Kreis Pinneberg. Sie schreit. Brüllt in einen Wald bei Budapest. Das blonde Haar ist zum Zopf gebunden, ihr rechtes Auge blutunterlaufen und das Gesicht verschmiert. Mit einem Speer in der Hand läuft sie in den Kampf. Eine Kamera verfolgt die blonde Kriegerin. Als Fürstentochter Thusnelda zieht sie hier und jetzt in die Varusschlacht, spielt Römern einen tödlichen Streich.
Die Schauspielerin ist Jeanne Goursaud, geboren im Kreis Pinneberg, als Hauptdarstellerin Thusnelda angekommen in der neuen, schon jetzt hochgelobten Netflix-Serie „Barbaren“. Die 24 Jahre alte Blondine kann sich mit ihrer Bühnenfigur identifizieren: Beide sind ehrgeizig, beide kämpfen für ihr Ziel. „Aufgeben gibt es nicht“, sagt die Darstellerin. Als Jeanne kämpft sie für ihre Karriere vor der Kamera, als Thusnelda für Gerechtigkeit. Den Schritt ins Streaming-Kino hat sie geschafft. Wie die Schlacht für Thusnelda endet, erfahren Netflix-Kunden ab Freitag, 23. Oktober.
Goursaud hat ihre Heimat vorerst hinter sich gelassen und wechselt für ihren Traumjob ständig den Wohnort. In normalen Zeiten könnte sie in ihrem Zimmer in Berlin leben, doch Corona-bedingt wohnt sie mit drei Kolleginnen im „Quarantänehaus“. „Eine Vorsichtsmaßnahme, damit wir keinen Kontakt mit einem Covid-19-Erkrankten haben“, sagt sie. Die vier Schauspielerinnen drehen bis Dezember ein noch geheimes Filmprojekt. Dann wartet auf Goursaud die nächste Produktion in Wien.
Jeanne Goursaud – vom Vorgarten im Kreis Pinneberg auf die Weltbühne
Ihre Bühnenbiografie beginnt nicht in der Großstadt. Die ersten Schritte macht sie an einem Ort, an dem sie vom Fenster aus Trecker beobachten kann. Schon in diesen Tagen hält sie an ihren Traum fest – auch dann, als sie Niederlagen einsteckt. Im Vorgarten in Halstenbek inszenieren sie und ihre Schwester Theaterstücke. Das große Trampolin dient als Bühne. Als Achtjährige darf sie im Schultheater mitmachen und bekommt prompt eine Rolle. „Ich war der Wind und war wegen dieser kleinen Rolle total beleidigt“, sagt die Schauspielerin heute. Und lacht. „Meine Lehrer haben damals gesagt: ‚Mensch, Jeanne! Lass die anderen auch mal!‘“
Monate später besucht sie die Hamburger Schauspielschule TASK und versucht sich an Hauptrollen. „Da habe ich mich endlich ernstgenommen gefühlt. Ich wusste ja schon lange, dass ich schauspielern will.“ Über die Hamburger Schule bewirbt sie sich bei einer Kinderagentur, die Goursaud in den Katalog aufnimmt. Kurz darauf folgt ihr erster Fernsehauftritt in der Kinderserie „Die Pfefferkörner“. Die damals Jugendliche spielt eine Drogendealerin, wird aber nur von hinten gefilmt. „Darüber war ich erst traurig, aber die Rolle war gut für meine Vita“, sagt sie.
Karriere an der Seite von Jan Fedder und Clint Eastwood
Nach dem holprigen Einstieg im Schultheater und dem kurzen Auftritt im Kinderfernsehen feiert die Frau aus dem Kreis größere Erfolge: erst als Werbegesicht für die Kosmetikmarke „bebe young care“, dann dreht sie für die Serie „Büttenwarder“ – an der Seite von Jan Fedder fährt sie dieses Mal selbst im Trecker mit, muss ihnen nicht mehr aus dem Fenster nachschauen. Fünf Jahre später feiert sie ihren ersten internationalen Erfolg: 2017 bringt Clint Eastwood die Schauspielerin auf den roten Teppich.
Ihrer Erzählung zufolge verdankt Goursaud die Hollywood-Rolle einem Sprachaufenthalt in Paris. Dort lebt sie nach dem Abi und geht abends gerne aus. So auch an dem Abend, als sie einen Schauspieler kennenlernt. Dessen Freund möchte eine deutsche Filmrolle vergeben. Der Fremde stellt den Kontakt her. Einen Tag bekommt Goursaud die Zusage, lehnt aber ab. Denn zur gleichen Zeit muss sie für die „Bullyparade“ drehen. Sie sagt, weil der Freund von ihrem schauspielerischen Können begeistert ist, telefoniert er mit Agenturen, die sie auch in den Katalog aufnehmen möchten. Goursaud wählt eine aus. Kurz darauf dreht sie für den Eastwood-Film „The 15:17 to Paris“. Die Produktion handelt vom Anschlag auf den Thalys-Zug am Abend des 21. August 2015 im belgisch-französischen Grenzgebiet, eine wahre Begebenheit.
Dass Goursaud diese Rolle erhalten hat, ist „Schicksal. Das war vom Universum geplant“, wie die Pinnebergerin sagt. Nach diesen Worten legt sie eine Pause ein, wartet auf die nächste Frage. Ganz nüchtern. Anders als nach einer Zusage. Damals wie heute.
Schon als Kind sitzt sie Zuhause vor dem Festnetztelefon und wartet auf den Rückruf ihrer Agentin. Diese ist die einzige, die unter der Festnetznummer anruft und hat dann meistens gute Nachrichten. Denn Absagen verschickt die Agentin per E-Mail. Die Pinnebergerin erzählt: „Als ich die erste Zusage hatte, habe ich vor lauter Freude geschrien und bin rumgesprungen. Das mache ich noch heute.“ Zuletzt am 4. April des Vorjahres, an ihrem 23. Geburtstag: Während eines Drehs in Prag erfährt sie, dass sie die Thusnelda aus „Die Barbaren“ verkörpern wird. „Da habe ich angefangen zu weinen, erst meine Mutter angerufen, dann meine Schwester, dann eine Freundin.“
Sie sagt, diese Rolle hat ihr viel Schweiß abverlangt, mehr als sonst: 2019 arbeitet sie drei Monate lang mit einem Personal Trainer zusammen, um für die vielen Kriegsszenen der Serien gerüstet zu sein. „Fitnesstraining, Speertraining, Schwerttraining – diese ganzen Kampfsachen waren eine Herausforderung. Aber es hat funktioniert.“ Als Thusnelda bietet sie den Römern in der Varusschlacht die Stirn, läuft mit Speer und Schwert über den Bildschirm – ihre bislang größte Rolle.
Im Kreis Pinneberg ist sie nur noch selten. Für die Karriere sind Europas Großstädte ihr neues Zuhause. Was da noch kommen soll? Eine Produktion mit Quentin Tarantino ist ihr Traum.
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