Die Kreisstadt hat knapp 60 Millionen Euro Schulden. Als erste Kommune Schleswig-Holsteins könnte sie zahlungsunfähig werden.

Bad Segeberg. 58,4 Millionen Euro Schulden, die Kreditrahmen ausgeschöpft, weitere Kredite werden nicht genehmigt: Bad Segeberg steht kurz vor der Pleite. Die 16.000 Einwohner zählende Kreisstadt nördlich von Hamburg könnte als erste Kommune in Schleswig-Holstein zahlungsunfähig werden. Ändert sich nichts, kann die Stadt in zwei Jahren die Gehälter ihrer Mitarbeiter nicht mehr zahlen.

Der finanzielle Verfall der Stadt, die bundesweit durch die alljährlich stattfindenden Karl-May-Spiele bekannt ist, begann schleichend. Vor zehn Jahren hatte die Stadt 16,6 Millionen Euro Schulden, heute sind es mehr als dreimal so viel. Bürgermeister Dieter Schönfeld stapelt tief: "Es ist eine schwierige Situation."

Vor drei Jahren hatte der Verwaltungschef seinen Posten im Segeberger Rathaus angetreten, seitdem bemüht er sich, die Misere zu verwalten. Keine einfache Aufgabe: Seit 1999 ist es der Stadt nicht gelungen, auch nur einen einzigen Haushalt auszugleichen. Schönfeld, der vorher 18 Jahre Bürgermeister in der schleswig-holsteinischen Gemeinde Gettorf war, erlebt eine derartig prekäre Finanzsituation zum ersten Mal. Seine Vorgänger haben ihm ein Erbe hinterlassen, das von den heutigen Politikern als "haarsträubend" bezeichnet wird. Und doch haben viele der aktuellen Stadtvertreter eine Mitschuld.

Sie stimmten zu, als die Mittelzentrumsholding Bad Segeberg/Wahlstedt 2007 das Spaßbad FehMare auf der 80 Kilometer entfernten Insel Fehmarn übernahmen. 2006 hatte Fehmarn der Holding ein Gutachten vorgelegt, in dem jährliche Gewinne von durchschnittlich 75.000 Euro in Aussicht gestellt wurden. Tatsächlich wurde es jedes Jahr das Zehnfache - an Verlusten. Die erhofften Besucherzahlen wurden nie erreicht, die Städte Wahlstedt und Bad Segeberg mussten tief in ihre leeren Taschen greifen, um die Schulden aus dem abenteuerlichen Engagement in Fehmarn auszugleichen: 3,5 Millionen Euro zahlte die Stadt Bad Segeberg, um das Insolvenzverfahren für die Holding abzuwenden. Inzwischen gibt es einen Sanierungsvergleich zwischen Bad Segeberg, Wahlstedt und Fehmarn. Rückwirkend zum 27. Februar hat Fehmarn das Spaßbad übernommen. Das schleswig-holsteinische Innenministerium hatte als Kommunalaufsicht beim Zustandekommen des kommunalen Abenteuers, das in Deutschland beispiellos sein dürfte, beide Augen fest zugedrückt. Der Steuerzahlerbund prangert das Desaster in seinem Schwarzbuch 2012 an.

Aber auch sonst gingen die Segeberger leichtfertig mit ihren Finanzen um. So verliert die Stadt jährlich 700.000 Euro aus dem Betrieb eines stadteigenen Pflegeheims. Für das 70-Betten-Haus, das vor wenigen Jahren aufwendig renoviert wurde, wird jetzt eine Betreibergesellschaft gesucht. Im europäischen Amtsblatt Tender Electronic Daily (TED) steht das Angebot der Stadt Bad Segeberg. Interessenten sind jederzeit herzlich willkommen.

Bürgermeister Schönfeld rechnet vor, dass seit 1999 rund 15 Millionen Euro Verlust eingefahren wurden, weil die Stadt auf Einnahmen verzichtet hat: keine Parkgebühren, keine Fremdenverkehrsabgaben, keine Zweitwohnungssteuer, niedrige Grundsteuern. Segebergs Bürger leben in einer Art Schlaraffenstadt. Das rächt sich jetzt.

Zwei Millionen Euro müsste die Stadt für Schulerweiterungen ausgeben - geht nicht, weil kein Geld vorhanden ist. Die Finanzaufsichtsbehörden genehmigen keine neuen Investitionskredite. Damit hat sich die Situation noch einmal verschärft: Ausgaben für die Bildung der Kinder konnten bisher noch immer irgendwie realisiert werden.

Thomas Vorbeck (CDU), Vorsitzender des Finanzausschusses, geht derzeit mit hängenden Schultern in die politischen Sitzungen. "Ich bin in ganz großer Sorge um die Stadt", sagt er. Er weiß, dass es trotz einer neu gegründeten Kreisgesellschaft zur Wirtschaftsförderung kaum gelingen wird, größere Industriebetriebe und damit Gewerbesteuerzahler in die beschauliche Stadt am Fuße des Kalkbergs zu locken.

Das Land Schleswig-Holstein erwartet von der Kreisstadt, die schon lange zu den 17 ärmsten Kommunen des Landes gehört, erhebliche Anstrengungen, um das endgültige finanzielle Aus zu verhindern. Deshalb haben sich Politik und Verwaltung zusammengesetzt und einen Konsolidierungsplan erarbeitet, der bis zum 15. Oktober auf dem Schreibtisch des Innenministers liegen muss.

Sollte er den Minister und seine Mitarbeiter zufriedenstellen, kann Bad Segeberg auf Finanzhilfen hoffen. Bestandteil des Konzepts, das unter den Politikern nicht unumstritten ist, sind die Auflösung des kostspieligen Stadtmarketings, die Einstellung der Soleförderung, die Erhebung einer Fremdenverkehrsabgabe, die Erhöhung der Grundsteuern und die Erhöhung der Parkgebühren. Heute Abend entscheidet das Stadtparlament über das Konzept zur Konsolidierung der Finanzen.

Bürgermeister Schönfeld rechnet mit rund 400.000 Euro zusätzlichen Einnahmen pro Jahr. Auch er geht mit gutem Beispiel voran und hat die Stadtverwaltung schlanker gemacht: Im Rathaus wurden vier vakante Führungspositionen nicht wieder besetzt. Hinzu kommt die Absicht, stadteigene Grundstücke zu verkaufen. All diese Maßnahmen ändern für Dieter Schönfeld aber nichts daran, dass die Städte und Gemeinden die schwächsten Glieder in der Kette sind. "Von oben", von Bund, Land und Kreis, würden Aufgaben aufgebürdet - ohne finanziellen Ausgleich.