EU-Verordnung zur Pferde-Identifizierung stößt wegen Verletzungsgefahr auf Kritik. Alternative bleibt der traditionelle Schenkelbrand

Elmshorn . Es ist keine Szene aus einem Westernfilm: Ein glühend heißes Eisen wird einem Fohlen blitzschnell binnen einer Sekunde auf den Schenkel gedrückt. Es raucht ein wenig, das Fohlen ist nun mit einem Brandzeichen gekennzeichnet. So ist es seit Jahren üblich und bis Mitte August auch bundesweit der Alltag bei deutschen Zuchtställen- und -Verbänden. An diesem Brandzeichen können Pferdeexperten erkennen, aus welchem Zuchtgebiet das jeweilige Tier stammt. Ein wichtiges Merkmal, wenn es um den Verkauf der Pferde geht. Sportpferde deutscher Zucht sind Exportschlager, werden mitunter für Millionenbeträge gehandelt.

Um Verwechslungen beim Schenkelbrand auszuschließen, ist eine Dreifachabsicherung nötig (siehe Infokasten). Die Haare von jedem Holsteiner Fohlen sind in einem Institut hinterlegt. „Menschen machen Fehler, ein Tierarzt kann das bestellte Sperma im Stress auch mal verwechseln“, erklärt Jan Lüneburg, Präsident des Holsteiner Verbandes und Vater des zweifachen Derbysiegers Nisse Lüneburg (Hetlingen). Diese Art der genetischen Überprüfung ist bei den deutschen Verbänden freiwillig. „Beim Holsteiner Verband aber gilt: Wer die Vorgabe der Dreifachsicherung nicht erfüllt, bekommt keine Papiere ausgehändigt“, erklärt Thomas Nissen, Zuchtleiter und Geschäftsführer.

Tierschutzbund will ein Verbot des Schenkelbrandes

Die Alternative zum Brennen ist laut einer EU-Vorschrift das Chippen – aber gleichzeitig wieder Stein des Anstoßes in der deutschen Pferdezucht. Der „Marken-Heißbrand“ auf der einen Seite ist aus Sicht von Tierschutzverbänden und der Bundestierärztekammer nicht mehr zu vertreten. Es wurde für die Abschaffung des Heißbrandes gekämpft. Bundesrat, Politiker, Verbände, Chiphersteller liegen im Clinch: Brennen oder Chippen, was ist zeitgemäß oder überholt? Hersteller und Tierärzte profitieren zweifellos von der EU-Verordnung.

Ein Chip hat die Größe eines Reiskorns. Jedes deutsche Pferd „beginnt“ mit der Zahl 276 zusätzlich Lebensnummer, womit gewährleistet ist, dass der Vierbeiner in Deutschland geboren ist. Abstammung und Geburtsdatum sind hingegen nicht erfasst. „Das derzeitige Chippen ist unattraktiv, bei einer technischen Neuerung mit einem GPS-System, Krankheitserfassung, beziehungsweise Medikationen wäre es fachlich allerdings eine hochinteressante Sache,“ sagt Verbandsboss Lüneburg. Rumänien hält sich zum Beispiel nicht an die EU-Verordnung, gefährliche, längst ausgerottete Seuchen könnten über Umwege eingeschleppt werden. Ein Chip mit GPS-System und Medikationserfassung wäre machbar. „Wir sind mitten in der Entwicklungsphase und Forschung, um Transparenz zu schaffen, der Weg ist aber lang“, sagt der indische Chipforscher Prathep Puniyamorty aus Essen. Die Pferdezucht sei kompakter und komplizierter zu betrachten als bei Hunden oder Katzen.

Und so funktioniert das Chippen: Fachleute sprechen von Einpflanzungen. Die Wahrheit ist, dass laut Züchtern „reingeschossen“ wird, zuerst mit einer Art Spritze und Kanüle in die tiefere Muskulatur im oberen Halsbereich. Fettgewebe ist an dieser Stelle nicht vorhanden, das bedeutet ein höheres Schmerzempfinden für das Fohlen. „Das System ist von der EU nicht zu Ende gedacht, der Chip bringt uns keine Infos“, sagt Thomas Nissen, der in allen Körbezirken vor Ort ist. „Ein Fohlen blutete beim Einstich so stark, dass das Lesegerät nichts erkennen konnte.“ Unter Umständen wurde der Chip auch mit dem Blut herausgespült. Die Prozedur wurde daraufhin wiederholt, weil das besagte Fohlen nicht ruhig stehen blieb. Das Tier wollte aus dem Untersuchungsstand herausspringen, wurde dann am empfindlichen Ohr gepackt. „Nun hat das Fohlen zwei Identifikationsnummern“, sagt Springreiterin Mandy Smith aus Wedel.

Die Abiturientin Valentina Möhrle wollte sich selbst ein Urteil bilden und hat bei 13 Fohlen mitgeholfen – beim Brennen und Chippen. „Brennen ist ein aggressives Wort und wird falsch verstanden“, sagt sie. „Es dauert eine Sekunde, die Fohlen haben nicht gezuckt, es gab keine Brandblasen.“ Einige Züchter erlebten wiederum beim Chippen, dass Fohlen sich nicht am Hals anfassen ließen oder sogar in Panik vor Spritzen flüchten.

Wiener Professorin ist vom Chippen restlos überzeugt

Hunde und Katzen erhalten einen Chip direkt unter der Hautoberfläche. Pferde scheuern und kraulen sich mit einer ganz anderen Intensität als Kleintiere. Dennoch gibt es auch Befürworter des Chippens. Christine Aurich von der Veterinärmedizinischen Universität Wien forscht am Stress- und Schmerzempfinden der Vierbeiner. Körpertemperatur, Herzschlagfrequenz und Speichelproben werden auf den Stresshormonspiegel untersucht. Professorin Aurich: „Ich halte Chippen für eine perfekte Alternative, bei internationalen Rennpferden ist es ja längst üblich. Die deutschen Verbände stellen sich indes quer. Jedes Brandzeichen stellt doch einen eigenen Mercedesstern dar.“ Die Debatte um den Schenkelbranderhalt geht weiter. Er ist unverwechselbar, leicht rückverfolgbar und für jeden Laien auch ohne Hilfsmittel mit bloßem Auge effektiv zu lesen. Und er gilt als Markenzeichen mit weltweiter Bedeutung, egal ob in Kanada, Russland, USA oder China. Zudem gibt es weder ein welt- oder europaweit vernetztes Datenbanksystem fürs Chippen.

Die Diskussion, was Tierquälerei ist, gilt als heißes Thema. Taucht es auf, fragt man sich, warum die betäubungslose Ferkelkastration erst 2017 unter Narkose erfolgt.