Kreis Pinneberg

Blind Schießen – und dabei ins Schwarze treffen

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Vereinsvorsitzender Udo Schöttler (74, l.) visiert mit dem Lasergewehr die Zielscheibe an. Schatzmeister Jens Büchner (65) hilft ihm

Vereinsvorsitzender Udo Schöttler (74, l.) visiert mit dem Lasergewehr die Zielscheibe an. Schatzmeister Jens Büchner (65) hilft ihm

Foto: Laura Kosanke

In Tornesch können sehbehinderte Menschen mit dem Luftgewehr trainieren – dank eines technischen Hilfsmittels.

Tornesch.  Ansetzen, lauschen, abdrücken. Udo Schöttler (74) trifft ins Schwarze. Dabei ist er seit sechs Jahren sehbehindert. Vor sieben Jahren hat er mit seinen Augen zuletzt eine Zielscheibe anvisiert, Wettbewerbe bestritten und Pokale nach Hause getragen. Doch dann verlor er seine Sehkraft – erst auf dem rechten, dann auf dem linken Auge. Schöttler sagt, er sehe seine Umgebung „wie durch Milchglas“, könne kaum etwas erkennen. Das war ein Schlag für ihn, denn er engagiert sich als Erster Vorsitzender beim Schützenvereins Tornesch von 1954. Bis vor Kurzem durfte er nicht mehr auf die Schießbank, konnte den anderen Vereinsmitgliedern beim Schießen allenfalls über die Schulter blicken – und doch nur Umrisse wahrnehmen.

Die Schützengemeinschaft suchte nach Wegen, ihrem Vorsitzenden sein Hobby wieder zu ermöglichen – und fand eine Lösung: ein Luftgewehr mit speziellem Aufnahmesystem. „VIASS Pro“ heißt das technische Extra, das blinde und sehbehinderte Menschen wieder auf die Schießbank bringt. „Hören, was andere sehen“ – so lautet der Leitsatz der neuen Technik, die Schöttler am Donnerstagnachmittag seinen Gästen vorführt, unter ihnen die Tornescher Bürgermeisterin Sabine Kählert, die das Projekt maßgeblich mit vorangetrieben hat.

Mit einem Pfeifen auf den Ohren ins Schwarze treffen

An diesem Nachmittag haben sich der sehbehinderte Schütze und seine Vereinsfreunde schick gemacht. Sie tragen eine Uniform: grau mit tannengrünem Kragen und Schulterklappen. Am Revers hängen bunte Abzeichen. Während die Vereinsfreunde versammelt hinter den Schießbänken stehen, treten Schöttler und Schatzmeister Jens Büchner ein paar Schritte vor, positionieren sich für Schöttlers Schuss. Dafür setzen sie sich Kopfhörer auf – nicht als Gehörschutz, sondern um ein lautes Pfeifen zu hören, das beim Visieren hilft: Je höher der Ton, desto treffsicherer zielt das Luftgewehr auf die Mitte. Ertönt ein dumpfer Ton, entfernt sich das Gewehr von der Mitte der Zielscheibe. Erstickt das Pfeifen, ist das Gewehr nur auf die äußeren weißen Kreise der Scheibe gerichtet. Dahinter steckt ein Sensor am Luftgewehr, der aufgrund der schwarz-weißen Farbgebung Signale an einen Computer und von dort auf den Kopfhörer sendet.

Für den Schützen ist das einfacher als für seinen Freund, den Schatzmeister. „Auf alles muss man achten: Körperhaltung, Pfeifen, Atmung… “, sagt Büchner und wendet sich zum sehbehinderten Vereinsvorsitzenden. „Udo, ich richte dich zum Schuss auf und drehe jetzt deine Schulter“, sagt er. Dann geht er einen Schritt zurück. Schöttler schwenkt das Luftgewehr – erst nach rechts, dann wieder ein Stück nach links, ein bisschen nach oben... Schuss! Er trifft in den innersten Kreis der Zielscheibe. Der Schatzmeister hat den Schuss auf dem Bildschirm verfolgt.

Schöttler hat an diesem Donnerstagnachmittag keine Kugel abgefeuert, sondern bloß einen Laserstrahl. Es gibt aber auch ein zweites Verfahren, bei dem er mit kleinen Bleikügelchen schießen kann. Die Pfeif-Technik ist die gleiche; beides bietet der Verein an.

Auch der Schatzmeister hat schon selbst blind geschossen und sich dabei schwergetan. „Ein blinder Schuss ist für Sehende schwieriger als für Blinde, weil sie sich zu oft nur auf die Augen verlassen. Selbst geübte Schützen haben echte Schwierigkeiten zu treffen“, sagt er. „Alles eine Frage der Gewöhnung.“

Das Schießprojekt wurde zu 20 Prozent vom Bund und dem Land Schleswig-Holstein gefördert. Das restliche Fördergeld stammt von der AktivRegion Pinneberger Marsch & Geest, in der sich die Tornescher Bürgermeisterin im Vorstand engagiert. „Wenn ich das sehe, geht mir das Herz auf. Mein Ziel war es, Menschen mit starken Sehbehinderungen das Schießen nach Gehör zu ermöglichen, und wir haben es geschafft.“ Kurz bevor sie die Veranstaltung verlässt, wendet sie sich an den sehbehinderten Schützen. „Udo, du hast eine Aufgabe. Trainieren!“ – „Ja, ich pass’ auf, dass sie trainieren“, sagt Schöttler und lacht über seinen eigenen Witz. Den Vereinsmitgliedern sagt sie: „Nehmt Menschen mit Sehbehinderung in die Mitte. Lebt Inklusion.“

Training: Die Vereinsmitglieder treffen sich freitags von 19 bis 23 Uhr Am Schützenplatz 7 in Tornesch. Der Verein lädt alle Menschen mit und ohne Sehbehinderung ein, am Schießen für Blinde teilzunehmen.

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