Rellingen. Nicht nur Bürgerinitiativen haben sich gegründet. Auch in der Politik mehren sich kritische Stimmen gegen den sechsspurigen Ausbau.

In Rellingen regt sich massiver Widerstand gegen den geplanten sechsspurigen Ausbau der Autobahn 23 zwischen Tornesch und dem Dreieck Nordwest. Bürger aus Rellingen und Halstenbek haben ihren Protest kundgetan und 3300 Faltblätter an autobahnnahe Haushalte in beiden Gemeinden verteilt. Eine Bürgerinitiative mit bis jetzt rund 50 Mitgliedern ist in Gründung. Und auch in der Politik mehren sich kritische Stimmen zu dem Millionenprojekt.

Der betreffende Teil der A-23-Trasse am Rand von Rellingen und Halstenbek ist innerhalb des Bundesverkehrswegeplans in den vordringlichen Bedarf aufgerückt, die höchste Stufe innerhalb dieses langfristig angelegten Plans, der bis 2030 umgesetzt werden soll.

Noch mehr Lärm und Müll

In ihrem Faltblatt warnen die Verfasser vor noch mehr Lärm, Müll, Mikroplastik durch Reifenabrieb, Bitumen-Aerosolen und anderen Feinstäuben, Stickoxiden, Ozon und weiteren Schadgasen, die in die nahen Ortschaften getragen werden würden. Außerdem schreiben sie: „Eine Erweiterung der A 23 auf sechs Spuren entspricht nicht der notwendigen Wende in der Verkehrspolitik.“ Was diesen Punkt angeht, decken sich ihre Ansichten mit der Position der Grünen.

Die bisher vorliegenden Daten aus dem Bundesverkehrswegeplan seien intransparent: „Es wird eine riesige Umweltentlastung errechnet. Aber nirgends wird deutlich, wie genau das berechnet wurde. Das Gleiche gilt für die Zahlen zu Staulängen“, heißt es.

Hinter dem Protest stehen Jochen Hilbert, der in Pinneberg auch der Initiative zur Umgestaltung des Kriegerdenkmals am Bahnhof angehört, der Unternehmer Volker Rost, ehemals Lärmschutz-Initiative, beide aus Rellingen, und Rolf Eigenwald aus Halstenbek.

CDU-Mann hält A-23-Bau für eine große Fehlentscheidung

In ihrer eher „grünen“ Haltung sind sie offenbar einig mit der örtlichen CDU-Fraktion. Zwar wird die Entscheidung zum Ausbau an höherer Stelle getroffen. „Wir müssen aber zumindest versuchen, von Rellingen aus an der Weichenstellung mitzuwirken“, sagt Rolf-Rüdiger Schmidt (CDU), Mitglied des Bau- und Verkehrsausschusses, der jetzt einen sehr kritischen Aufsatz dazu geschrieben hat. Dieser soll in der nächsten CDU-Broschüre „Zur Sache“ erscheinen.

Dass Rellingen bereits jetzt die Hauptlast des Verkehrs trage, werfe ein Licht auf den Egoismus der Nachbargemeinden, die von der Autobahn profitieren, aber einer nördlichen Umgehungsstraße um Rellingen nicht zugestimmt haben: „Wir können uns heute rühmen, die einzige Gemeinde unserer Größe in Deutschland zu sein, die über vier Autobahnanschlüsse verfügt – ein weiterer katastrophaler Fehler, unter dem die Rellinger Bevölkerung bis heute zu leiden hat“, schreibt Schmidt in seinem Aufsatz.

Offenbar ist es an der Zeit, erneut Stellung zu beziehen. Schon den Ausbau der damaligen Bundesstraße 5 zur Autobahn nennt Schmidt „eine der größten verkehrspolitischen Fehlentscheidungen des letzten Jahrhunderts.“

Steigende Zahl von Pendlern

Hilbert steht also offensichtlich nicht allein da. Wie er, fordert auch Schmidt den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und prangert den überteuerten, veralteten Frachttransport über die Schiene an, der eigentlich ausgebaut gehöre, um die Lastwagen von der Straße zu holen. Er kritisiert jahrzehntelangen Stillstand und Ignoranz.

In Metropolregionen ist auch die ständig steigende Zahl von Pendlern für die verstopften Straßen verantwortlich. Jochen Hilbert und seine Mitstreiter fordern eine verbindliche und zukunftsfähige Verkehrs-, Wirtschafts-, Siedlungs- und Freiraumplanung und schließen sich damit der Forderung einer aktuellen Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zur Metropolregion Hamburg an. Die bisherige Verkehrsplanung sei einseitig auf die Erweiterung der Autobahn ausgerichtet.

Laut einer von der Stadt Hamburg veröffentlichten wissenschaftlichen Studie zum Großraum Hamburg gelangen Pendler mit dem privaten Auto wesentlich schneller und einfacher zu ihrer Arbeitsstelle. Daraus schließt die Initiative: „Der Ausbau der A 23 auf sechs Spuren verringert Autostaukosten für Pendler und schafft so noch mehr Anreize, noch weiter vom Arbeitsplatz entfernt zu wohnen.“ Perspektivisch bedeute das, dass Staus in einigen Jahren nicht auf vier, sondern auf sechs Spuren entstünden.

„Die Alternative wäre, den ÖPNV leistungsfähig auszubauen und das Wohnen in weiter entfernten Orten mit guter Schienenanbindung attraktiv werden zu lassen“, so der Vorschlag der Initiative.

Breite Unterstützung erhalten die Initiatoren von der Bundestagsabgeordneten Ingrid Nestle (Grüne): „Statt des A-23-Ausbaus brauchen wir dringend die S4-West mindestens im Zehnminutentakt von Hamburg bis Pinneberg und Elmshorn sowie weiter alle 30 Minuten nach Glückstadt, Itzehoe, Neumünster, Barmstedt und Henstedt-Ulzburg“, sagt sie. „Eine Radschnellverbindung wäre für viele, die nur wenige Kilometer auf der A 23 fahren, ebenfalls eine gute Alternative.“ Die Mobilität der Zukunft werde weniger autozentriert sein, „gefragt ist eine intelligente Netzentwicklung für die gesamte Mobilität“.

Wohnbebauung nah der Trasse ist ein Problem

Davon scheinen die Ausbaupläne für die A 23 weit entfernt. Auf sie angesprochen, wiegelt Kai Vogel, verkehrspolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, erst mal ab. Momentan liefen zwar Verkehrszählungen, aber da solche Pläne sehr langfristig gefasst würden, könne sich daran noch etwas ändern.

Ein Problem sieht Vogel darin, dass die Autobahn bei einer Verbreiterung „teilweise sehr dicht an die vorhandene Bebauung herankommt und auch das brandneue Gewerbegebiet in Borstel-Hohenraden tangieren würde“. Schon beim Autobahnbau wurden damals 50 Bürger zwangsweise umgesiedelt – viel Ärger für eine Straße, die noch mehr Ärger macht.

Daraus, dass nahe der Autobahn weitere Wohnbebauung geplant sei, ergäben sich wahrscheinlich hohe Folgekosten, sagt Vogel. „Da wird noch eine Menge an Kompromissen gefunden werden müssen.“ Selbst die SPD sei sich nicht einig. In Orten, die nah an der A 23 lägen, seien die Politiker gegen den Ausbau, in den übrigen eher dafür, sofern der Lärm- und Naturschutz weitgehend eingehalten würde und die Gewerbetreibenden nicht tangiert würden.

Was die während des Berufsverkehrs schon jetzt total überlastete Autobahn-Abfahrt Pinneberg Nord angeht, gibt Vogel zu bedenken: „Wenn die Entscheidung für die Verbreiterung fällt, müssen auch die Brücken angefasst werden. Die Kreuzung ist aber jetzt schon überlastet, ebenso wie die an der Autobahnabfahrt Pinneberg-Süd. Es wäre eine Meisterleistung und Herausforderung, unter verschärften Bedingungen mit der jetzt schon vorhandenen Stausituation fertig zu werden.“