Wedel

Am Frauentag sind Männer nicht erwünscht

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Ayse (links) und Studentin Erica gehören zu den regelmäßigen Gästen beim Frauenfrühstück in der Villa.

Ayse (links) und Studentin Erica gehören zu den regelmäßigen Gästen beim Frauenfrühstück in der Villa.

Foto: Laura Kosanke

Die Villa in Wedel Frauen verschiedenster Nationen einmal in der Woche an einen Frühstückstisch. Welches Angebot sich dahinter verbirgt.

Wedel.  Es klimpert. Eine Frau nach der anderen wirft ein paar Münzen in den weißen Porzellanbecher, der auf dem Frühstückstisch steht. Eine Stimme unterbricht das Klimpern. „Wer möchte ein Brötchen essen?“, ruft eine Frau aus der Küche hinter dem Gemeinschaftsraum. Alle wollen. Schließlich haben sie sich zum „Frauenfrühstück“ in der Villa in Wedel verabredet – das erste Mal wieder seit Ausbruch der Corona-Pandemie.

Seit Ende des Lockdowns haben sich die Frauen auch in der Villa treffen dürfen, nur eben ohne Brötchen. Aber die gehören mittwochs einfach dazu, dafür sammeln sie ihre Münzen im Becher. Ihr Klimpern läutet den wöchentlichen „Frauentag“ ein. Männer verboten!

Für viele ist das eine Zeit, um mit Freundinnen zu klönen. Andere kommen, um sich von Leiterin Mareike Jaeger und ihrem Team in Sachen Bewerbung, Integration und anderen Alltagsproblemen coachen zu lassen.

Probleme werden im Büro der Leiterin besprochen

Um Frühstück und Beratung unter einen Hut zu bekommen, wirbelt Mareike Jaeger durchs Haus: Sie kocht Eier, beschmiert Brote mit Marmelade, telefoniert mit Behörden, grüßt und geht mit zwei der neuen Teilnehmerinnen in ihr Büro. Dort bespricht die Leiterin die Probleme der Frauen und sucht nach Lösungen. „Manchmal rufe ich nur beim Arzt an, weil die Deutschkenntnisse noch nicht ausreichen“, sagt sie. „Im Beratungsgespräch kommen wir aber auch auf ganz andere Themen zu sprechen: Verhütung, Testament, psychologische Hilfe: Alles ist dabei. Wo ich nicht helfen kann, verweise ich auf Experten.“

Das Frauenfrühstück soll den Schritt zur Beratung einfacher gestalten: In erster Linie wird gefrühstückt und geklönt, wer aber will, kann mit Mareike in ihr Büro gehen.

Während die beiden Neuankömmlinge beraten werden, reden die Frauen im Gemeinschaftsraum durcheinander. Erica schaut sich das Treiben an und lehnt derweil mit dem Rücken zur Küche an der hohen Theke; ihren Nachnamen behält sie für sich. Sie möchte nur kurz frühstücken, weil sie für ihr Jura-Studium an der Universität Hamburg lernen muss. Das macht sie fast jeden Tag, aber am liebsten mittwochs. „Ich finde es toll, dass nur Frauen hier sind. Mir gefällt die Atmosphäre“, sagt sie.

Als sich der Trubel im Gemeinschaftsraum legt und alle am Tisch sitzen, geht Erica in die Küche. Sie schmiert sich ein Brötchen mit vegetarischem Wurstersatz, setzt sich zu den anderen und isst. Später verabschiedet sie sich und verschwindet in den Lernraum im ersten Stock. Hier kann sie lernen und ihre Hausarbeit schreiben – heute ungestörter als sonst, weil sie den Raum wegen des Männerverbots ganz für sich allein nutzen kann. Hier hat sie schon ihre erste Hausarbeit geschrieben, die Mareike auf Sprachfehler gegengelesen hat. Die Studentin spricht nämlich muttersprachlich Ewe – eine Kwa-Sprache, die unter anderem im südlichen Togo gesprochen wird.

Über die Jahre hat die Villa rund 40 Nationalitäten beim Frauenfrühstück vereint. Anfangs hielten sich vor allem Türkinnen und Deutsche im Gemeinschaftsraum auf. Für sie ist der Frauentag vor 30 Jahren auch einberufen worden. Damals war Ute Tautz verantwortlich für das Angebot. Ihr ist aufgefallen, dass vor allem türkische Frauen nicht allein weggehen durften, sich kaum integrieren und Deutsch lernen konnten. Mit dem Frauenfrühstück konnte Ute Tautz den Austausch mit Gleichgeschlechtlichen ermöglichen.

Leiterin empfindet Angebot auch heute als notwendig

Villa-Leiterin Mareike Jaeger sagt, vereinzelt herrschen solche Verhältnisse auch noch heute. Die Nationalität ist egal. „Eine deutsche Frau wollte sich mit mir fotografieren lassen, weil ihr Mann sonst nicht geglaubt hätte, dass sie hier war.“ Deshalb empfindet die Leiterin das Angebot auch noch heute als notwendig – einerseits für Frauen, deren Männer keine außerfamiliäre, männliche Gesellschaft erlaubt, andererseits für Frauenhaus-Bewohnerinnen.

Ayse hat vor mittlerweile 15 Jahren im Frauenhaus gelebt, sie nennt nur ihren Vornamen. Durch die Frauenangebote in der Villa hat sie Halt gefunden. „Als ich gerade aus Stuttgart hergezogen bin, habe ich niemanden gekannt. Aber hier habe ich Liebe und Zuneigung erfahren. Ich bin hier Zuhause, das ist einfach toll.“

Schon lange wohnt sie nicht mehr im Frauenhaus, sucht in diesem auch keine Beratung mehr, denn sie ist in Norddeutschland angekommen. Die Wedeler Villa besucht sie trotzdem noch regelmäßig. Sie sagt: „Manche kommen und gehen. Aber ich bleibe. Das ist für mich wie ein Zuhause.“

Am vergangenen Mittwoch ist Ayse nur kurz in der Wedeler Villa. Sie hat an diesem Tag noch einen anderen Termin. Als sie beim Aufbruch ihre Jacke sucht, wird sie von einer Frau aufgehalten: „Ayse, hast du mal Zeit, mit mir nach einer Wohnung zu schauen?“ „Wann denn?“, fragt sie. Die Frau antwortet auf Türkisch. Ayse nickt und geht zurück zum Tisch. Dann wirft sie ein paar klimpernde Münzen in den Porzellanbecher. Das hat sie bei ihrer Ankunft in der Villa vergessen.

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