Übergriffe auf Mädchen

Peinliches Wirrwarr um Vorfälle im Kieler Einkaufszentrum

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Das Einkaufszentrum Sophienhof in Kiel: Fand hier eine massive sexuelle Belästigung von jungen Frauen statt?

Das Einkaufszentrum Sophienhof in Kiel: Fand hier eine massive sexuelle Belästigung von jungen Frauen statt?

Foto: Andre Klohn / dpa

Weder Fotos noch Videos der 15- bis 17-Jährigen ließen sich auf den Smartphones der Verdächtigen finden.

Kiel. Junge Mädchen im Kieler Einkaufszentrum „Sophienhof“ von einem „Männer-Mob“ bedrängt, massiv belästigt und verfolgt: So machte der Fall Ende Februar bundesweit Schlagzeilen - gestützt auf offizielle Angaben der Polizei. Gegen die beiden Hauptverdächtigen wird wegen Widerstands gegen Polizisten, Körperverletzung und Beleidigung ermittelt. Unklar ist, ob noch Beleidigung beziehungsweise Nötigung der Mädchen hinzukommt. Jetzt rückt die Informationspolitik der Polizei in den Blickpunkt - denn die Ermittler haben neue Erkenntnisse zu den beiden 17 Jahre alten Afghanen.

Zwar werteten die Beamten rund 40.000 Bilddateien aus. „Auf ihren Mobiltelefonen wurden aber weder Filme noch Videos von den Mädchen sichergestellt“, sagt Oberstaatsanwalt Axel Bieler. Das hatte bei der Polizei zunächst ganz anders geklungen.

Zwei Afghanen hätten drei Mädchen im Alter von 15 bis 17 Jahren im „Sophienhof“ belästigt, gefilmt und verfolgt, hieß es damals. Bis zu 30 Männer hätten die Mädchen verfolgt. Die Polizei stellte dies in ihrer damaligen Mitteilung als Tatsache dar. Viele empörten sich, auch Innenminister Stefan Studt (SPD), sich auf die Informationen der Polizei verlassend.

„Damit hat sie mit dem rechtsstaatlichen Grundsatz gebrochen, dass erst der Richter die tatsächliche Schuld feststellt und nicht die Polizei, die stets belastende und entlastende Fakten gleichfalls ermitteln muss“, sagt der Kieler Krisenforscher Frank Roselieb zur ursprünglichen Darstellung der Polizei. Dass jede Korrektur in diesem Fall große Beachtung finde, liege an der „anfänglichen, etwas missglückten Pressemitteilung“ der Beamten.

"Erschreckende Pannenserie"

Zwar hatte die Polizei ihre Darstellung des Geschehens in dem Einkaufszentrum bereits wenige Tage nach den Vorfällen abgeschwächt und auch den Fund von Bildern der Opfer dementiert. Der stellvertretende Landespolizeidirektor Joachim Gutt sprach aber Anfang März am Rande des Innen- und Rechtsausschusses im Landtag dann doch davon, es seien Fotos der Opfer gefunden worden. Nun muss er einräumen, dass diese nicht die betreffenden Mädchen zeigten. „Die Vorwürfe sind deshalb aber nicht haltlos, es wird weiter ermittelt gegen die beiden Täter“, sagt er. Auch die Belästigungsvorwürfe seien „noch nicht ganz vom Tisch, immerhin“.

Von einer „erschreckenden Pannenserie“ der Ermittler spricht der FDP-Innenpolitiker Ekkehard Klug. „Hoffentlich läuft das nicht noch weiter nach dem Motto „Fortsetzung folgt".“ Dass im Laufe der Ermittlungen neue Erkenntnisse zum Tatgeschehen auftauchen, findet der CDU-Innenpolitiker Axel Bernstein nicht ungewöhnlich. Sein Grünen-Kollege Burkhard Peters betont dagegen: „Die neuen Erkenntnisse zu den Vorfällen im Sophienhof zeigen einmal mehr, dass wir uns nicht von Hektik leiten lassen sollten.“

In der Kritik steht auch die Presse. Politik und Medien dürften „die Polizei nicht zu vorschnellen Äußerungen treiben“, warnt Krisenforscher Roselieb. „Wenn die Auswertung von Handys mehrere Wochen dauert, dann wird eben auf die laufenden Ermittlungen verwiesen und nicht mehrdeutig in Ausschüssen von „gefundenen Fotos" gesprochen.“

"Kollektives Versagen" der Journalisten

Der Kieler Medienexperte Jörn Radtke spricht von „kollektivem Versagen“ der Journalisten. „Es ist unglaublich, wie die Berichterstattung in den deutschen Medien vor und nach den Vorfällen in der Silvesternacht in Köln auseinanderdriftet.“ Bis dahin sei weitgehend ein positives Bild der Flüchtlinge vermittelt worden. Danach sei vornehmlich negativ berichtet worden. „Und davon lässt sich offenbar teilweise auch die Polizei unter Druck setzen.“ Das erkläre auch, dass in einer Pressemitteilung Vorwürfe in Tatsachenform berichtet würden.

Die Gewerkschaft der Polizei verweist mit Blick auf die Öffentlichkeitsarbeit der Beamten auf einen „Spagat zwischen dem sofortigen öffentlichen Informationsanspruch und der Gefahr einer frühen und damit möglicherweise nicht vollständigen Bekanntgabe von Sachständen“. Erfahrungsgemäß ließen sich die wahren Begebenheiten oft erst im Laufe von Ermittlungsverfahren aufklären, sagt Specher Karl-Hermann Rehr. Die SPD-Innenpolitikerin Simone Lange appelliert deshalb: „Die Öffentlichkeit sollte akzeptieren, dass Ermittlungen ihre Zeit brauchen. Schnellschüsse gehen manchmal auch nach hinten los.“

( dpa )