Unser Dorf: Eines der ältesten Dörfer des Landkreises wächst rasant - ob an Eigenheimen, im Kindergarten, der Schule

Tangstedt. "Sooooooo", sagt Detlev Goos. Der grau melierte Mann mit Seemannsmütze und Herrenschal wird respektvoll mit "Herr Bürgermeister" angesprochen. Goos nickt dann gern, findet ein paar plattdeutsche Worte. Dann ist auch gut. Er ist im besten Sinne bodenständig. Und dennoch gibt er jedem Einwohner das Gefühl, dass der wichtig sei, wenn er mit ihm spricht. Wer ihn sieht, der glaubt, er ist hier seit 30 Jahren der Mann des Dorfes. Dabei ist Goos erst seit drei Jahren in Amt und Würden, löste den CDU-Bürgermeister nach vielen Jahren ab.

Einige von der Union schmerzt das noch heute. Den Respekt, den er genießt, hat er sich über viele Jahre erworben. Bei der letzten Wahl im Ort holte seine FDP 55 Prozent der Stimmen. So einen Sieg gab es für die FDP in keiner anderen Gemeinde in Norddeutschland. Wer ihn darauf anspricht, dem antwortet er: "Wir haben wenig mit der Bundespartei am Hut. Wir machen hier Sachpolitik. Das wissen die Menschen". Guido Westerwelle, Ex-Parteichef, prägte den legendären Spruch: "Auf jedem Schiff, das dampft und segelt, gibt's einen, der die Sache regelt" - und das ist Goos, Tangstedts Steuermann.

Sein Dorf segelt hart am Wind, ist auf Wachstumskurs, legt zu.

In den neuen Wohngebieten haben einige Hamburger prächtige Häuser hingeklotzt. Die Nachfrage nach Grundstücken ist gigantisch, Anfragen von potenziellen Neubürgern trudeln ständig ein. Ihm geht das ein wenig zu schnell. Sein Zukunftskonzept lautet "Wachsen in Maßen". Einigen im Dorf passen das Neubaugebiet und die "Neuen" nicht, umgekehrt ebenfalls. Da gibt es das neue und das alte Tangstedt. "Das Zusammenwachsen, so etwas braucht seine Zeit", sagt Goos. Nirgends ist diese Unwucht deutlicher zu sehen als am alten Dorfweg zur Wulfsmühle. Den teilen sich Traktoren mit Golf-Carts und Wagen der gehobenen Mittelklasse. Der Golfplatz ist heiß begehrter Treffpunkt der Hamburger. Tangstedter golfen hier nicht, Goos auch nicht. Die alten Hofanlagen sind authentisch restauriert, schick, stilsicher. Ein Wanderweg für die Einheimischen mussten sie am Golfplatz allerdings dulden. "Das war Auflage für die Genehmigung", sagt Goos.

Zahlungskräftige Geschäftsleute gibt es nicht nur auf dem Golfplatz. Die drei Firmen im kleinen Gewerbegebiet wollen gern erweitern. Noch fehlt die geeignete Infrastruktur. Goos hat viele Baustellen im Dorf. "Wann sind wir eigentlich eine Stadt", fragt Jörg Zieschang Goos. Der Mann in schwarz, 36 Jahre alt, ist geschäftsführender Gesellschafter der Deutschen Aktenvernichtung mit Sitz in Tangstedt. Goos muss schmunzeln. "Das dauert noch", sagt der Bürgermeister. Derzeit hätten sie gut 2000 Einwohner. Als Stadt brauchten wir mehr als 10 000. Zieschang guckt überrascht. Die Entwicklung im Dorf ist so rasant, dass manch einer schon mal den Überblick verliert.

Zieschang hat vor allem seinen Betrieb im Blick. Mit seiner Schwester führt er das Geschäft um Schredderanlagen und Aktenlagerung. Nach Tangstedt kommt täglich Papier von Ministerien, Zahnärzten, Rechtsanwälten. Sie schreddern oder lagern hier Leitzordner aus allen Teilen der Republik, vom Emsland bis Greifswald, von Flensburg bis München. 20 Mitarbeiter sind für die Firma bundesweit unterwegs, vor Kurzem haben sie sich erweitert und handeln auch mit Buntmetallen.

"Wir haben gut zu tun und fühlen uns hier einfach wohl", sagt Zieschang. Tangstedt ist auch wirtschaftlich ein Dorf der zwei Geschwindigkeiten. Auf der einen Seite die Mittelständler, auf der anderen die Agrarbetriebe. Von ehemals zwölf Landwirten gibt es heute noch sieben. Die alten Höfe werden von der Zukunft überrollt - Wohnungen statt Landwirtschaft. Zwischen Neubaugebieten finden sich immer wieder Baumschulen, zwölf gibt es. Tangstedt hat einen Dorffriseur, einen Tierarzt und ein Storchennest. Ob Meister Adebar den Kindersegen bringt?

Der Kindergarten platzt aus allen Nähten. Mit Containern hilft sich die Gemeinde, der Anbau ist frisch eingeweiht. Vor 21 Jahren entstand die Kita mit zwei Gruppen. Heute spielen, essen, lernen 120 Kinder, sogar eine Krippengruppe. "Das macht Spaß, mit so vielen Kindern zu arbeiten", schwärmt Magitta Wallschläger, Leiterin des Markus-Kindergartens. Besonders sind die Selbstständigkeit, die die Kinder hier schon von früh an lernen sollen, und die drei männlichen Erzieher. "Das war uns wichtig. Jungs brauchen schon früh Vorbilder, mit denen sie auch mal toben können", sagt Wallschläger.

Gleich nebenan ist die Grundschule. 100 Jahre alt ist das Gebäude nun schon, schmiedeeiserne Gitter, verschachtelte Räume prägen das Bild. Bald feiern sie hier ein großes Fest.

Eine Zeit sah es allerdings so aus, als ob die Schule auf der Kippe stand, durch Zuzug haben sie heute eher gegenteilige Probleme: Raumnot. Im kommenden Schuljahr muss Schulleiterin Maike Hansen vielleicht zwei erste Klassen eröffnen. Noch reicht es, aber wenn mehr Schüler kommen, wird es in der Schule eng, meint sie. Kinder sind hier ein großes Thema. Es gibt einen Jugendpfleger, der bald auch ein eigenes Kinder- und Jugendhaus bekommt. Es gibt einen Schulverein, sogar eine Schneckengruppe für die kleinsten Kinder. "Ohne die viele ehrenamtliche Arbeit geht das nicht", sagt Goos. Das könne er nicht oft genug sagen.

Hans-Jürgen Kuhlmann, Wehrführer, ist so einer, der sich einsetzt fürs Dorf. Seine Wehr hat drei Fahrzeuge, zahlreiche Aktive, eine 22-köpfige Jugendfeuerwehr. "Bei uns lernen die Jungs noch Pünktlichkeit, Disziplin", sagt Kuhlmann. "Da steckt viel Arbeit drin, bis die Flöhe vernünftige Feuerwehrleute werden", so Kuhlmann. Wer nicht spurt, der darf gehen. Zwar suchen auch sie Nachwuchs, doch jeden nehmen sie auch nicht.

Die Abendblatt-Sommertour wird nächste Woche fortgesetzt: Am Montag besucht Reporter Jörg Frenzel die Bandreißergemeinde Hetlingen und freut sich auf viele Teilnehmer beim Gruppenfoto um 18 Uhr vor dem Deich-Stadion und der Feuerwache. Am Mittwoch, 13. Juli, sucht Reporterin Carolin Stihler in Bokholt-Hanredder nach Geschichten. Das Gruppenbild wird um 18 Uhr vor der der Burg Vossloch, Hauptstraße/Haases Park gemacht. Kontakt: Michael Rahn, 04101/510-122. michael.rahn@abendblatt.de