die damals galten. Der Umweltschutz spielte vor 50 oder 60 Jahren eine weitaus geringere Rolle als heute. In Niedersachsen, wo seit etwa 1850 Erdöl und Erdgas gefördert werden, war es bis in die 60er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts üblich, neben jeder Tiefbohrung eine Grube anzulegen, in die dann der Bohrschlamm geleitet wurde. Erst in späteren Jahren ging man dazu über, zentrale Sammelstellen zu schaffen. Heute muss Bohrschlamm auf speziellen Deponien entsorgt werden.

Die Debatte um die Hinterlassenschaften der Erdölindustrie und die Schlammbeseitigung dürfte auch den Protest der Angeliter weiter befeuern. In dem Landstrich zwischen Kappeln und Flensburg ist schon seit drei Jahren ein Erdölunternehmen dabei, nach dem schwarzen Gold zu suchen. Besorgte Bürger, die die Förderung verhindern wollen, haben dem Umweltminister Robert Habeck unlängst 6000 Unterschriften überreicht. Habeck sind indes die Hände gebunden. Beim Erdöl gilt Bergrecht. Für Genehmigungsverfahren ist dann nicht das Land, sondern das in Niedersachsen ansässige Bergbauamt zuständig.