Selbstversuch beim Hamburger Abendblatt: Vier Mitarbeiter stellen sich der schweißtreibenden Herausforderung bei den Prüfungen zum Deutschen Sportabzeichen.

Pinneberg. Die Reform des Deutschen Sportabzeichens kommt auf den Sportplätzen an. Auch in Pinneberg wird nun nach den neuen Leistungsnormen gerannt, geworfen, gelaufen und geschwommen. Doch sorgen die neuen Anforderungen für Ansporn oder Frust? Das wollten wir, die Abendblatt-Regionalredaktion Pinneberg, genau wissen. Redaktionsleiter Dirk Steinbach, 34, die Reporter Sarah Stolten, 20, Bernd-Olaf Struppek, 47, und der Verfasser dieses Artikels, 35, wagten an einem Trainingsabend bei der Halstenbeker Turnerschaft den Selbstversuch.

"Wie soll ich denn diese Zeit schaffen, Viola?", fragt eine junge Frau verzweifelt. "Und warum sind die Gruppen verändert worden?", schaltet sich ein älterer Mann ein. Es ist Donnerstagabend, kurz vor 18.30 Uhr, auf dem Sportplatz des Wolfgang-Borchert-Gymnasiums am Bickbargen. Hier bietet die Halstenbeker Turnerschaft die Abnahme des Deutschen Sportabzeichens an. Leichtathletik-Trainerin Viola Bornemann , 43, ist umringt von einer Gruppe Erwachsener, die sich wie ein nervöser Bienenschwarm gebärden. "Man muss das verstehen", sagt sie lächelnd. "Es herrscht noch große Unsicherheit. Auch wir werden bei der Umstellung improvisieren und mehr erklären müssen", fügt sie an.

Dann spricht sie mit Dirk Steinbach. Er hat vorgeschlagen, mit der Leistungsgruppe Schnelligkeit zu beginnen und jubelt nun vernehmlich. Da er dieses Jahr 35 wird, darf er schon in der Altersgruppe 35-39 starten. Nun muss er beim 100-Meter-Sprint nur noch 16 statt 15,3 Sekunden für Bronze laufen. Bernd-Olaf Struppek lässt sich derweil von Trainerin Bornemann erklären, dass er aufgrund seiner 47 Jahre nur 50 Meter laufen müsse. Somit bilden Dirk Steinbach, Sarah Stolten und ich jetzt ein Trio. Bornemann gibt uns beim Aufwärmen Tipps für die richtige Fußstellung und Körperhaltung beim Start. Sarah erhält sogar Spikes von ihr, da die HT noch welche in Schuhgröße 38 da hat. Ich kriege leider keine Vergünstigung. Immerhin sind Fans da. Katy Krause und Manfred Augener aus der Redaktion sind gekommen, um uns anzufeuern.

Trainerin hat ein Sonderlob für das Quartett parat

Danach spurten wir über die Bahn. Dirk holt Silber mit 13,8 Sekunden, Sarah (18,2) und ich (17,9) gehen leer aus. Sarah und ich versuchen es noch mal, erreichen die Zielzeiten wieder nicht. Bernd-Olaf schafft in seinem 50-Meter-Lauf mit 8,2 Sekunden gar die Goldmedaille. Nach neuem Punktesystem gibt es für Gold in einer Disziplin drei Punkte, für Silber zwei und für Bronze einen. Elf bis zwölf Punkte nach vier Disziplinen führen zu Gold, acht bis zehn Punkte zu Silber, vier bis sieben zu Bronze. Nun bin ich leicht demotiviert.

In irgendeiner Disziplin in den Genuss von Silber zu kommen, kann ich vergessen, also kriege ich heute Abend keine Medaille. Doch die Kollegen spornen mich an. "Geben Sie trotzdem alles. Seien Sie sportlich", sagt auch Bornemann. Ich sehe mich auf der Anlage um und finde, dass sie richtig liegt. Alle geben ihr Bestes. Inklusive der Prüfer, die wertvolle Arbeit leisten und viele Tipps geben.

Die Atmosphäre wirkt motivierend auf uns. Beim Medizinballweitwurf (Leistungsgruppe Kraft) kommen Sarah, Dirk und ich ebenso in den Medaillenbereich wie Bernd-Olaf beim Kugelstoßen. Beim Schleuderballweitwurf (Bereich Koordination) schaffe ich die für Bronze erforderliche Weite im achten Versuch ebenfalls. Eigentlich sind nur drei Versuche erlaubt, doch bei der Halstenbeker TS will man nicht päpstlicher sein als der Papst. Beim Weitsprung schafft Dirk sogar 4,74 Meter.

"Ihr macht das wirklich gut", sagt Bornemann und erklärt, dass sie manche Zusammenstellung der neuen Disziplinen nicht verstehe, zum Beispiel die Trennung von Medizinballweitwurf und Schleuderballwurf in Kraft und Koordination. Gerade für die älteren Teilnehmer werde es schwierig sein, die erhöhten Ziele zu erreichen. Das müsse zwar die Erfahrung zeigen, "aber ich hoffe nicht, dass sich ältere Sportler jetzt abschrecken lassen", so Bornemann. Was unseren Selbstversuch angeht, so würde sich für die 20- bis 50-Jährigen aber zeigen, dass mit etwas Training und Übung vieles möglich sei. Schließlich habe es in unserem Fall keine Übung gegeben, bei der eine Norm weit verfehlt wurde.

Zum Abschluss folgt der 3000-Meter-Lauf, den wir alle vier im Bereich Ausdauer gewählt haben. Unsere tapferen Fans, Katy und Manfred, kapitulieren vor der Kälte und verlassen die Anlage. Wir aber geben, gemeinsam mit acht anderen Läufern, noch einmal alles. Dirk spurtet locker um die Bahn, überrundet mich zweimal und kommt in 12,59 Minuten ins Ziel. Bernd (15:52) und Sarah (17,02) erreichen ebenfalls Gold, für mich (18,06) bleibt Bronze.

Gold allein sollte nicht das Maß der Dinge sein

Der Einlauf ist für uns alle ein Erlebnis. Unter dem Klatschen der anderen Sportler werden die Beine auf der Zielgeraden auf einmal ganz leicht.

Bei einem gemeinsamen Getränk mit Trainerin Bornemann wird schließlich eifrig gerechnet. Erst jetzt werden uns die Punkteregelungen so richtig bewusst. Dirk (zweimal Gold, zweimal Silber, zehn Punkte = Silber) fasst sich an den Kopf. "Mist, sechs Zentimeter an der Gesamtgoldmedaille vorbeigesprungen", ärgert er sich. Bernd-Olaf (zweimal Gold, einmal Silber, einmal Bronze, neun Punkte = Silber), in den 80er-Jahren aktiver 800-Meter-Läufer, erklärt, dass er mich in "nur drei Wochen Training zur Bronzemedaille im Sprint führen kann. Start, Körperhaltung, koordiniertes Laufen, schon sind zwei Sekunden gutzumachen."

Sarah (einmal Gold, einmal Bronze, vier Punkte = Bronze) freut sich über ihren tollen 3000-Meter-Lauf. Ich (dreimal Bronze = keine Medaille) nehme mir vor, bald wieder auf die Bahn zu kommen, um die 1,9 Sekunden aufzuholen, die mir zum Treppchen noch fehlen. Jeden zweiten Donnerstag im Monat von 18.30 bis 20 Uhr kann ich es wieder versuchen. In einem sind wir uns einig, zumindest was unsere Generationen betrifft: Wer auf Gold erpicht ist und jede andere Medaille als Rückschritt empfindet, dem wird etwas fehlen. Wer sich aber stetig verbessern will, für den ist die Reform des Deutschen Sportabzeichens der richtige Ansporn.