Unser Dorf: Von der Kerzenfabrik über die Treckerfrünn bis zum Bulltown-Festival - die kleinste Gemeinde im Kreis Pinneberg hat viel zu bieten

Bullenkuhlen. Neopolitano Plutona ist ein stolzes Pferd. Wenn Antje Bandholz den Lipizzaner Hengst reitet, dann schweben Mensch und Tier über den Sandplatz an der Dorfstraße in Bullenkuhlen. Und wenn Pustini - so nennt die international arbeitende Pferdetrainerin aus Bullenkuhlen ihren Kührungssieger - auf dem staubigen Sand in die Piaffe geht, dann bewegt sich das Pferd scheinbar schwerelos. "Das ist die totale Abwesenheit von Spannung", sagt Guido Bandholz, Co-Chef des Pferdehofes.

Der unverspannte Pustini würde sich gut als Wahrzeichen der Gemeinde Bullenkuhlen machen, hätte sie nicht schon den Ochsen im Wappen. Der erinnert daran, dass Bullenkuhlen am historischen Ochsenpfad liegt und das Vieh dort an der Niederung der Krückau einst getränkt wurde.

Nicht nur Pustini und seine Trainerin auf dem Lipizzanerhof Plotz-Bandholz wirken auf den Bullenkuhlen-Besucher wie Sinnbilder für Entspannung. Das ganze Dorf strahlt dermaßen Ruhe und Gelassenheit aus, dass es den Städter schon fast nervös macht.

So werden bei der Herstellung des Yoghurts in der Hofmolkerei Eggers bis auf den Yoghurtbereiter und einen kleinen Rührapparat keine Maschinen verwendet. Das Einrühren von Erdbeeren, Kirschen, Vanille und Zucker passiert von Hand. Chefin Corinna Hammen füllt jeden Becher, den Yoghurtfans im Kreis bei Edeka Meyer kaufen können, mit ruhiger Hand und Augenmaß ab. Tausend 500 Gramm-Becher voller Yoghurt aus der Milch von 70 Eggers-Kühen verlassen pro Woche die Hofmolkerei in den Kreis und Richtung Hamburg. "Genau das richtige Maß zur Zeit", sagt Hammen. Mehr wäre Stress.

Ein paar Meter Luftlinie weiter in der Achterstraße sind vor 25 Jahren die Hamburger Wolfgang und Doris Ihde mit ihrer Kerzenfabrik in die Hallen einer ehemaligen Autoschlosserei eingezogen. Der Familienbetrieb - Sohn Meno (22) hat gerade die Geschäftsführung übernommen - liefert Kerzen in allen Formen, Farben und entsprechende Rohstoffe dazu an weltweit 18 000 Kunden. "Das sind Privatleute, Hotelketten und Eventagenturen", sagt Wolfgang Ihde. Die Bestellung funktioniert über kerzenkiste.de via Internet. Der Schlüssel zum Erfolg: die Geduld, einem Betrieb beim Wachsen zuzusehen und die ruhige Hand während der Arbeit - in diesen Tagen beim Abfüllen von überdimensionalen Pilsgläsern. Die hat eine große Brauerei leer geliefert und sie werden vom fünfköpfigen Ihde-Team mit heißem flüssigem bierfarbenem Kerzengel befüllt. Sie sollen der Brauerei als Deko dienen.

370 Menschen leben in der kleinsten Gemeinde des Kreises Pinneberg fünf Kilometer östlich von Elmshorn. Geschätzt die Hälfte sind Ur-Bullenkuhlener, die anderen sind irgendwann mal zugereist. "Genau weiß das niemand, weil es keinen Unterschied macht", sagt Willi Hachmann, seit 25 Jahren Bürgermeister von Bullenkuhlen und tief in seinem Heimatdorf verwurzelt. "Wir sind offenherzig. Dafür sind wir hier zu wenige, als dass wir jemanden ausgrenzen könnten" .

Hans Hewicker, pensionierter Forstdirektor des Ende 2007 aufgelösten Forstamtes Rantzau in Bullenkuhlen, hat 30 Jahre lang mit seiner Familie im Forsthaus gelebt. Bis heute bedauert der Vorsitzende der Kreisjägerschaft, dass er mangels geeigneter Wohnhäuser nicht in Bullenkuhlen bleiben konnte. "Obwohl das Leben hier nicht bequem ist", sagt er. "Es gibt weder öffentliche Verkehrsmittel, noch Kindergarten, noch Schule, noch Kaufmannsladen." Besonders für ältere Bullenkuhlener sei die fehlende Einkaufsmöglichkeit ein Problem. "Wir haben eine Lösung gefunden", sagt Hachmann. "Unsere Senioren fahren im Schulbus nach Barmstedt und zurück." In der fünf Kilometer entfernten Stadt gehen die Bullenkuhlener Kinder zur Schule, im Nachbarort Bevern in den Kindergarten.

Im Dorf leben etwa 70 Kinder, schätzt Hachmann. Der jüngste Bullenkuhlener ist der wenige Tage alte Bürgermeister-Enkel Jamie , der sich zufrieden durch den Tag schläft. Der älteste Bürger ist Hans Harbeck (87), ehemals Wirt der Schankwirtschaft Harbeck, die sein Ur-Urgroßvater Johann 1830 eröffnete, um den Fuhrwerkern Erfrischung zu bieten. Seit 1988 betreiben Hans Friedrich und Elke Harbeck die Gaststätte in sechster Generation - nebenberuflich als Location für private Feste. "Zehn bis zwölf Partys im Jahr richten wir aus", sagt Elke Harbeck. "Für Leute, die eine leger urige Kulisse zum Feiern wünschen." Sonntags öffnet die Schankwirtschaft zum Frühschoppen. "Das ist pure Nostalgie, da kommen maximal drei Stammgäste. Bei Harbeck "Up de Deele" feiert ganz Bullenkuhlen jährlich den Herbstmarkt. Daran beteiligen sich fast alle Dorfbewohner in irgendeiner Form: Die Musikgruppe Floitje Pieper, der 17 Stimmen starke Dorfchor, der Verein Jugend und Spiel mit mehr als 60 Kindern, die Jagdhornbläser, die 27 Mann und 2 Frauen starke Freiwillige Feuerwehr, die Trekkerfrünn mit den Liebhabern der alten landwirtschaftlichen Gefährte. Pit Bruhn sammelt auf seinem Resthof seit gut zwölf Jahren historische Trecker und Erntemaschinen. Zehn Hanomags aus den 50er und 60er Jahren und ein McCormick, Baujahr 1959, stehen auf seinem Hof. Pit setzt auf die Entschleunigung des Lebens. Einmal im Jahr veranstaltet er auf seinen Feldern eine historische Ernte und zeigt, wie in alten Zeiten Kartoffeln und Getreide geerntet wurden.

Während des Bulltown-Festivals, das die Bullenkuhlener Brüder Jörn und Martin Frank mit Musikerkollegen jährlich für junge Bands und rund 500 Besucher organisieren, wiegt sich das Dorf in rhythmischer Ruhe. "Freundliche Leute sind dann hier", sagt der Bürgermeister. Ärger oder Beschwerden hat es noch nie gegeben.

Die einzigen Bullenkuhlener, die sich manchmal ein bisschen mehr Hektik im Dorf wünschten, sind Feuerwehrmänner und - frauen. Erst kürzlich habe ein vergessener Braten auf einem Herd gebrannt, erinnert sich Wehrführer Ulf Glismann. "In solchen Fällen wird erst mal beratschlagt, ob die Feuerwehr überhaupt Not tut. Dann ruft wer ganz in Ruhe beim Wehrführer an und bittet um Entscheidungshilfe", sagt Glismann. Bis auf einen Großbrand 1980, der die alte Schule zerstörte, habe es in den vergangenen Jahren nur kleine Einsätze wie Keller auspumpen oder Hilfe bei Verkehrsunfällen. Ostern brannte ein Komposthaufen auf dem Lipizzanerhof. "Das war nicht ohne, weil nebenan ein Schuppen steht", sagt Glismann. Aber auch da gab es keine Unruhe, nicht mal bei den Pferden. Pustini war völlig entspannt.