Die Tiere rücken im Kreis Pinneberg bis an die Hamburger Stadtgrenze vor. Maisfelder und Europas größtes Baumschulgebiet sind in Gefahr.

Lutzhorn. Prächtig steht der Mais in diesem Jahr, mit mehr als zwei Meter Höhe überragt er sogar Landwirt Mathias Kröger - und der ist immerhin 1,92 Meter groß. Der Lutzhorner baut auf mehr als 200 Hektar im Norden des Kreises Pinneberg Feldfrüchte für seine 350 Rinder und für die Biogasanlage an. "Die Ernte dürfte gut ausfallen", sagt Kröger.

Und Mais ist nicht nur bei Kröger erste Wahl. Im Kreis Pinneberg ist jeder dritte Hektar Ackerland mittlerweile mit Mais bestückt, das entspricht rund 6000 Hektar. Doch der üppige Mais auf Krögers Feldern überragt nicht nur den Landwirt, er bietet auch Wildschweinen optimalen Schutz, Lebensraum und vor allem reichlich Nahrung. Das Schwarzwild gedeiht mindestens ebenso hervorragend wie die Frucht aus Mexiko, und das wird im Kreis zunehmend zum Problem. Wenn Kröger durch seine Felder streift, entdeckt er immer wieder Schneisen der Verwüstung, dabei hat er sogar Elektrozäune um die Felder gespannt. Doch auch das hilft nur bedingt - "denn die Sau ist verdammt schlau", sagt er.

Hatten sich die Tiere bisher vor allem im Norden des Kreises, dem Hauptanbaugebiet für Mais, vermehrt, rücken sie nun in die Mitte und den Süden bis an die Hamburger Stadtgrenze vor, warnt Hans-Albrecht Hewicker, Naturschutzbeauftragter des Kreises Pinneberg und Vorsitzender der Kreisjägerschaft. Damit sei nicht nur das größte zusammenhängende Baumschulgebiet Europas in Gefahr. Es könne auch vermehrt zu Unfällen mit Wildschweinen kommen. Zudem steige auch die Gefahr einer Schweinepest.

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Die Warnungen der Jäger kommen nicht von ungefähr, denn sie müssen für Wildschäden, die beispielsweise bei einem Landwirt auftreten, im Zweifel sogar mit ihrem Privatvermögen haften. Deshalb mobilisieren sie gegen die Tiere alle Mittel. Wurden in den 1960er-Jahren noch rund 700 Tiere in Schleswig-Holstein erlegt, waren es in der vergangenen Jagdsaison 16 000. Doch die Population dürfte dadurch nicht sonderlich beeinträchtigt worden sein, Hewicker schätzt die Zahl der Tiere auf mindestens 60 000. "Eine Zahl, die sich binnen eines Jahres verdreifachen kann", sagt er. Wie hoch der Bestand tatsächlich ist, vermag niemand so recht zu sagen.

Bisher waren sich Jäger und Landwirte über geeignete Strategien zur Eindämmung der Plage meist uneinig. Angesichts der Lage demonstrieren sie nun Geschlossenheit.

Bauernverband und Jagdverbände wollen gemeinsam agieren. Ihr Ziel: mehr Jagdschneisen in den Feldern. Die Methode ist effektiv: Auf Streifen im Feld werden entweder niedrige Ackerpflanzen oder Feldblumen angebaut, im Zweifel bleibt die Fläche unbewirtschaftet. Am Ende steht ein Hochsitz für Jäger, die die Tiere erlegen.

In zahlreichen Modellprojekten ist diese Form der Wildschweinbekämpfung bisher schon erfolgreich getestet worden, doch bisher sei eine großflächige Ausdehnung dieser freiwilligen Maßnahme an "zu kleinen Fördertöpfen und zu starren Richtlinien" gescheitert, klagen jedenfalls die Verbände. Denn trotz Zuschüssen der Europäischen Union verdient ein Landwirt durch den Ernteausfall unterm Strich weniger.

Auch in Schleswig-Holstein gibt es einen Fördertopf für Blühstreifen, doch der ist laut Bauernverband längst aufgebraucht. Außerdem verpflichte sich ein Landwirt dazu, die Fläche für fünf Jahre unangetastet zu lassen. Viel zu unflexibel, klagen die Bauern. Dabei halten sie die Blühstreifen eigentlich für eine gute Sache, nicht nur aus Jagdgründen. Breitere Streifen hin zu Straßen würden die Verkehrssicherheit deutlich erhöhen. Denn falls eine Horde Wildschweine aus einem Maisfeld auf die Straße liefe, hätten Autofahrer bisher kaum eine Chance auszuweichen, sagt Peer Jensen-Nissen, Geschäftsführer des Kreisbauernverbands.

"Wir brauchen deshalb einen Schadensausgleich für Jagd- und Blühschneisen, der angesichts der Wildscheinplage und ihrer Bedeutung für die Landwirtschaft, für den Verkehr und damit auch für die Sicherheit der Menschen angemessen ist", so Jensen-Nissen. Weniger Maisanbau, wie von Umweltverbänden gefordert, ist für ihn kein probates Mittel. "Außer der Pflanzenhöhe ist nichts gegen die Pflanze einzuwenden. Sie gedeiht prächtig, bindet viel CO2, ist unkompliziert und ertragreich", sagt Jensen-Nissen.

Bisher jedoch sind Jagd- und Blühstreifen keine Leuchtturmprojekte, sondern nur kleine Aktionen - das gilt auch für den Kreis Pinneberg. Von 40 000 Hektar landwirtschaftlich genutzter Fläche entfallen nur 70 Hektar auf "Ackerlebensräume".

Landwirt Mathias Kröger will nicht auf die Politik und auf deren Fördergeld warten. Er hat bisher schon sechs Schneisen für die Jäger auf seinen Maisfeldern angelegt. "Wenigstens ein Anfang ist gemacht", sagt der Landwirt. Und immerhin zwei Wildschweine seien in diesem Jahr dank dieser Schneisen auch schon geschossen worden, fügt der Landwirt hinzu.